Wenn man sich Streit mit dem deutschsprachigen Feuilleton und Stress in den Kommentarspalten einhandeln möchte, gibt es dazu seit vielen Jahren ein probates Mittel: Harald Schmidt als einen uninteressanten, zynischen Schwätzer zu beschreiben, den die meisten für genau die Schlagfertigkeit und Herablassung feiern, die sie selber gerne aufbringen würden. Dann ist man weder geistreich noch humorvoll genug, um ihn und seine satirisch-ätzende Gesellschaftskritik auch nur ansatzweise zu verstehen.

Das gilt wohlgemerkt nur für generelle und zugegebenermaßen generalisierende Kritik an Schmidt. Auftritte oder einzelne Sendungen von ihm für langweilig und schlecht zu befinden ist auch für Fans überhaupt kein Problem. Dann war er eben mal nicht in Form. Die Form an sich in Zweifel zu ziehen gilt hingegen bei seinen Jüngern als Sakrileg. Der durchschnittliche Harald-Schmidt-Ultra ist ein über 50-jähriger weißer Mann, der genau weiß, zu welchen Gelegenheiten "der Meister" richtig gut war. Deswegen bewahrt er auch einige Mitschnitte der Harald-Schmidt-Show, damals bei Sat.1, auf VHS-Kassetten in der kleinen, nicht zum Rest der Einrichtung passenden Kommode neben dem Smart-TV auf.

Harald Schmidt als uninteressanten Schwätzer zu bezeichnen ist ein gutes Mittel, um sich Stress in den Kommentarspalten einzuhandeln.
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Die guckt er sich zwar – wenn überhaupt – nur äußerst selten an, findet es aber beruhigend, dieses Bollwerk gegen den flachen, politisch korrekten Kultur- und Unterhaltungsbetrieb, fein säuberlich beschriftet, aufgetürmt zu haben. Stattdessen lachhüstelt er über Schmidts Interviews, in denen wie immer zwischen Schmidt und seiner angeblichen Kunstfigur Dirty Harry nicht zu unterscheiden ist und der selbsternannte Patriarch über "Weichei-Daddys, Elternzeit und Geschlechtsumwandlungen" spottet.

Oder darüber, wie Mann nur als "Familientrottel" Care-Arbeit mit Kindern verrichten kann.

Bevor ich darauf zu sprechen komme, warum diese Art Zynismus schon vor 20 Jahren oftmals letztklassig war und mit der Zeit auch nicht wirklich gut altert, sei an dieser Stelle an die Qualitäten vom Schmidt erinnert. Seine von David Letterman übernommene Figur des sarkastischen, über den Dingen stehenden Welterklärers kam schon immer ohne die peinliche Wutbürgerfloskel "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" aus.

Schmidt ließ sich nie von dem Umstand, dass jemand etwas für zotig, bösartig oder falsch hielt, in Erklärungsnot bringen. Das war ja das Programm: spitze Bemerkungen eines vielseitig interessierten Bildungsbürgers über den jämmerlichen Zustand der Welt – ohne die üblichen moralischen Befangenheiten. Einer, der mit Florett und Keule gleichermaßen austeilt und dabei scheinbar mühelos einsteckt. Schmidt mal auf dem falschen Fuß zu erwischen war und ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil er alle ihm vorgeworfenen Defizite sofort und unumwunden einräumt. Weil er erkannt hat, dass ihm das überhaupt nicht schadet. Das ist auch der Grund, warum es bei der Bewertung von Schmidts Aussagen im Grunde unerheblich ist, ob er etwas so meint, wie er es sagt.

Wenn Schmidt meint, was er sagt, dann ist er eine etwas anachronistische Personifizierung des "alten weißen Mannes", der noch nicht mitgekriegt hat, dass Kümmern, Pflegen, Gefühle und sich ab und an von seinem Baby vollkotzen lassen nichts Unmännliches sind. Und wenn er es nicht so meint, dann ist er eine Personifizierung des "alten weißen Mannes", weil er von dem Privileg lebt, sich auf die bequeme Position der Uneigentlichkeit zurückziehen zu können und dabei nichts zu riskieren.

Der andere große bildungsbürgerliche Fernsehunterhalter aus Schmidts Generation, der leider viel zu früh verstorbene Roger Willemsen, hat die Flucht vor der Haftbarkeit für die eigenen Positionierungen sehr treffend charakterisiert:

"Dieses uneigentliche Verhältnis, ein Anwitzeln, ein Komischwerden, ein halbwarmes Amüsieren, ein Auflösen in einer Lauge der Belanglosigkeit, diese Formen des Sprechens machen es außerordentlich schwierig, hinter der Rede etwas sichtbar zu machen, das gemeint und belastbar ist. Sätze also, die dadurch gekennzeichnet sein können, dass sie dem Sprecher schaden."

Schmidt hält sich wie viele andere "alte weiße Männer" schadlos, indem er immer nur dahin geht, wo es anderen wehtut, aber nie ihm selbst. Selbstverständlich ist er in dieser Kunst frei. Das gilt auch dann, wenn Bühne für Schmidt alles zu sein scheint, was wie auch immer publiziert wird. Man sollte das nur nicht mit Wagemut verwechseln. Stattdessen spielt Schmidts Kunst in der Endzone intellektueller Bequemlichkeit. Dort kann man ihm weiterhin dabei zuschauen, wie er hier und da gekonnt parlierend Seitenhiebe verteilt, und sich dabei wünschen, selbst so schnell und pointiert formulieren zu können. Oder man könnte mal was riskieren. (Nils Pickert, 7.7.2019)