Wenn wir über Fußball reden, dann meinen wir Männerfußball. Männerfußball sagt man aber nicht, denn er ist die Normalität. Zur Fußball-WM der Frauen in Frankreich, die an diesem Wochenende in Lyon ins Finale geht, hat lediglich der deutsche Spiegel die Geschlechtermarkierung weggelassen und tickert online sichtbar aktuelle Spiele und Spielstände, während man bei den meisten Medien immer noch nach Beginnzeiten, Ergebnissen oder Berichterstattung suchen muss.

Wenn über Frauenfußball gesprochen und geschrieben wird, ist zuallererst (immer noch) Rechtfertigung im Spiel, warum es überhaupt Fußball spielende Frauen gibt, dazu gehören Erläuterungen, dass das Spiel schneller und interessanter geworden ist, die Rasanz dieser Entwicklung, aber auch Abbildungen schöner respektive weiblicher (sexy) Fußballerinnen – auch dies Entschuldigung und Ausweichmanöver.

Megan Rapinoe hat mit ihrem US-Team am Sonntag gute Chancen, Fußballweltmeisterin zu werden.
Foto: APA/Francisco Seco

Noch zur 2011er-WM in Deutschland sollen die "Mannweiber- und Lesbenklischees" werbewirksam durch neue Bilder ersetzt werden (die besser ins patriarchalische Weltbild passen), und heuer sponsert die Commerzbank einen ironischen Spot mit deutschen Nationalspielerinnen, die sich darüber lustig machen, dass sie keine Eier brauchen, weil sie Pferdeschwänze haben. Gut gemeint ist es bestimmt, aber ein Hinweis darauf, dass die Überschreitung der Geschlechtergrenzen nach wie vor höchst problematisch ist.

Anders ist es in den sozialen Netzwerken, wo Expertinnen und Experten, Fans und Interessierte wie beim "normalen" Fußball darüber kommunizieren, was sie beschäftigt: schöne Tore und Paraden, Aufstellungen, Taktiken, Chancen, Niederlagen, Trainerinnen- und Trainerentscheidungen, Lifestyle und politische Einstellungen einzelner Spielerinnen und so weiter.

Verbote für Fußballerinnen

Die Geschichte des Fußballspiels wurde erst vor rund hundert Jahren in Männerfußball einerseits und vorübergehend attraktiven, aber kaum geduldeten bzw. bald verbotenen Frauenfußball andererseits getrennt. Man weiß vielleicht nicht, wer genau ab dem 5. Jahrhundert in China gekickt hat, in England ab dem 12. Jahrhundert taten es alle. Über Stunden gingen diese Volksspiele, an denen sich ganze Dörfer – Männer, Frauen, Kinder – beteiligten und die auch sonst kaum reguliert waren.

Als Geburtsjahr des modernen Fußballs für Männer wie Frauen gilt das Jahr 1863, als die englische Football Association (FA) – eine Art Vorgängerorganisation der Fifa – gegründet wurde. Ab nun gibt es beachtliche Zahlen und weniger erstaunliche Verbote für Fußballerinnen. 1895 sehen 10.000 Zuschauer ein Frauenfußballspiel, das professionell nach FA-Regeln abgehalten wird. England-Nord vs. England-Süd, und die Namen der Spielerinnen, die in wallenden Knickerbockern auflaufen, sind überliefert.

In England ist Frauenfußball bis in die 1920er-Jahre so attraktiv und finanziell erfolgreich, dass die FA Konkurrenz für den Fußball der Männer fürchtet. Die Dick Kerr's Ladies (später FC Preston Ladies) füllen große Stadien, ein Spitzenspiel gegen die St. Helens Ladies in Everton wird 1920 von 53.000 Zuschauern verfolgt.

"Mannsweiber"

Im Jahr 1922 verbietet die Football Association offiziell, dass ihre Mitgliedsvereine die Plätze Frauen überlassen – ab nun entzieht man dem Frauenfußball wortwörtlich den Boden. Die fadenscheinigen Begründungen dieses Verbots – Gefährdung der weiblichen Gebärfähigkeit sowie Fehlen der grundsätzlichen körperlichen Eignung, moralisch-sittliche Bedenken et cetera – werden sich in den kommenden 50 Jahren in den meisten europäischen Ländern wiederholen und von allen möglichen Experten mit Thesen untermauert, die sich heute nur skurril lesen. In der Österreichischen Damenliga kommen zu den Spielen im Wiener Raum mit neun Mannschaften 3000 Zuschauer, und die Frauen spielen, bis 1938 der Nationalsozialismus Sport ausübende Frauen ausbremst und Frauenfußball verbietet.

