Der Himmel hängt voller Räder. Brüssel hat sich herausgeputzt zum Start der 106. Tour de France.

Foto: APA/ AFP/JEFF PACHOUD

Bild nicht mehr verfügbar.

Belgiens Hauptstadt erinnert an den ersten Toursieg von Eddy Merckx vor 50 Jahren.

Foto: Reuters/Francois Lenoir

Bild nicht mehr verfügbar.

Ob Titelverteidiger Geraint Thomas (oben) r'eddy ist, bleibt abzuwarten.

Foto: REUTERS/Benoit Tessier

"Ich bin ein ziemlich kompletter Fahrer", sagt Patrick Konrad.

Foto: APA/EXPA/JFK

Cool bleiben, sich nicht stressen lassen, abwarten, sich ergebende Chancen ergreifen, im richtigen Moment da sein. Klingt so einfach, ist so schwierig. Patrick Konrad sagt es sich seit Tagen vor, immer wieder, immer öfter. Am Mittwoch ist er nach Brüssel geflogen, wo dieser Tage nicht nur europäische Politgrößen, sondern auch die besten Radrennfahrer der Welt zusammenkommen. Konrad (27) ist einer von ihnen, er nimmt seine zweite Frankreichtour und seine insgesamt fünfte große Landesrundfahrt (Tour, Giro, Vuelta) in Angriff.

Im Vorjahr hat der Niederösterreicher als Siebenter im Giro d'Italia sein erstes Top-Ten-Resultat erreicht, am 28. Juli in Paris will er das zweite verbucht haben, nach insgesamt 3476 Kilometern, die sich auf 21 Etappen verteilen. Konrad ist einer von zwei Kapitänen des deutschen Bora-Hansgrohe-Teams, das in Lukas Pöstlberger und Gregor Mühlberger auf zwei weitere Österreicher setzt. Marco Haller, quasi die Nummer vier, nimmt für das russische Katjuscha-Team seine vierte Tour en suite in Angriff.

Patrick Konrad hat keine Schwächen.
Foto: APA/AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Auf ein gutes Gesamtergebnis darf allein Konrad hoffen, der zuletzt mit Rang drei bei der Tour de Suisse und seinem Soloritt zum heimischen Meistertitel viel Selbstvertrauen tankte. "Das waren zwei Riesenerfolge für mich", sagt der Sohn des Exleichtathleten und Vienna-City-Marathon-Veranstalters Wolfgang Konrad. Seinen Formhöhepunkt will er freilich erst in Frankreich erreichen, wo er sich nicht nur insgesamt, sondern auch an einzelnen Tagen einiges zutraut.

Konrads größte Stärke ist, dass er keine Schwäche hat. "Ich bin", beschreibt er sich, "ein ziemlich kompletter Fahrer." Welche Etappen ihm liegen könnten? "Da gibt es viele Szenarien, die vorstellbar sind. Schwere Etappen liegen mir sicher. Ich kann theoretisch aus einer Fluchtgruppe heraus am Berg gewinnen, aber ich bin auch endschnell." Allein in einem Massensprint wird man ihn am Ende nicht ganz vorn sehen, da hat Bora ein ganz anderes Ass im Ärmel, Peter Sagan. Der Slowake war dreimal Weltmeister, bei der Tour hat er elf Etappensiege gefeiert und sechsmal die Punktewertung des besten Sprinters gewonnen, zuletzt im Vorjahr.

Dass sich die Verantwortung auf viele Schultern verteilt, nimmt Druck von Konrad. Er sieht sich auch nicht in Konkurrenz zum zweiten Bora-Kapitän, dem Deutschen Emanuel Buchmann. "Viele Teams setzen auf zwei Kapitäne, das ist normal. In einer dreiwöchigen Tour kann viel passieren, da ist es klug, nicht nur ein Eisen im Feuer zu haben."

Die Dominatoren

Das Team Ineos etwa, das bis vor kurzem unter Sky firmierte, fährt eine ganz ähnliche Strategie. So hat die Equipe in diesem Jahrzehnt sechs Tour-Erfolge errungen. Doch der dreimalige Sieger Chris Froome fiel für die Tour aus, als er bei einem Sturz Anfang Juni einen Oberschenkelbruch erlitt. Und der walisische Titelverteidiger Geraint Thomas konnte heuer noch nicht überzeugen.

Der Ausgang der Großen Schleife ist offen wie selten zuvor. Bei Ineos könnte der Kolumbianer Egan Bernal (22) – vielleicht sogar als erster südamerikanischer Gesamtsieger – aus dem Schatten von Thomas treten. Den Italiener Vicenzo Nibali (Bahrain-Merida), der 2014 für Astana die Tour gewann, den Australier Richie Porte (Trek) und den Dänen Jakob Fuglsang (Astana) sollte man auf der Rechnung haben. Natürlich hoffen die Franzosen wieder einmal auf einen Heimsieg, das tun sie vergeblich seit 1985, als Bernard Hinault zum fünften Mal gewann. Thibaut Pinot (Groupama) und Romain Bardet (AG2R) sind Träger der Hoffnung.

Österreichs Radsport ist heuer nicht nur dank Konrad, sondern auch durch die "Operation Aderlass" aufgefallen. Stefan Denifl und Georg Preidler, die Eigenblutdoping zugegeben hatten, wurden vier Jahre gesperrt. "Die Idioten sterben halt nicht aus", sagt Konrad. "Aber Idioten gibt es in allen Bereichen, nicht nur im Sport. Würde es keine Idiotie geben, würden wir alle ernsthaft etwas gegen den Klimawandel tun." (Fritz Neumann, 5.7.2019)