Der 36-jährige Physiker will mit den Mitteln der Elektronenmikroskopie Verformbarkeit von Glas und Metall vergleichbar machen.
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Das Glas, aus dem man trinkt, ist, chemisch betrachtet, großteils Siliciumdioxid. Die Atome liegen dabei in einer bestimmten, ungeordneten Struktur vor. Doch nicht alle Gläser sind Silikate. Ein für Materialwissenschafter besonders interessantes Feld sind metallische Gläser. Die Atome einer Metallverbindung bilden auch hier anstelle von Kristallgittern die amorphe Struktur eines Glases. Das macht sie extrem hart und oxidationsbeständig. Die Materialien können etwa Anwendung in widerstandsfähigen Beschichtungen finden, in Implantaten für den menschlichen Körper oder in kleinsten Bauteilen in sogenannten Mikrosystemen, etwa mechanischen Sensoren wie Gyroskopen, die auf einem Chip verbaut sind.

Doch die Materialien haben auch Nachteile. "Metallische Gläser brechen auch wie Glas. Es fehlt ihnen die Plastizität der klassischen Metalle", sagt Christoph Gammer vom Erich-Schmid-Institut für Materialwissenschaft der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Leoben. Daher versuchen Forscher, die Struktureigenschaften von Glas und Metall zu kombinieren. Um dabei Anordnungen mit optimalen Eigenschaften zu identifizieren, benötigt man ein Messsystem, das die Verformbarkeit vergleichbar macht. Der 36-jährige Physiker arbeitet mit den Mitteln der Elektronenmikroskopie an diesem Problem und wurde dafür heuer mit dem Start-Preis des Wissenschaftsministeriums und des Wissenschaftsfonds FWF ausgezeichnet.

Die metallischen Gläser entstehen durch einen schnellen Abkühlungsprozess, der die Bildung kristalliner Strukturen verhindert. Um die Materialien weniger anfällig für Brüche zu machen, lässt man in der ungeordneten Glasstruktur durch gezielte Wärmebehandlung möglichst viele kleinste Kristalle wachsen, die im besten Fall nur wenige Tausend Atome beinhalten.

Nanokristalle

"Bisher ist man nach dem Trial-and-Error-Prinzip vorgegangen, hat Materialien hergestellt und ihre Eigenschaften überprüft", erklärt Gammer. "In unserem Projekt werden hingegen metallische Gläser mit genau vordefinierten Nanokristallen hergestellt. Wir nehmen dann kleinste Proben. Diese beobachten wir, während wir sie unter einem Transmissionselektronenmikroskop, das sogar noch einzelne Atome abbilden kann, verformen." Auf diese Art können die Dehnungseigenschaften systematisch erhoben und mit Simulationen verglichen werden.

Den Ausgangspunkt für Gammers Beschäftigung mit metallischem Glas bildete ein Aufenthalt an der Berkeley University in Kalifornien im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums des FWF von 2013 bis 2015. Davor hatte er technische Mathematik an der TU Wien und Physik an der Uni Wien studiert. Das Physik-Doktorat führte ihn zur Elektronenmikroskopie. Der in Wien geborene und aufgewachsene Gammer lebt mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Töchtern nahe seinem Arbeitsplatz im ländlich geprägten Leoben. Einen Kontrast bilden ausgedehnte Reisen. Gammer: "Zumindest einmal pro Jahr kehren wir nach Kalifornien zurück – auch um Forschungskontakte zu pflegen." (Alois Pumhösel, 8.7.2019)