Die Kabarettistin Lotte Specht gründet 1930 in Frankfurt am Main ein Frauenteam, das nur gegen sich selbst spielen kann, bis sich der Verein aufgrund Anfeindungen bald wieder auflöst – die Spielerinnen werden als "Mannsweiber" beschimpft und mit Steinen beworfen. Spechts Initiative ist keine rein sportliche, sondern emanzipatorisch gemeint, aber nachhaltig sind erst jene Vereine, die um des Fußballspielens per se gegründet werden.

Nach dem Wunder von Bern wollen auch die deutschen Frauen spielen, und landauf, landab bilden sich in den 1950er-Jahren Teams und wilde Ligen, man organisiert inoffiziell Länderspiele, bis der DFB 1955 schließlich den Frauenfußball offiziell verbietet, denn diese Kampfsportart sei "der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd" – geholfen hat es wenig, im Jahr darauf gewinnt eine Auswahl deutscher Frauen gegen die Niederlande 2:1. Die Spiele der Frauen werden immer wieder von Verbänden, teilweise mithilfe der Polizei, geräumt. 1963 spielt die deutsche Auswahl dennoch rund 70 Länderspiele.

Frauenfußball und Politik

Das deutsche Frauenfußballverbot gilt bis 1970 – kurz bevor in der Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt wird. Fußball spielen die Schweizerinnen schon länger. Madeleine Boll, Jahrgang 1953, bekommt als Zwölfjährige als erste Frau einen Spielerpass – aber nur, bis man bemerkt, dass der Mittelfeldspieler links mit der guten Technik ein Mädchen ist. Sie wechselt zu Gomma-Gomma in Mailand und ins Pionierland des europäischen Frauenfußballs. "La Montagna Bionda", wie die Presse Boll nennt, versteht erst später, dass sie Pionierin und Vorbild war.

Fussball ist hart und nichts für Frauen. Das scheint zumindest die Meinung des Reporters zu sein, der die Spielerinnen des FC Zürich und FC Heuried vor dem Spiel interviewt.
SRF Archiv

Vielen Frauen in der Mitte des 20. Jahrhunderts in England, Deutschland und der Schweiz geht es um Fußball, nicht um Politik, sie haben männliche Vorbilder, wollen einfach nur Fußball spielen. Ehemalige Schweizer Fußballerinnen (die bei einem inoffiziellen Ländermatch 1970 9:0 gegen die Österreicherinnen gewinnen) sehen keinen Zusammenhang zwischen den gesellschaftspolitischen Aufbrüchen um 1968 herum und den Frauenvereinen, die sich zu der Zeit überall gründen. Dennoch geben sie sich nicht damit zufrieden, dass ihnen etwas verboten sein soll, das Männer dürfen.

Sport-Information, 27. August 1971: "Keineswegs unästhetisch" sei der Frauenfußball, heißt es in diesem den Damen wohlgesonnenen Beitrag. (Video aus der ZDF-Mediathek)
deftone19

Bis zuletzt lesen sich so manche Argumente gegen Frauenfußball ähnlich wie jene gegen das Wahlrecht für Frauen. Von Verantwortung gegenüber Frauen und Mädchen spricht die Kapitänin der französischen Nationalmannschaft, Armadine Henry: Nicht nur um Fußball gehe es, sondern auch um weiblichen Stolz. Frauenfußball und Politik sind nicht zu trennen, der Status des Frauenfußballs sagt viel über die Stellung der Frauen in der Gesellschaft aus.

Respekt und Gleichstellung

Am 8. März 2019, dem internationalen Weltfrauentag, klagen 23 US-Nationalspielerinnen ihren Verband wegen Diskriminierung, es geht um Geld und um Gleichstellung, um Wertschätzung und Respekt. Die dreifachen Weltmeisterinnen, vierfachen Olympiasiegerinnen erhalten nur 38 Prozent des Lohns ihrer männlichen Kollegen, sind aber nicht nur vielfach erfolgreicher als diese, sondern spielen auch entsprechend mehr Geld ein als die US-Fußballer.

