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Murat Cetinkay wurde gegangen.

Foto: Umit Bektas/Reuters

Die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank hat einen weiteren schweren Schlag erlitten. Am Freitag entließ Präsident Erdogan überraschend den Vorsitzenden Murat Çetinkaya per Präsidialdekret.

Gerade erst hatte sich die Lage der türkischen Wirtschaft etwas entspannt. Der Sieg des Oppositionskandidaten Ekrem Imamoglu bei der Wahl zum Bürgermeister in Istanbul hatte etwas Vertrauen in die mehr als angeschlagene türkische Demokratie zurückgebracht. Der Kurs der Lira war erstmals seit Monaten wieder – wenn auch nur leicht – gestiegen. Vergangene Woche bekam man für einen Euro 6,3 türkische Lira – so wenig wie seit fast einem Jahr nicht mehr.

Analysten werteten das als Erfolg der relativ strikten Zinspolitik der türkischen Zentralbank. Die hatte die Zinsen im September – spät, aber deutlich – auf 24 Prozent erhöht und somit einen weiteren Verfall der Währung gestoppt. Auch die Inflation war halbwegs unter Kontrolle gebracht worden. In der Folge aber schrumpfte auch die türkische Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit stieg, und dies war auch ein Grund, weshalb die AKP die Bürgermeisterwahlen in Istanbul und anderen großen Städten des Landes verlor.

Hohe Zinsen

Dass Erdogan kein Freund hoher Zinsen ist, hat er mehrfach betont. Immer wieder kritisierte er die Zentralbank und forderte die Währungshüter auf, die Zinsen zu senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. Der türkische Präsident gilt als Anhänger einer eher obskuren Wirtschaftstheorie, wonach hohe Zinsen nicht ein Mittel gegen hohe Inflation sind, sondern diese erst hervorrufen. Mit seiner Meinung gilt er zwar in Fachkreisen isoliert. Das hinderte ihn aber nicht daran, immer wieder die Unabhängigkeit der Zentralbank zu attackieren. Erst vergangenen Monat sagte er: "Ich stimme zwar mit dem Konzept einer unabhängigen Zentralbank überein, aber ich möchte klarstellen: Ich bin gegen eine Politik der hohen Zinsen."

Mit in die Kritik ein stimmte der türkische Finanzminister und Erdogans Schwiegersohn, Berat Albayrak. Beide sollen mehrfach die Entlassung Çetinkayas gefordert haben. Überraschend kommt der Schritt trotzdem. Çetinkayas Amtszeit hätte eigentlich 2020 geendet, weshalb sich Çetinkaya Berichten zufolge zunächst geweigert habe, freiwillig zurückzutreten. Auch gab das Präsidialamt keine Gründe für den Schritt an.

Vize rückt auf

Sein Nachfolger, Murat Uysal, war bisher der stellvertretende Vorsitzende der Zentralbank und rückt nun auf. Er betonte zwar in einem ersten Statement am Samstag, dass die Zentralbank weiter unabhängig bleiben werde. Doch dass die Währungshüter unter ihrem neuen Chef bei ihrer nächsten Sitzung am 25. Juli die Zinsen stark senken werden, gilt damit als sehr wahrscheinlich.

Doppelt kritisch ist der Zeitpunkt der Entlassung. Seit Monaten spitzt sich der Streit zwischen Ankara und Washington um den Kauf des russischen Abwehrsystems S-400 zu. Die Abwehrraketen werden in diesem Monat geliefert und installiert. Immer wieder hatte Washington für diesen Fall Wirtschaftssanktionen angekündigt. Der türkischen Lira stehen also wieder ganz besonders bewegte Zeiten bevor. (Philipp Mattheis, 7.7.2019)