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Das Intendanten-Karussell der Oper dreht sich europaweit. Gesucht werden Profis mit Auslastungskompetenz.

AP, AFP , APA , imago

Wien – Alexander Pereira, jenem Opernzampano, der Dominique Meyer als Intendant der Mailänder Scala weichen muss, wird Unrecht getan. Während er ins Eck des konservativen, star- und kitschversessenen Zirkusdirektors der hohen Töne geschoben wird, wirkt er bei Nahsicht als Figur, in der sich Sehnsüchte, Probleme und Widersprüche des Genres samt Finanzfragen zeitgeistig mixen.

Pereira ist der Maßlose unter den Intendanten, ein "Ich gebe allen alles und noch ein bisschen mehr"-Arienmanager. Schon als Salzburger Festspielchef ließ er – zum Schrecken des Kuratoriums – Programme wuchern. Dabei hat er jedoch auch Regisseur Stefan Herheim zur spannendsten "Meistersinger"-Inszenierung der letzten Jahrzehnte verholfen.

Noch eine Saison

Natürlich kam es an der Scala zur Premierenvermehrung, Quantität und Vielfalt wurden Konzept. Pereira übernahm auch Produktionen aus seiner Salzburger Zeit, brachte Stars. Während allerdings die Wiener Staatsoper, die Meyer noch eine Saison lang leiten wird, etwa beim International Opera Award leer ausgeht, hat Mailand zuletzt gar den Preis für die beste Uraufführung des Jahres eingeheimst (Kurtágs "Fin de partie").

Mit den Saudis

Dass seinem Wunsch nach Verlängerung nicht entsprochen wurde, ist auch seinem größten Talent geschuldet – jenem als Sponsorenjäger: Pereira plante mit Saudi-Arabien einen Deal, der der Scala 15 Millionen Euro beschert hätte. Kulturminister Prinz Badr bin Farhan Al Saud hätte allerdings gar einen Platz im Scala-Aufsichtsrat erhalten sollen. Skandal.

Hier hatte Pereira das Gefühl für das, was einem Kulturtempel ethisch zumutbar ist, verlassen. In dieser Geldsuche spiegelt sich jedoch grotesk, aber symptomatisch der Zwang, der Sparsamkeit des Staates zu entrinnen. Opernhäuser sind per se Geldfressmaschinen. Auch die nachrückende Intendantengeneration wird europaweit damit zu kämpfen haben.

Im Sinne der Vorsicht

Insofern ist die Entscheidung für Meyer eine Problemlösung im Sinne der Vorsicht; an die der Wunsch gekoppelt scheint, solides Verwalten möge für Stabilität und hohe Auslastung sorgen. Dass Meyers ruhige Wiener Hand auch eine fade sein kann, wird dabei sogar zum Asset. Meyers eher rückwärtsgewandte ästhetische Regievorlieben begleiten eine nahezu hundertprozentige Auslastung.

Es geht allerdings auch mutiger, finanzielle Stabilität und künstlerische Modernität sind kein Widerspruch: Ein Stéphane Lissner zeigt es sogar an der Pariser Oper. Barrie Kosky verbreitet aktuelles Leben an der Komischen Oper Berlin. Und Nikolaus Bachler tut es an der Bayerischen Staatsoper. Letzterer erbringt den Beweis, dass Quote und Experiment auch bei einem Riesentanker möglich sind. Während es sein Erbe in München, Serge Dorny, also nicht leicht haben wird, das Niveau zu heben, darf sich Meyers Nachfolger an der Staatsoper, Bogdan Roščić, glücklich schätzen. Da Meyer das Haus am Ring recht museal eingefärbt hat, wird es unschwer zu erneuern sein.

Vorsicht vor Krise

Dies wird auch als vorbeugende Maßnahme dienen. Sollte sich nämlich die finanzielle Situation angesichts einer möglichen Krise zuspitzen, die den Spardruck auf die Staatsbudgets wieder erhöht, wird die Unantastbarkeit der Opernhäuser generell aufgehoben werden. Gestellte Fragen nach deren Relevanz werden durch Konzerte in Kostümen, die stereotype Menschenbilder transportieren, jedoch nicht zu beantworten sein.

Als aus der Zeit gefallene Institutionen, welche die Gegenwart aussperren, werden die Häuser also langfristig kaum überleben. Sie können sich jedoch zeitgenössisch positionieren, die Tradition pflegen, selbige jedoch auch ins Heute übersetzen. Eingezwängt zwischen ökonomischer Fragilität, konservativ erzogenem Publikum und der Notwendigkeit, nicht gestrig zu wirken, scheint dies fast unmöglich. Revolution muss aber nicht sein. Stete Evolution hingegen durchaus – auch für ein Repertoirehaus.

Wien wird spannend

Roščić hat einen weiteren Grund, sich nicht auf dem historischen Ruhm des Hauses auszuruhen. Im Theater an der Wien wird 2022 Stefan Herheim, weiter einer der Regisseure, Intendant. Er dürfte versuchen, so zu punkten wie Nochintendant Roland Geyer. Dieser hat Meyer – was Originalität anbelangt – international den Rang abgelaufen. Dieses Schicksal will Roščić sicher nicht erleiden. Wien wird also schon von der personellen Konstellation her bald spannender wirken als Mailand. (Ljubiša Tošić, 5.7.2019)