Charmante, industrielle Seele: Wo einst Lokomotiven gebaut und repariert wurden, befindet sich nun die neue Stadtbibliothek von Tilburg.

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Ein ehemaliges Autobahnstück in Seoul dient heute als Skygarden für Menschen.

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Und so oder so ähnlich könnten eines Tages mikroklimatische Algengärten aussehen.

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Die alten Farb- und Lackschichten haften an den genieteten Stahlsäulen, mal rot, mal grün, mal magenta, und in der Luft, ist man fast geneigt zu glauben, liegt noch der Duft von Ruß und schwerem Maschinenöl, gerade so, als sei die letzte Lok vor wenigen Minuten erst aus der Halle geschoben worden. Aber das, sagt er Architekt, sei pure Absicht gewesen, denn wenn man schon die Möglichkeit habe, mit so einem Raum zu arbeiten, dann müsse man auch den Mut aufbringen, seinen unverwechselbaren Charakter, so gut es eben geht, zu bewahren.

"Die Lokomotivhalle wurde 1932 errichtet, und wahrscheinlich gibt es in ganz Tilburg keinen einzigen Einwohner, der nicht irgendjemanden kennt, der nicht irgendwann einmal hier gearbeitet oder sich zumindest mal nachts in die Werkstatt der Nederlandse Spoorwegen hineingeschlichen hat", sagt Gert Kwekkeboom, Partner im holländischen Büro Civic Architects, das das Projekt gemeinsam mit Braaksma & Roos, Petra Blaisse, Mecanoo und Donkergroen auf Schiene gebracht hat. "Diese Halle ist ein emotionales Denkmal, das im kollektiven Gedächtnis dieser Stadt fest verankert ist. Schön, dass sich die Stadtregierung dazu entschieden hat, das Bauwerk zu erhalten und hier die neue Stadtbibliothek anzusiedeln."

Netzwerken und Wissensvermittlung

Wo einst Loks geflickt, geschweißt, geschraubt wurden, befindet sich nun eine Werkstatt des Netzwerkens und der Wissensvermittlung. Die vor wenigen Monaten eröffnete LocHal, so der offizielle Titel, beherbergt nämlich nicht nur die städtische Bücherei, sondern auch Café, Coworking-Spaces und anmietbare Event- und Konferenzräume. Im Zuge der Revitalisierungsmaßnahmen wurden die einst 5000 Quadratmeter mittels eingezogener Podeste, umlaufender Galerien und dramatischer Stiegenlandschaften zum Gehen, Sitzen, Lümmeln auf 11.000 Quadratmeter mehr als verdoppelt.

"Es war ein sehr lustvolles Projekt, in dem wir intensiv mit Restauratoren und mit der Denkmalschutzbehörde zusammengearbeitet haben", erinnert sich Kwekkeboom. "Die größte Herausforderung bei alledem war zweifelsohne die Haustechnik, denn so ein einst industriell genutztes Baudenkmal erlaubt es nicht, mit Wärmedämmung, Dreischeibenverglasung und gewohnten Klimakomfortvorstellungen zu agieren – zumindest nicht, wenn man den Genius loci nicht komplett umbringen will."

Die Lösung: Der Großteil der Halle wurde als witterungsgeschützter Außenraum gedacht, in dem man im Sommer mitunter ins Schwitzen kommt, während einem der Kellner im Stadscafé im Winter bei Bedarf eine Wolldecke serviert. Temporäre Aufenthaltszonen wie etwa Lesebereiche, Bühne und Auditorium können mit riesigen, vom Stahlfachwerk herabhängenden Vorhängen abgetrennt und lokal beheizt oder gekühlt werden. Lediglich ständige Arbeitsbereiche wie etwa Coworking-Büros, Konferenzräume und der gesamte Verwaltungsapparat befinden sich in thermisch abgetrennten Haus-in-Haus-Zonen, die mit gewohntem Innenraumklima aufwarten. Kwekkeboom, lapidar: "Wer die Seele schützen will, muss Kompromisse eingehen."

Von Alpha bis Omega

Das 18 Millionen Euro teure Bauwerk, das im Mai vom niederländischen Publikum zum "Besten Gebäude des Jahres" gekürt wurde, ist eines von insgesamt 23 Projekten, die derzeit im Museum für angewandte Kunst (Mak) in der Ausstellung Space and Experience zu sehen sind. Ausgewählt wurden Architekturprojekte und Raumideen, die auf technische, ökologische oder auch soziale Weise innovativ sind und einen gewissen Mehrwert in die aktuelle Architekturdiskussion einzahlen.

"Das gute Leben umfasst leistbares Wohnen, einen anständigen Job und eine funktionierende Infrastruktur", sagt die Kuratorin und Kulturwissenschafterin Nicole Stoecklmayr. "Aber was zeichnet ein besseres Leben aus? Die Antwort, die diese Ausstellung gibt, beinhaltet einen gewissen Lustfaktor und Abenteuerwert, der sich sowohl in der räumlichen Erfahrung als auch in der Forschung und Entwicklung von Architektur niederschlägt." Also eigentlich alles von Alpha bis Omega.

So gesehen ist es auch legitim, dass die Ausstellung mehr in die Breite als in die Tiefe geht. Gezeigt werden 3D-gedruckte Gartenskulpturen, die mit grünem Algengetier für ein besseres Raumklima sorgen sollen ( H.O.R.T.U.S. XL Astaxanthin.g, ecoLogicStudio, Claudia Pasquero und Marco Poletto), stillgelegte Autobahnen, die das postfossile Zeitalter einläuten, indem sie zu grünen Parks umfunktioniert werden (Seoul Skygarden, MVRDV) sowie Gartenlandschaften, die von Robotern für Roboter geplant und gebaut werden (Robot Garden, University of Michigan, Ann Arbor, SPAN Architects). Die Zukunft kann und will und soll kommen. Eine abenteuerliche Reise. (Wojciech Czaja, 7.7.2019)