Temperierte 20 bis 22 Grad, das mag für Museumsbesucher dieser Tage ein zusätzlicher Bonus sein. Etwa im Leopold-Museum, wo am Wochenende die Oskar Kokoschka gewidmete Retrospektive zu Ende geht: mit 270 Exponaten ein Festspiel, wie es hierzulande in 30 Jahren nicht stattfand. Rund 115.000 Besucher werden dann 80 Gemälde bewundert haben, darunter das sonst im Museum Folkwang (Essen) beheimatete Bildnis, das der "Oberwildling" 1912/13 von sich und Alma Mahler schuf. Das Zeugnis einer Liaison, die nur von kurzer Dauer war. Die beiden trennten sich bekanntlich.

Das Gemälde war lange in Familienbesitz und verschwand 1944/45 unter ungeklärten Umstanden in Budapest. Die Filetierung des Bildes im Vorfeld einer Auktion 1959 war nicht ohne Folgen geblieben: Beim vertikalen Schnitt verlor "Max" (mitte) das Monogramm und Teile der Beschriftung an das Segment seines Bruders "Hugo" (links). Die Lösung des Problems: die beiden Bilder wurden unten eingekürzt und an anderer Stelle (weiter oben) von Oskar Kokoschka nochmals mit einem Monogramm und Beschriftung versehen. Bei "Carl" (rechts) ergab sich die Notwendigkeit einer nachträglichen Signatur nicht.
Foto: Archiv A. Weidinger, Montage Heidi Sewald (Der Standard)

Nun stelle man sich vor, dieses Doppelporträt wäre einst von einem der Vorbesitzer, also einem Kunstsammlers oder Galeristen, in zwei Hälften zerschnitten worden. Ein Brachialakt, der nur in der Theorie mit einer Wertminderung verbunden ist und in der Praxis das Gegenteil lehrt. Denn der Verkauf von zwei Bildern bringt vielleicht nicht das Doppelte, aber jedenfalls mehr Geld als ein einzelnes.

Juristisch gilt derlei als Eingriff in das Urheberrecht des Künstlers, es sei denn, er stimmt einer solchen "Veränderung" zu. Verknüpft mit einer monetären Extragabe soll auch das vorkommen. Dass dieses Modell der Gewinnmaximierung überhaupt funktioniert, ist übrigens allen Beteiligten zu danken, inklusive den Käufern solcher über den Kunstmarkt zu Einzelkunstwerken geadelten Fragmente. Beispielhaft dafür sei die Geschichte eines Gemäldes erzählt, auf dem Oskar Kokoschka drei Brüder verewigte, die sich hierzulande einst einiger Bekanntheit erfreuten: Hugo, Max und Carl (Leo) Schmidt.

Adolf Loos als Vermittler

Im Jahr 1858 hatte ihr Vater Friedrich in Wien ein Unternehmen gegründet, das (ab 1872) unter dem Namen "Friedrich Otto Schmidt" zu einem der bedeutendsten Wohnungsausstatter der Österreichisch-Ungarischen Monarchie avancierte und in der Reformbewegung des Kunstgewerbes eine Schlüsselrolle spielte.

Hugo Schmidt (1856-1932) war, wie sein Bruder Carl (Leo), Teilhaber des Familienunternehmens und Prokurist der Niederlassung in Budapest. Nach dem Ersten Weltkrieg (Korvettenkapitän der k.u.k. Kriegsmarine) war er gemeinsam mit seinem Bruder Carl kaufmännischer Leiter der Wiener Filiale. Sein Porträtfragment (1911) galt lange Zeit als zerstört, bis es 2009 bei Sotheby’s versteigert wurde.
Foto: Fondation Oskar Kokoschka / Bildrecht, Wien 2019, Private Collection

Zu den Klienten gehörte nicht nur das vermögende Großbürgertum, sondern auch der Adel und namentlich die Fürstenhäuser Esterházy und Liechtenstein. Während Max, der nach dem Tod des Vaters 1894 die Leitung übernommen hatte, seine Geschäftstätigkeit ab den 1890er-Jahren nach Ungarn verlagerte und 1897 in Budapest eine Niederlassung errichtete, führten Hugo und Carl das Wiener Stammhaus.

Max Schmidt (1861-1935) leitete ab 1894 das von seinem Vater 1858 gegründete Unternehmen "Friedrich Otto Schmidt" (FOS). Deshalb war für ihn auch die zentrale Position im Gemälde zugedacht. Sein Porträt stellte Kokoschka, laut Beschriftung, am 20. März 1914 fertig. Nach der Teilung wechselte das Gemälde mehrmals den Besitzer und landete schließlich 1979 in der Sammlung von Hans Heinrich Thyssen Bornemisza.
Foto: Fondation Oskar Kokoschka / Bildrecht, Wien 2019, Private Collection

Ab Ende der 1890er-Jahre begann eine Zusammenarbeit mit Adolf Loos. Der von einem Werkzeichner der Firma entworfene Elefantenrüsseltisch, den der Architekt in zahlreichen Innenausstattungsprojekten einsetzte, gilt als legendärstes Zeugnis dieser Kooperation. Darüber hinaus war man freundschaftlich verbunden: Als Loos am 21. Juli 1902 seine Lina ehelichte, fungierten Max und Carl als Trauzeugen. Und auch der Kontakt zu Oskar Kokoschka war von Loos eingefädelt worden. Er hatte sich ab 1909 des talentierten Künstlers angenommen und vermittelte ihm Aufträge, darunter fast alle bis 1914 gemalten Porträts.

