Montag, 9.33 Uhr: Ich habe Social Media ausgeschaltet. Digital Detox. Wobei mein digitales Fasten ein Intervall-Fasten und gewohnt ist: Am oberen Bildrand meines Computers blockiert seit Jahren ein kleiner Schmetterling mit einem Klick bestimmte Seiten stundenweise. Start a Session: Meine fix eingestellte Block-List besteht aus Facebook, Instagram und Twitter, meine aktuelle Session: 23 Stunden, 55 Minuten. Your Freedom Session has started: Die gesperrten Seiten lassen sich nicht mehr öffnen, auch ein Neustart ändert daran nichts.

Ich habe "Freedom" gekauft und installiert, als ich mein erstes Buch schrieb, welches, wie alle weiteren, ohne das Programm nie fertig geworden wäre. Ich schalte fast täglich ab: meistens ein paar Stunden am Stück, nach denen ich mich dann wieder mit ein paar Stunden Social Media belohne. Zweimal habe ich meinen Facebook-Account gelöscht, aber ich bin jedes Mal zurückgekehrt, weil mir mein virtuelles Stammbeisl fehlte. Wer viel schreibt, kommt nicht viel unter Leute, und Facebook erlaubt unkomplizierten, niederschwelligen Sozialkontakt, Instant-Ansprache, das Gefühl, nicht isoliert zu sein, auch wenn man das Haus nicht oft verlässt. Selbst wenn ich auf meiner privaten Seite abgesehen von ein paar Likes unter Freundesposts wenig poste und meine offizielle Seite vor allem für das Kommunizieren von Lesungsterminen und von Links zu Artikeln verwende. Twitter benutze ich ausschließlich für Debatten-Voyeurismus, wer sagt was wozu. Instagram ist auf privat eingestellt. Niemand bemerkt’s, wenn ich mich kurz ausklinke.

Ohne digitale Ablenkung kehrt Ruhe ins Denken ein, Ordnung und Übersicht.
Foto: Frank Robert

Und was treibt Trump?

Außer mir selbst. Denn wenn ich es nicht tue, treibe ich hilflos im Informationsstrom, auf den ich meine FB-Timeline und meine Twitter-Startseite programmiert habe: Internationale und heimische Medien, viele kluge und/oder lustige Kolleginnen, Expertinnen, Freunde; und Donald Trump. Das Versiegen dieses Stroms, das Arretieren des Bildschirms bewirkt auch jetzt einen schlagartigen Konzentrationsschub: Es kehrt Ruhe in mein Denken ein, Ordnung und Übersicht, meine eigene Geschwindigkeit. Ich schreibe ein paar Stunden lang fokussiert einen Text, für den ich im Netz recherchiere, aber ich versorge mich nur mit den Infos, die ich dafür benötige. Und, okay, ich schaue zwischendurch auf "Willhaben" nach gebrauchtem Küchenmaschinen-Zubehör. Aber ich werde nicht willenlos vom Infostrom verschlungen, während Zeit und Raum sich verflüssigen. Fad wird’s halt, also mache ich ein bisschen Buchhaltung und räume ein Regal auf.

Bevor ich am Dienstag um 9.28 Uhr die nächste 24-Stunden-Pause anklicke, erlaube ich mir einen Kurztrip auf meine Facebook-Seite, um dort eine Lesung anzukündigen, aber keinen Blick in meine Timeline, was hart ist. Your Freedom Session has started. Ich fange mit dem Text des Tages an, den ich normalerweise nicht vor elf und einem zweistündigen Social-Media-Bad begonnen hätte. Zwischendurch whatsappe ich mit ein paar Freundinnen. Einer spricht von einem Italien-Trip und fragt, ob ich Italienisch könne. Nein, leider. Ich arbeite weiter an dem Text, der überraschend schnell fertig ist, wofür ich mich normalerweise mit einem Besuch im digitalen Kaffeehaus belohne. Ich linke mich stattdessen im Internet in ein Sprachlernprogramm ein, fange an, Italienisch zu lernen, und kann nach einer Stunde meine ersten Wörter.

Am Mittwoch um 9.32 Uhr geht die Session zu Ende, ich starte sofort eine neue, obwohl ich merke, dass mir das Facebook-Geplauder fehlt. Und was stellt Trump an, wenn ich nicht aufpasse?

Macht Digital Detox happy?

Donnerstag, 9.27 Uhr: Ich schaffe es nicht, einfach die nächste Session einzustellen, ich scrolle mich schnell durch meine Facebook-Timeline und verteile ein paar Likes. Es scheint, eine Freundin hat eine Partei gegründet, aber ich kapiere den Zusammenhang nicht, weil ich die dazugehörige Debatte verpasst habe. Urlaubsfotos, Hitzegestöhn, einer wurde operiert.

Ich schalte wieder ab. Ich verpasse den Beginn des Bachmannpreis-Lesens. Am Abend poste ich vor meiner Lesung im Röda in Steyr auf Instagram ein Video. Im Zug dahin habe ich geschrieben und einen Roman weitergelesen, unabgelenkt. Facebook und Twitter habe ich vom Handy gelöscht, aber jetzt lasse mich durch die Instagramme meiner Freunde treiben, das hilft gegen Nervosität.

Bin ich ein besserer Mensch ohne Social Media oder ein glücklicherer? Zeitweise. Ich arbeite konzentrierter und fokussierter, ich lese mehr, ich lerne Neues, ich gewinne Zeit.

Aber es fehlt auch etwas: Ich gehe gern in dieses Digitalbeisl. Alle da. Und der Franz hat ein neues Tattoo, ja, hallo. (Doris Knecht, 6.7.2019)

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