Manche Händler sind bereit, weit zu gehen, um schlechte Rezensionen zu "korrigieren".

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Einst war es ein per Homeoffice betriebener Buchhändler, heute ist es ein riesiger Konzern und der erfolgreichste Onlinemarktplatz der Welt: Amazon. Ein Teil dieser Erfolgsstrategie ist das Bewertungssystem für feilgebotene Produkte. Schon lange können Kunden auf Produktseiten ihre Meinung zum jeweiligen Artikel veröffentlichen und diesen mit einer Wertung von ein bis fünf Sternen versehen.

Diese Bewertungen gelten als entscheidender Einflussfaktor für die Kaufentscheidung von Nutzern. Frühe hohe oder niedrige Bewertungen können insbesondere bei kleineren Anbietern schnell darüber entscheiden, ob ihre Ware sich bei Amazon gut verkauft oder floppt. Dementsprechend versuchen Anbieter immer wieder, nicht nach den Regeln zu spielen. Immer wieder musste Amazon in der Vergangenheit gegen Fake-Rezensionen vorgehen. Wie weit das Problem aber nach wie vor reicht, zeigt nun die britische Verbraucherschutzorganisation Which?.

Rückerstattung für bessere Bewertung

Dort hat man sich die Rezensionen unter den Top-20-Artikeln in verschiedenen Technikkategorien näher angesehen und festgestellt, dass einige Anbieter nach wie vor verzweifelt versuchen, schlechte und mittelmäßige Wertungen von Kunden "nachbessern" zu lassen.

Dafür hat man mehrere Beispiele parat. In einem Fall etwas hinterließ ein Kunde eine Bewertung von drei Sternen. Daraufhin erhielt er vom Verkäufer insgesamt acht Anfragen, doch bitte die Höchstwertung zu vergeben. Dafür stellte man sogar eine teilweise Rückerstattung des Kaufpreises in Aussicht. In einem weiteren Fall wurde einem Kunden ein 25-Euro-Gutschein angeboten, damit dieser eine kritische Rezension entfernt.

Ebenso stellte sich heraus, dass gekaperte Amazon-Konten für Fake-Rezensions-Kampagnen missbraucht werden. Which? fand etwa einen kompromittierten Account, der über 2.500 Bewertungen hinterlassen hatte.

Kritik an Amazons System

Wenngleich Amazon nicht direkt für gefälschte Rezensionen verantwortlich ist, kritisieren die Konsumentenschützer das Unternehmen. Das aktuelle System lasse sich immer noch zu leicht missbrauchen, sie fordern strengere Regeln und Maßnahmen, um zu verhindern, dass Kunden durch erfundene Bewertungen in die Irre geführt werden und minderwertige Produkte kaufen.

Als Beispiel für inhärente Schwächen des Systems nennt man die Möglichkeit für Händler, ähnliche Produkte und ihre Bewertungen auf einer einzelnen Angebotsseite zu bündeln – denn die Anbieter nutzen dieses Feature oft nicht so wie vorgesehen. Beispielsweise entstand so plötzlich der Eindruck, eine vor kurzem veröffentlichte Smartwatch hätte über 900 Rezensionen, obwohl sich der Großteil davon auf ein Produkt aus dem Jahr 2011 bezog. Und bei einem Kopfhörer, der dem Anschein nach sehr gute Bewertungen hatte, stellte sich heraus, dass diese eigentlich einem Seifenspender und einem Handy-Displayschutz galten, die nach der Zusammenlegung über die gleiche Produktseite angeboten wurden.

Konzern verweist auf bestehende Maßnahmen

Amazon hat auf die Untersuchung gegenüber "Newsweek" zurückhaltend reagiert. Man betonte, dass "jede unechte Rezension eine zu viel" sei und verwies auf die eigenen Maßnahmen. So habe man klare Richtlinien und würde Anbieter, die dagegen verstoßen, temporär oder dauerhaft ausschließen und gegebenenfalls auch vor Gericht ziehen. Zudem zieht man auch gegen Dienstleister zu Felde, die gefälschte Bewertungen verkaufen.

Sowohl menschliche Mitarbeiter als auch automatische Systeme führen Kontrollen durch. Neue Rezensionen werden etwa durch ein per Maschinenlernen gestütztes System analysiert und blockiert, wenn dieses sie für unecht hält. Man schätzt, dass 90 Prozent aller Fake-Rezensionen automatisiert verfasst werden.

Tipps

Which? hat eine Reihe von Tipps auf Lager, die man im Umgang mit Bewertungen beachten sollte. So empfiehlt man, die Rezensionen nicht nach Veröffentlichungsdatum zu sortieren, sondern die vom System ausgewählten "Top-Bewertungen" zu lesen, die von vielen anderen Käufern als hilfreich markiert wurden.

Zudem sollte man skeptisch werden, wenn billige Produkte unbekannter Marken enorm viele Bewertungen aufweisen, speziell wenn diese außergewöhnlich hoch sind. Und gerade auf Seiten, auf denen mehrere Produkte gebündelt wurden, sollte man genau hinsehen, welche Rezension sich auf welchen Artikel bezieht. (gpi, 9.7.2019)