Carl (Leo) Schmidt (1867-1942) war gemeinsam mit Hugo für die Wiener Filiale zuständig und übernahm nach dessen Tod 1932 die alleinige Leitung. Sein Porträtfragment gelangte 1998 bei Sotheby’s in London zur Auktion. Für umgerechnet rund 140.000 Euro wechselte es in den Besitz von Carmen Thyssen Bornemisza. Die Porträts von Carl und Max sind nun im Bestand des Madrider Museums vereint.
Foto: Fondation Oskar Kokoschka / Bildrecht, Wien 2019, Private Collection

Kokoschkas Erinnerungslücke

An einem Tag im Jahr 1911 saß ihm also vormittags Carl Schmidt Modell, nachmittags dann Hugo, wie Kokoschkas Bezeichnungen auf dem Gemälde dokumentieren. Bis zur Fertigstellung des Gemäldes sollten drei Jahre vergehen. Max wurde erst 1914 "eingefügt", am "20.III." setzte Kokoschka sein Monogramm darunter.

Als Max 1935 verstarb – und der Stadt Wien etwa die Schlösser Pötzleinsdorf und Geymüller vererbte -, hing das Dreierbildnis im Stiegenaufgang seines Privatrefugiums in Budapest. Das Gemälde verblieb in Familienbesitz, bis es 1945 im Zuge der Enteignung unter ungeklärten Umständen aus Budapest verschwand. Folgt man den Provenienzangaben im Werkverzeichnis, gelangte das Gemälde in die USA, wo es 1954 bei zwei Ausstellungen in Santa Barbara und in San Francisco als Leihgabe des New Yorker Kunsthandels Franz Kleinberger & Co gastierte.

Detail am Rande: Die Namen der Brüder waren fälschlich mit "Ernest, Gino und Leopold" angeführt, obwohl das Werk in der damaligen Fachliteratur nur als Porträt der drei Brüder bekannt war. Kurz darauf gingen sie jedenfalls getrennte Wege: Als Puzzle tauchen sie im Mai 1959 bei Sotheby's in London auf.

Wer die Teilung des Gemäldes veranlasste, bleibt bis heute im Dunkeln. In welchem Umfang das Auktionshaus und Kokoschka selbst involviert waren, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Aber durch die Teilung war bei den zusätzlich eingekürzten Bildnissen von Hugo und Max eine neuerliche Signatur notwendig. Bei der Auktion trugen die Fragmente bereits den neuen Schriftzug samt Monogramm, allerdings an anderer Stelle als ursprünglich.

Der legendäre "Elefantenrüsseltisch": Entgegen der oftmaligen Behauptung, geht er nicht auf einen Entwurf von Adolf Loos zurück, sondern auf jenen eines Werkmeisters der Firma "Friedrich Otto Schmidt" namens Berka. Der Tisch ist im Kunsthandel mittlerweile selten unter 25.000 Euro zu haben, erklärt Wolfgang Bauer (Bel Etage, Wien), bei besonders frühen und schönen Ausführungen muss man mit 38.000 Euro rechnen.
Foto: Wolfgang Bauer/Bel Etage

Ersteigert wurden sie von der Galerie Marlborough (London), die den Künstler über Jahre vertrat. Eine STANDARD-Anfrage blieb aktuell unbeantwortet. An einer Klärung war man schon im Jahr 1972 nicht interessiert. Damals kontaktierte Carls Sohn den Künstler, auch um herauszufinden, wer ihn mit der neuen Signatur beauftragt hatte.

Die Antwort kam von "Professor Kokoschkas Agenten", namentlich der Galerie Marlborough: Der Maler könne sich "nicht genau erinnern, ob er das Bild nachsigniert hat oder nicht". Hätten Sotheby's oder Marlborough tatsächlich Gemälde mit einer Signatur von fremder Hand, also gefälscht, verkauft? Wohl kaum.

Getrennt und doch vereint

Das weitere Schicksal der "Brüder": Max kam 1979 in der Sammlung von Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, Carl 1998 via Sotheby's London (89.500 Pfund) in jene von Ehefrau Carmen. Beide Gemälde sind nun im Bestand des Museums in Madrid.

Das Bildnis des dritten Bruders galt viele Jahre als zerstört: aufgrund eines Wasserschadens im Depot der Galerie Marlborough 1961. Ein Irrtum, tatsächlich hatte es seit 1964 dreimal den Besitzer gewechselt, wie sich im November 2009 herausstellte, als Hugo - erraten – bei Sotheby's in New York zum Aufruf gelangte.

470.500 Dollar oder umgerechnet knapp 319.000 Euro ließ ein unbekannter Privatsammler springen. Dass die Signatur nicht aus dem Jahr 1911 stammte, blieb im Auktionskatalog unerwähnt und in den Provenienzangaben klaffte eine Lücke. Wie angemerkt, die Umstände, unter denen das ursprüngliche Gemälde 1945 verschwand, wurden nie geklärt. Der involvierte Kunsthandel hat an alledem offenkundig auch kein Interesse.

Recherchen der Familie waren über all die Jahre und Generationen erfolglos geblieben. Stattdessen tröstete man sich damit, digitale Aufnahmen der Bildnisse zu organisieren. Auf Leinwand gedruckt hat man die einst getrennten Vorfahren nun wieder an einer Wand vereint. Auf musealer Ebene gab es für Hugo, Max und Carl nach mehr als fünf Jahrzehnten im Oktober 2013 den ersten gemeinsamen Auftritt in der National Gallery in London (Facing the Modern, bis 12. 1. 2014). Ein vergleichbares Gastspiel in Wien blieb den "Schmidt-Brothers" indes bislang verwehrt. (Olga Kronsteiner, 6.7.2019)