Touristen, die in einem der wenigen Gästezimmer übernachten, müssen ihr Fahrzeug im Inntal stehen lassen. Als Teil des Kaisergebirges steht das Kaisertal unter Naturschutz.

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Wenn die Almwiesen rund um Kufstein blühen, rücken die Kräuterexpertinnen aus.

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Es überrascht, wie viele Heilkräuter den Weg säumen: Nelkenwurz, Hornklee, Quendel, Stinkender Storchenschnabel, Bergsalbei und der bei Insektenstichen hilfreiche Spitzwegerich, um nur einige zu nennen.

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Weitblick von der Ritzau-Alm im Kaisertal.

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Auf Wanderungen erklären sie Besuchern, was da am Wegrand wächst und wozu es gut ist.

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Vor einigen Jahren hat man rund um Kufstein Gesundheitstourismus als wichtiges Standbein definiert.

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Der Aufstieg ins Kaisertal bei Kufstein ist einfacher als gedacht. 340 Stufen sind zu überwinden, etwa so viele wie auf den Südturm des Wiener Stephansdoms, aber sie sind vergleichsweise niedrig und breit. Dementsprechend beliebt sind die im Kaisertal bewirtschafteten Almhütten bei den Bewohnern der Region. Schon vormittags um halb elf an einem Wochentag kommen uns einige Damengrüppchen entgegen – in den
Bergen zu frühstücken liegt im Trend.

Immer wieder gibt der Mischwald Postkartenausblicke auf das Inntal und die Kufsteiner Festung frei. Doch mehr noch interessieren uns die Gräser am Wegrand – oder besser gesagt die Kräuter, denn wir werden von der Kräuterexpertin Maria Bachmann begleitet. Tags zuvor gab sie uns im Kräutergarten vor dem Kurhotel in Bad Häring eine Einführung in die Kräuterlehre von Hildegard von Bingen. Nun feiere ich bereits nach wenigen Metern das erste Erfolgserlebnis: Dost!

Stimmungsheber

Zweiundvierzig Jahre lang bin ich unwissend an dieser unscheinbaren Pflanze vorbeigelatscht, die auch unter den Bezeichnungen Gemeiner Oregano und Wilder Majoran bekannt ist. Das hat jetzt ein Ende. Der aromatische Geschmack ihrer Blätter hat es mir angetan, alle paar Meter zupfe und koste ich. Dost soll die Stimmung heben, ein wenig naschen kann also nicht schaden.

Bachmann ist davon überzeugt, dass Kräuter genau dort wachsen, wo die Menschen sie benötigen. Es sei kein Wunder, dass an Wegesrändern häufig der Huflattich zu finden ist, dessen entzündungshemmende Blätter auf Schürfwunden gelegt werden können. Uns überrascht, wie viele Heilkräuter den Weg säumen: Nelkenwurz, Hornklee, Quendel, Stinkender Storchenschnabel, Bergsalbei und der bei Insektenstichen hilfreiche Spitzwegerich, um nur einige zu nennen. Groß ist Bachmanns Freude, als sie das seltene Echte Labkraut entdeckt, dem von der Volksmedizin eine heilende Wirkung bei Nieren- und Blasenerkrankungen nachgesagt wird.

Oberhalb der Stufen öffnet sich eine kleine Lichtung. "Hier haben früher immer die Geländewagen geparkt", sagt Bachmann. Sie meint die Zeit vor dem Tunnel. Bis vor elf Jahren lebten die Bewohner des Kaisertals noch abgeschiedener als heute. Der Weg über die Stufen war – auch für Kinder auf ihrem täglichen Schulweg – die einzige Möglichkeit, das Tal zu verlassen. Güter wurden über eine Lastenseilbahn befördert, die Straßen waren quasi ein rechtsfreier Raum, mit Autos ohne Kennzeichen. Nur die rund dreißig Einwohner dürfen den Tunnel heute benutzen, das soll die Ruhe im Kaisertal bewahren. Selbst Touristen, die in einem der wenigen Gästezimmer übernachten, müssen ihr Fahrzeug im Inntal stehen lassen. Als Teil des Kaisergebirges steht das Kaisertal unter Naturschutz.

