Der Weg des einen ist noch nicht zu Ende, wie Plakate verheißen, der Weg des anderen scheint sich im Dickicht ibizenkischen Gestrüpps zu verlieren, soll sich aber irgendwann wieder lichten. Zwei Männer, bis vor ein paar Wochen zusammengeschweißte Bergkameraden auf dem Weg zum türkis-blauen Gipfel, suchen nun, getrennt unterwegs, nach Orientierung. Leithaprodersdorf statt Brüssel – so beschrieb "Die Presse" Donnerstag die Fallhöhe vom Bundeskanzler zum Basti im Glück, dem nichts Schöneres zu erleben vergönnt ist, als endlich das Volk kennenzulernen, das er kurz regieren durfte. Diesmal also in Leithaprodersdorf. Stadt-Land mit Sebastian Kurz. Der Bundeskanzler a. D. findet zunehmend Gefallen an dem Kontrast: Dort der "Wirbel" in Wien, hier die "normalen Gespräche" mit den Bürgern.

Brüssel und Leithaprodersdorf

Ach könnte es doch nur immer so bleiben! In Wien gehe es derzeit "turbulent, unübersichtlich, überhitzt" zu, sagt Sebastian Kurz. Wie anders, wenn er sich nicht darum kümmert, den Sumpf der Großstadt trockenzulegen! Aber man darf sich Leithaprodersdorf nicht als aus der Welt gefallen vorstellen. Kurz sitzt in diesen Stunden und Tagen nicht nur bei "normalen Gesprächen" mit Leithaprodersdorferinnen und Leithaprodersdorfern, also völlig losgelöst in der Provinz herum, während in Brüssel die Entscheidungen fallen. Das Mobiltelefon ist eine feine Erfindung und Kurz als Chef der ÖVP ja nach wie vor im Konzert der Großen der Europäischen Volkspartei mit dabei. Und da mischt er von Leithaprodersdorf aus dann auch mit.

Die überspannte Wiener Blase

Vielleicht erscheinen manchen die in Brüssel gefallenen Entscheidungen deswegen ein wenig leithaprodersdorferisch. Im Konzert der Großen der Europäischen Volkspartei ist Kurz jedenfalls nicht anders als durch die Unterstützung eines Kandidaten aufgefallen, der es dann nicht geworden ist. Vermutlich ein Mangel an normalen Gesprächen. Umso mehr freue er sich, hier "normale Gespräche" führen zu können. Sebastian Kurz bei normalen Gesprächen mit normalen Menschen mit normalen Sorgen – abseits der überspannten Wiener Blase.

Und die ist noch gar nichts gegen die überspannte Internetblase. Sebastian Kurz ist erledigt. Am Ende. Es reiht sich Fehler an Fehler. Der Schwung ist weg. Der Glanz verblasst. Übrig bleibt eine leere Marketinghülle. Diesen Eindruck bekommt man vermittelt, wenn man sich etwa durch die Social-Media-Plattform Twitter scrollt. Ihn zu korrigieren, ist "Die Presse" ausgezogen. Schließlich appelliert auch Kurz an seine Fans in Leithaprodersdorf, es "auszuhalten, wenn andere uns schlechtmachen und anpatzen". So normal wie man dort ist, wird man es aushalten und einfach nicht auf Twitter gehen.

Am 1. Mai 2019 noch als Kanzler und Vizekanzler – Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache.
Foto: APA/HANS PUNZ

Auch Strache wird in letzter Zeit oft angepatzt, und würde nicht "Österreich" für die "Kronen Zeitung" als freiheitliche Hilfstruppe einspringen, wäre es für ihn nur schwer auszuhalten, wenn andere ihn schlechtmachen. Bei Fellner durfte er sich am Wochenende die Last seines Schicksals von der Seele reden und Leben vortäuschen. Dass Kurz glaubt, seinen gefährlichsten politischen Herausforderer und Konkurrenten losgeworden zu sein, und darüber auch froh ist, liegt auf der Hand. Aber er und andere sollten hier keine voreiligen Schlüsse ziehen. Denn die Ibiza-Affäre ist so lange nicht beendet, bis sie vollständig aufgeklärt ist.

Hier hat jemand über das Ziel geschossen

Das kann sich ebenso lange ziehen wie der Bericht der freiheitlichen Historikerkommission. Wir müssen uns aber in Geduld üben, fordert Strache. Denn eine Aufklärung wird von den Tätern und Hintermännern aktiv erschwert. Das ist nicht nett. Und vom Strache-Plan laut "Österreich" – "Ibiza-Affäre bald als Buch" – bleibt auch nicht viel übrig: Es gibt namhafte investigative Journalisten, die die Tragweite der Ibiza-Videos verstanden haben und die ebenso die Frage umtreibt, wer hinter der Sprengung der letzten erfolgreichen Regierung stand.

Ohne dass man sich in Geduld üben müsste oder investigative Journalisten benötigte, ist aufgeklärt: Das war vor allem er selber mit seinem Auftritt in Ibiza. Nachzulesen in "Zur Zeit", wo ein Parteifreund schreibt, es habe die dubiose Ibiza-Affäre dazu beigetragen, die Zahl unserer politischen Gegner in der Regierung zu vergrößern. Sie war nur der Tropfen auf dem heißen Stein – aber eben der Tropfen zu viel. Und: Kaum gegangen, sich schon wieder mit seinem Comeback zu beschäftigen, ist unfair, statutenwidrig und für unsere Wähler nicht verständlich. Hier hat jemand über das Ziel geschossen. So kann und darf es nicht weiter gehen. Fellner müht sich vergebens. (Günter Traxler, 5.7.2019)