Warum ist Fußball in den USA weiblich? Interessant ist die historische These, dass der Kolonialismus Mitte des 19. Jahrhunderts eine strikte Fußballverweigerung nach sich zog und stattdessen American Football gespielt wurde. Fußball in den USA war und ist nicht als Arena der Männlichkeitsdemonstration besetzt. Hier durften Frauen spielen, weil es Männer nicht interessierte. Und weil die US-Fußballerinnen eine Tradition haben, zählen sie heute zu den besten Teams im Frauenfußball.

Um Gleichstellung bemühen sich einzelne Spielerinnen und ganze Teams auch in Dänemark, Norwegen oder Australien. Neben den Löhnen geht es um Strukturen und Anerkennung innerhalb der Verbände, die deutschen Fußballerinnen kämpfen ebenso wie ihre internationalen Kolleginnen gegen Vorurteile, Vorbehalte und Vergessen (sic!). Aber auch um mediale Wahrnehmung, Sichtbarkeit und fixe Austragungszeiten – Voraussetzung für Sponsormöglichkeiten und damit mehr Geld. Politik und Protest haben auf dem Fußballplatz nichts verloren – das ist eine gängige Floskel.

Gegen Rassismus macht sich die Fifa stark, auch gegen Homophobie – aber kaum ein männlicher Spieler würde sich als schwul outen. Cynthia Uwak, zweimal beste Fußballerin Nigerias, fliegt wegen ihrer offen gelebten Homosexualität aus dem Nationalteam und sagt mit Augenzwinkern bei einem Talk im Wiener WUK: "Nicht alle Fußballerinnen sind lesbisch."

Megan Rapinoe, die mehrere Tore für die USA in der laufenden WM geschossen hat, verweigert das Absingen der Hymne, weil sie so gegen den strukturellen Rassismus in ihrer Heimat und die Politik des Präsidenten demonstriert. Und kurz bekommt die Frauenmannschaft des Wiener FC Mariahilf medial mehr Aufmerksamkeit als die Frage, ob die US-Frauen noch jubeln dürfen, nachdem sie der gegnerischen Mannschaft aus Thailand die historisch höchste Niederlage bei einer WM zugefügt haben (13:0). Vor dem Freundschaftsspiel der Wienerinnen gegen die Frauen aus dem Vatikan demonstrieren während der Vatikan-Hymne drei Spielerinnen des FC Mariahilf mit aufgemalten Gebärmüttern gegen die Vatikan-Abtreibungspolitik, worauf der Nuntius die Römerinnen nicht spielen lässt. Dass die Demonstrantinnen auf ihre Teilnahme verzichten, hilft so wenig wie die Demontage der Regenbogenflaggen am Spielfeldrand, die nicht goutiert werden.

Viel ist von Höflichkeit und Gastgeberetikette die Rede, weniger von gegenseitigem Respekt und Dialogbereitschaft. Als 2006 der BSV Al-Dersimspor aus Berlin-Kreuzberg gegen das Team der iranischen Frauennationalmannschaft in Teheran vor ausschließlich weiblichem Publikum aufläuft – es ist das erste Spiel der Iranerinnen seit 1979 überhaupt -, demonstrieren im Stadion Frauen für ihr Grundrecht, die Spiele der Männer live im Stadion sehen zu dürfen, 2019 ist es ihnen immer noch verwehrt.

Um sich darüber hinwegzusetzen, verkleiden sich weibliche Fußballfans mit Bärten. Die Spielerinnen müssen Hidschab und lange Hosen tragen – was mittlerweile von der Fifa geduldet wird, die nicht auffällig ist, was gleiche Rechte für Frauen im Fußball angeht. In der Hallenfußballvariante Futsal ist das iranische Team der Frauen in Asien quasi ungeschlagen.

Homosexualität ist im Iran strafbar, bei Geschlechtsumwandlungen übernimmt die Krankenkasse die Hälfte der Kosten, die Frauen dürfen nicht zuschauen, und wenn sie selber spielen … was für ein Vergrößerungsspiegel für die Widerstände, denen Fußball spielende Frauen immer noch ausgesetzt sind. (Angelika Reitzer, Album, 7.7.2019)