Als Unkraut diffamiert

Wir pflücken einzelne Blätter und Blüten, keine ganzen Pflanzen. Mein Favorit sind die gelben Bocksbart-Blüten, in den Alpen eine klassische Kindernascherei, deren Aroma an Piña Colada erinnert. Am Rande von bewirtschafteten Almwiesen, die kurz vor dem Mähen stehen, sammelt Bachmann einen bunten Strauß aus blühenden Kräutern, darunter der von Gärtnern allzu oft als Unkraut diffamierte Giersch. "Ich sage den Leuten gerne: Freut euch doch! Giersch könnt ihr essen oder für ein Basenbad verwenden." Die Bergwanderführerin aus dem Festspielort Erl ist eine beliebte Ratgeberin, wie wir auf der Tour feststellen. Man kennt sie, immer wieder werden wir von Wanderern aufgehalten, die Fragen an sie haben.

Wir spazieren bis zum alten Hinterkaiserhof hinter der Antoniuskapelle. Wirklich idyllisch. Auf drei Seiten ragen die Berge empor, gekrönt wird die Kulisse von den Zacken des Wilden Kaisers – verständlich, dass das Kaisertal in einer TV-Sendung einmal zum schönsten Ort Österreichs gewählt wurde, auch wenn solche "Wahlen" mit Vorsicht zu genießen sind.

Regeneration

Im Hinterkaiserhof erwartet uns die Hausherrin Barbara Schaffer bereits mit einer phänomenalen Brettljausn aus hausgemachtem Geselchten, Speck und Tiroler Kaminwurz sowie selbstgebackenem Brot. Vor ihrem Haus bewirtschaftet die Bäuerin einen großen, eingezäunten Gemüsegarten. Interessiert zerpflückt sie den mitgebrachten Kräuterstrauß: "Wo habt ihr das gefunden?" – "Was ist das?" – "Wogegen hilft das?" Bachmann setzt ihre Lektion fort, bevor der Strauß zerhackt und mit Topfen zum einem Dip verrührt wird.

Vor einigen Jahren hat man rund um Kufstein Gesundheitstourismus als wichtiges Standbein definiert. Der Hintergrund: Im Kurort Bad Häring hat vor drei Jahren ein modernes Gesundheitsresort namens Das Sieben eröffnet. Das Ayurveda-Hotel Sonnhof in Hinterthiersee arbeitet wiederum seit mehr als einem Jahrzehnt an der Schaffung einer europäischen Variante der traditionellen indischen Heilkunst, bei der auch lokale Kräuter einfließen. Neben dem Regenerationstourismus wurden also dezidiert die heimischen Kräuter als Kernthema erkannt. Man möchte diese aber nicht bloß für den Tourismus vermarkten, sondern sie über den Bildungsbereich oder in der Gastronomie ebenso den Einheimischen näherbringen – also durchaus auch den Bauern auf ihren Almhütten.

Rehabilitation der Kräuterhexen

Geführte Kräutertouren, die schon seit langem angeboten werden, sind dadurch ebenso in den Fokus gerückt wie themenbasierte Kräutergärten. Neben dem Garten vor dem Kurhotel in Bad Häring gibt es sieben weitere, beispielsweise am Thiersee und direkt an der Kufsteiner Festung. Man besinnt man sich wieder – im besten Sinne – seiner "Kräuterhexen". Rund 130 unterschiedliche Heilkräuter können in Hinterthiersee in der öffentlich zugänglichen Kräuterwelt von Christine Kirchmair entdeckt werden.

Kirchmair hat eine Ausbildung als Heilpraktikerin, darf diesen Beruf in Österreich aber nicht ausüben. Stattdessen hält sie Workshops ab, organisiert Kräuterstammtische und führt jeden Dienstag durch ihr Kräuterreich – eine fabelhafte Erfahrung. Dort lernt man etwa, woher der Beifuß seinen Namen hat: Er wurde früher in die Schuhe gelegt, um die Füße zu beleben. Oder das Lungenkraut: Es wird auch Hänsel und Gretel genannt, weil es rosa- und blaufarbige Blüten ausbildet. Und die würzige Eberraute? Empfiehlt sie Kindern gerne als gesunde Alternative zu Cola.

Auch persönliche Entdeckungen sind möglich. Für mich ist es die Weinraute, eine toxikologisch nicht unbedenkliche Heilpflanze, deren angebliche Wirkung wissenschaftlichen Untersuchungen meist nicht standhalten kann. Sie schmeckt grauenhaft, wie ich meine. Meine Frau hingegen findet ihre Blätter köstlich. Kein Wunder: Bei Männern soll sie die Lust mindern, bei Frauen indes fördern. (Stephan Burianek, 10.7.2019)