Noch ein Drink gefällig? Da sagen Millionenerbe Anthony (in der Mitte Daniel Jesch) und seine Frau Gloria (Wanda Worch) nicht nein. Links Anthonys Buddy Dick (Claudius v. Stolzmann).

Foto: Dimo Dimov/Festspiele Reichenau

Der Alkoholkonsum ist an diesem Abend gewaltig. Manchmal stehen eine ganze Reihe Gläser bereit, die nur darauf warten, wieder aufgefüllt zu werden. "Und noch ein Whiskey," brüllt der junge Millionenerbe Anthony Patch in die Runde, bevor er wieder durch die New Yorker Nacht zieht.

Es ist die Zeit der Prohibition, als der amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald seinen Roman Die Schönen und Verdammten (1922) schrieb. Die Geschichte rund um Anthony Patch ist sein zweiter Roman, drei Jahre später wird er Der große Gatsby publizieren, eines der wichtigsten Werke der amerikanischen Moderne. Das ausschweifende, dekadente Leben, das er darin porträtierte, kennt er aus eigener Erfahrung – und auch die Finessen des Alkohols, dem sowohl er als auch seine Autorinnen-Frau Zelda Sayre zusprachen. Anders als auf seine Romanfigur wartete auf Fitzgerald kein Vermögen, das ihm ein freies Leben beschert hätte.

Es sind neben der scharfen Gesellschaftsdiagnose diese biografischen Parallelen, die den Roman reizvoll machen. Obwohl die Verkaufszahlen gut waren, erntete er bei den Kritikern durchwachsene Reaktionen und stand immer im Schatten des Großen Gatsby und Zärtlich ist die Nacht. Die Festspiele Reichenau ließen sich nicht davon abhalten und hievten eine auf zwei Stunden komprimierte, schön dahinschnurrende Theateradaption von Nicolaus Hagg auf die Arenabühne des Neuen Spielraums.

Ereignisreich, erlebnisarm

Burgschauspieler Daniel Jesch ist der Reichenauer Anthony. Fällt das Wort Arbeit, verzieht er sein Gesicht, bei dem Wort Drink hellt es sich auf. Manchmal scheint er aber auch nur neben sich zu stehen, so schnell zieht sein ereignisreiches, aber erlebnisarmes Leben an ihm vorüber. Wenn es nicht anders geht, muss er hinaus aufs Land zu seinem Großvater (eindrucksvoll Rainer Friedrichsen), der die Millionen blöderweise nicht vor seinem Ableben rausrücken will.

Warten ist das einzige, was Anthony und seiner selbstverliebten Frau Gloria (Wanda Worch) bleibt. Die Kluft zwischen der Redundanz des eigenen Lebens und den Abläufen der Geschichte, treibt die Handlung voran. Um endlich etwas zu "empfinden", zieht es Anthonys Buddies Maury (Tobias Voigt) und Dick (wunderbar schusselig Claudius v. Stolzmann) nach Europa an die Front. Zumindest einer von ihnen kehrt lebend zurück, während sich Anthony und Gloria in den Abgrund saufen. Aus Partymenschen in Lackschuhen und Flapper-Dresses werden Alkoholleichen, und wie das Regisseur Michael Gampe dramaturgisch macht, ist durchaus raffiniert.

Schnelle Szenenwechsel erhöhen das Tempo, Musikeinspielungen unterstreichen den filmischen Charakter der Theaterfassung. Mit Nebensächlichkeiten hält sich der im kargen Ambiente einer Hamptons-Villa und zweier Plexiglas-Hochhäuser spielende Abend (Bühne: Peter Loidolt) nicht auf. Als am Ende dann doch die Millionen sprudeln, ist das Leben von Anthony vorbei. Mit dem Friedensschluss ist eine ganze Generation an ihr Ende gekommen. Zumindest in Fitzgeralds Roman. In der Realität brechen die Goldenen Zwanzigerjahre erst an. Und die Partys gehen richtig los. (Stephan Hilpold, 5.7.2019)