Die Proteste im Sudan wurden vermehrt von Frauen getragen. Das Bild der "Kandaka" ging im April um die Welt.

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Wenn heute der militärische Übergangsrat und Vertreter der Zivilbevölkerung im Sudan einen Kompromiss schlossen, dann ist das ein Etappensieg für eine Bewegung im Sudan, die seit Dezember auf den Straßen Druck macht. Ein folgender Militärputsch brachte im April Omar al-Baschir, der fast 30 Jahren den Sudan regierte, zum Sturz. Ein Militärrat (Transitional Military Council, TMC) übernahm die Regierungsgeschäfte. Im TMC sitzen auch ehemalige Mitglieder der berüchtigten Janjaweed, einer Miliz, die in Darfur für Kriegsverbrechen verantwortlich sein soll. Am 3. Juni richtete das Militär an der Zivilbevölkerung ein Massaker an, zu dem nur langsam Details an die Öffentlichkeit gelangen.

Und trotzdem gehen die Zivilisten weiterhin auf die Straße. Erst am Sonntag gab es bei Massenprotesten wieder etliche Tote. 70 Prozent der Demonstranten sollen Schätzungen zufolge Frauen sein. Zahra (Name von der Redaktion zu deren Schutz geändert, Anm.) ist eine von ihnen und erzählt dem STANDARD per Skype über die kritischen vergangenen Wochen und Monate in ihrem Land.

STANDARD: Wie haben Sie die letzten Monate in Khartum erlebt?

Zahra: Ich bin von Anfang an, also seit Dezember, bei den Protesten dabei. Der Tag, nachdem Baschir gestürzt wurde, war wie ein Festival. Wir waren im Anschluss einen Monat vor dem Verteidigungsministerium im Sitzstreik. Es war unglaublich, eine friedliche Revolution, Künstler waren aktiv, Menschen haben Essen und Ideen ausgetauscht. Man hat begonnen, sich Gedanken zu machen: Was werden wir nach der Revolution machen? Welche Ausstellungen soll es im Museum geben? Vor allem für den vorletzten Tag des Ramadan, also den 3. Juni, haben die Leute ein großes Zusammentreffen in Khartum geplant. Die Armee hatte versprochen, nicht zu schießen.

Aber knapp davor, um 5 Uhr in der Früh, kamen sie und haben Menschen umgebracht. Sie haben sie mit Steinen in den Nil geworfen. Sie sind Leuten in ihre Häuser gefolgt, um sie zu töten. Sie habe Frauen vergewaltigt. Und sie haben Zelte angezündet, in denen sich Menschen befanden. Die Soldaten waren nicht von unserer sudanesischen Nationalarmee, sondern von den Janjaweed, die nun die Macht übernommen haben. Nun sind sie überall in Khartum, in jeder Straße. Und seitdem forderten wir eine internationale Untersuchung des Massakers. Zweitens wollen wir unsere Internetverbindung zurück. Drittens wollen wir das Ende der Militärregierung.

STANDARD: Warum hat das Militär am 3. Juni die zivilen Sitzstreiks so brutal niedergeschlagen?

Zahra: Weil es die Stärke der Revolution war, wenn sich alle Sudanesen vereinigen. Viele Demonstranten kamen auch von außerhalb Khartums. Also mussten sie die Proteste zerschlagen. Als sie geschossen haben, als sie Dinge zerstört haben, haben sie die Revolution zerstört – so dachten sie. Außerdem wollten sie die Menschen verängstigen und den Widerstand stoppen. In den Tagen nach dem Massaker war das auch erfolgreich. Sie haben auch das Internet blockiert.

STANDARD: Wie bleiben die Aktivisten nun untereinander in Verbindung?

Zahra: Über Telefonverbindungen und SMS. Es gibt einige wenige funktionierende Router. Es werden auch viele Flyer verteilt und Treffen von Komitees abgehalten. In den vergangenen Tagen gab es hauptsächlich Proteste in der Nacht, weil es ein offizielles Urlaubsverbot gab. Es gab die Anordnung, dass jeder immer arbeiten gehen muss. Ich denke, was am 3. Juni passiert ist, war eine Kopie von Ägypten. Nur wenige Tage davor waren einige Militärchefs dorthin gereist. Nun machen sie hier das Gleiche.

STANDARD: Wie haben die Proteste Ihren Alltag verändert?

Zahra: Wir gehen arbeiten, Jugendliche gehen in die Schule oder zur Uni, aber niemand interessiert sich dafür. Es ist nicht klar, was passieren wird. Und die Universität von Khartum wurde zerstört und geplündert. Sie befindet sich in der Nähe des Hauptplatzes der Proteste und hatte den Demonstranten die Tore geöffnet.

STANDARD: Was haben Sie gedacht, als Sie hörten, dass die Janjaweed kommen?

Zahra: Wir hatten Angst, weil wir wissen, was sie in Darfur getan haben. Wir befürchteten, dass das Gleiche, was in Darfur geschah, in Khartum passieren würde. Und so war es dann auch. Die Nationalarmee war machtlos, weil die Janjaweed den Soldaten die Waffen abgenommen hatten. Die Macht ist nun bei den Janjaweed. Und das sind nicht nur Sudanesen, sondern auch Söldner aus dem Tschad oder dem Kongo. Wir wissen, wie diese Leute mit den Menschen hier umgehen.

STANDARD: Waren Sie am 3. Juni bei den Protesten?

Zahra: Als das Massaker um 5 Uhr begann, war ich zu Hause, wie die meisten von uns. Nur junge Männer und einige Krankenschwestern, die immer die Stellung hielten, waren da. Ich habe ab 6 Uhr über Whatsapp davon erfahren. Und ab 7 oder 8 Uhr haben wir Schüsse gehört und Autohupen. Ab 8 Uhr begannen die Leute überall zu demonstrieren. Ganz Khartum war dann auf den Straßen.

STANDARD: Wie ist die Situation für Frauen?

Zahra: Eine der größten Sorgen ist, dass der Militärrat unter der Janjaweed die Situation von Frauen sehr verschlechtert. Die Situation ist für Frauen viel gefährlicher als für Männer. Vergewaltigung als Waffe einzusetzen ist neu in Khartum. Bei früheren Aufständen hat nie jemand Frauen angerührt. Hemitis (Anm.: Mohammed Hamdan Daglo, Vizechef des Militärrats) Politik richtet sich aber gegen Frauen. Dabei waren es vor allem Frauen, die die Demonstrationen geführt haben. Wir nennen sie "Kandaka", ein alter Begriff für Königinnen Nubiens. Das ist der Grund, warum sie nun so aggressiv gegen Frauen agiert haben.

STANDARD: War es nicht gefährlich, nach dem 3. Juni weiterhin auf die Straßen zu gehen?

Zahra: Ja, aber wir haben keine Angst mehr. Die Menschen des Sudans haben aufgehört, sich zu fürchten, weil sie jetzt alles gesehen haben, wozu die Armee fähig ist. Die Welt hat sehr spät begonnen, unseren Protesten zu folgen. Aber jetzt schaut sie zu. Die Menschen haben keine Angst mehr, weil sie auch wissen, dass die Uno und andere internationale Organisationen zuschauen.

STANDARD: Das heißt, die Hoffnung liegt in den internationalen Organisationen?

Zahra: Nicht alle Länder unterstützen uns: China, Russland, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien stehen hinter dem Militär. Daher liegt es an der Uno, an der Afrikanischen Union und an der EU, Druck auf diese Länder auszuüben. Das ist unsere einzige Hoffnung. (Anna Sawerthal, 6.7.2019)