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Die Mordaktionen der Nationalsozialisten in psychiatrischen Kliniken Polens führten direkt zu den Vernichtungslagern der Nazis.

Foto: AP/Alik Keplicz

Wien – Die Ermordung von Patienten psychiatrischer Kliniken in 1939 von der deutschen Wehrmacht besetzten polnischen Gebieten nutzten Schergen des NS-Regimes offenbar als eine Art "Lernprozess" des für den Holocaust. Das ergibt sich aus Forschungen des aus Oberösterreich stammenden Zeithistorikers Robert Parzer. Er sprach am Donnerstag bei der Sommerakademie des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs in Wien.

Das 29. Sommerakademie des in St. Pölten angesiedelte Instituts behandelt in der dreitägigen Veranstaltung (3. bis 5. Juli, Volkskundemuseum Wien) das Thema "Die Utopie des 'gesunden Volkskörpers' – Von der 'Erb- und Rassenhygiene' zur NS-Euthanasie". Dass es Adolf Hitler und seinem Regime beim Angriff auf Polen von Anfang an um die völlige Zerstörung des Landes und um die Ermordung der Bevölkerung ging, belegen laut Parzer, der am Hauptstaatsarchiv Wiesbaden arbeitet, Aufzeichnungen des Chefs der deutschen Abwehr, Wilhelm Canaris. Dieser notierte bei einer Rede Hitlers am Tag der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts am 23. August 1939: "Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist die Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie. (...) Der stärkere hat das Recht. Größte Härte." Eine Woche später entfesselte Hitler den Zweiten Weltkrieg mit dem Angriff auf Polen.

NS-Funktionäre in psychiatrischen Kliniken

"Bereits im September 1939 begann eine Gruppe in der Reichskanzlei mit der Planung von Euthanasieaktionen", sagte Parzer. Nachdem die deutschen Truppen große Teile Polens unter Einhaltung der mit Stalin getroffenen Vereinbarung besetzt hatte, erhielten beispielsweise die psychiatrischen Kliniken im "Wartheland" (Teil Westpolens) neue deutsche Leiter. Auch der Wiener Arzt Rudolf Bartussek war ein solcher NS-Funktionär im "Asyl" von Ownska, sieben Kilometer nördlich von Poznan.

Während die NS-Schergen bei der Inhaftierung und Ermordung jedweder möglicher Gegner in Polen geplant mit Namenslisten vorgingen, lief die Ermordung von psychisch Kranken anders ab. Die leitenden aus Nazi-Deutschland stammenden Ärzte "selektierten" Patienten nach kaum erkennbaren Kriterien. So handelte zum Beispiel auch Bartussek in der rund 1.000 Patienten umfassenden Einrichtung bei Poznan. Die Patienten wurden dem "Kommando Lange" überantwortet – benannt nach dem SS-Mann und Gestapomitglied Herbert Lange. Er war später Chefermittler gegen die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944. In Poznan im Fort VII entstand die erste Gaskammer. Die dort ankommenden psychisch Kranken wurden in einen tunnelartigen Raum gebracht, die Eisentür wurde geschlossen, mit Lehm abgedichtet und Kohlenmonoxid eingeleitet.

Mobile Tötungsteams mit Gaswägen

Doch wie Zeithistoriker Parzer betonte: Diese Abläufe waren kompliziert. So stellte man auf ein mobiles Tötungsteam mit Gaswagen um. Die Gaswagen fuhren von Anstalt zu Anstalt. Sie blieben in der Nähe, oft in einem Wald, stehen. Die für die Ermordung vorgesehenen Kranken wurden zu den Gaswagen gebracht und getötet. Danach verscharrte man ihre Leichen an Ort und Stelle. Unter SS-Mann Lange lief das allein zwischen 1939 und 1941.

"Im Jahr 1941 ging man dann zur Ermordung der polnischen Juden über", sagte der Zeithistoriker. Erstmals wurden Juden aus einem Ghetto geholt, in einen Gaswagen gesteckt, erstickt und ihre Leichen vergraben. Fazit laut Parzer: Von diesen Mordaktionen führte der direkte Weg zu den Vernichtungslagern von Auschwitz etc. "Es war ein pragmatisches Vorgehen." Die NS-Verbrecher wendeten jene Techniken und Abläufe aus, mit denen man am effizientesten und "wirtschaftlichsten" Morden konnte. Parzer: "Das' Wartheland' war das Kompetenzzentrum für die spätere 'Aktion Reinhardt'." Das war die Ermordung der Juden und Roma im sogenannten Generalgouvernement (Teil Polens und die Ukraine).

Neue Therapien aus Deutschland

Ein bemerkenswertes Detail: In den psychiatrischen Kliniken in Polen wurden neben diesen Aktionen weiterhin Patienten aufgenommen, behandelt, wieder entlassen. Polnisches ärztliches Personal und auch Krankenschwestern arbeiteten dort in vielen Fällen bis zum Ende des NS-Regimes weiter. Eine polnische Ärztin berichtete später, sie hätte durch die Deutschen Zugang zu den damals neuesten Therapien bekommen, was sie begrüßt hätte.

Neben vielen anderen Themen beschäftigt sich die Sommerakademie des Instituts auch mit der Aufarbeitung der NS-Zeit der psychiatrischen Klinik in Mauer-Öhling in Niederösterreich. Gesichert ist, dass während der NS-Herrschaft rund 1.800 Patienten der "Anstalt" ermordet worden sind. (APA, red, 4.7.2019)