Die Stimmung bei der Mitgliederversammlung der Neos am Samstag in den Wiener Sophiensälen war aufgeheizt – die Klimaanlage war kaputt. Beate Meinl-Reisinger wurde mit 96,1 Prozent als Spitzenkandidatin gewählt. Auch die übrigen Listenplätze wurden festgelegt. Offenlassen wollen sich die Pinken aber, einen Quereinsteiger auf Platz zwei zu nominieren. Wer das sein könnte, lässt sich Meinl-Reisinger nicht entlocken. An dem Gerücht, dass es Kurier- Herausgeber Helmut Brandstätter sein könnte, sei nichts dran. Sie habe mit ihm nicht einmal gesprochen, so die Parteichefin.

Beate Meinl-Reisinger fühlt sich in ihren Vorbehalten bestätigt: "Und es ist wieder bezeichnend, dass die Freiheitlichen nicht über ihre Rechtsradikalität stolpern, sondern über ihre Korruptionsneigung."
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STANDARD: Sie haben immer gesagt, mit der FPÖ ist kein Staat zu machen. War es eine Genugtuung, als die Koalition geplatzt ist?

Meinl-Reisinger: Das Video war so arg, da konnte ich keine Genugtuung verspüren. Wir haben damit ein katastrophales Bild abgegeben – als Österreich und als Politiker. Da sitzt der Vizekanzler – auch wenn er es damals noch nicht war – im Ruderleiberl und ist zur Korruption bereit.

STANDARD: Eine Bestätigung?

Meinl-Reisinger: Ja, dass die FPÖ eine Scheinheiligkeit an den Tag legt, wenn sie sagt, es geht ihr um den Menschen, war mir schon vorher bewusst. Und es ist wieder bezeichnend, dass die Freiheitlichen nicht über ihre Rechtsradikalität stolpern, sondern über ihre zur Korruptionsneigung.

STANDARD: Sie wollten beim Misstrauensantrag gegen die Kurz-Regierung nicht mitgehen. Viele haben das als Anbiedern an Ex-Kanzler Sebastian Kurz empfunden. Die Expertenregierung genießt derzeit hohes Vertrauen. War das Misstrauen letztlich die bessere Option?

Meinl-Reisinger: Die Expertenregierung ist sehr gut, trotzdem war meine Entscheidung richtig. Ich hätte Kurz gerne jederzeit ins Parlament zitieren können – etwa jetzt bei der Spendenaffäre. Jetzt kann er als Märtyrer herumtouren, völlig frei von der Verantwortung, dem Parlament Rede und Antwort stehen zu müssen.

STANDARD: Viele Anliegen überschneiden sich. Streben Sie eine Koalition mit der ÖVP an?

Meinl-Reisinger: Unsere Themenfelder überschneiden sich mit vielen Parteien, weil wir in der Mitte stehen. Wir können uns daher eine Zusammenarbeit mit fast allen vorstellen, außer mit den Freiheitlichen: Mit der FPÖ schließe ich eine Koalition kategorisch aus.

STANDARD: Dass die ÖVP wieder die stärkste Partei sein wird, ist sehr wahrscheinlich.

Meinl-Reisinger: Ich nehme mir aber heraus, mir etwas anderes zu wünschen. Deswegen erhebe ich auch einen inhaltlichen Führungsanspruch. Alle anderen rittern um Posten und das Kanzleramt, auch wenn es derzeit nicht bei allen realistisch ist. Wir legen bald unser Programm vor. Dann werden wir sehen, wer bereit ist, mit uns mitzugehen.

STANDARD: Sie kämpfen für eine Schuldenbremse, haben sich darauf mit ÖVP und FPÖ geeinigt. Warum muss diese unbedingt in der Verfassung verankert werden?

Meinl-Reisinger: Die Schuldenbremse muss in die Verfassung, damit die Länder miteinbezogen werden. Das ist eine Verantwortung gegenüber der nächsten Generation. Damit bindet sich die Politik, und das ist auch gut so.

STANDARD: Der Spielraum für den Staat wird aber kleiner, in Krisenzeiten gegenzusteuern.

Meinl-Reisinger: In unserem Modell nicht, weil es einen Konjunkturfaktor berücksichtigt. Es ist nicht die Frage, ob sich der Staat einschränken muss, die gierigen Politiker müssen sich einschränken. Jörg Haider hat als Kärntner Landeshauptmann jeder Familie einen Hunderter in die Hand gedrückt, um wiedergewählt zu werden. So funktioniert die Politik in Österreich, das muss man abstellen. Es geht darum, die Länder zu entmachten.

"Es ist nicht die Frage, ob sich der Staat einschränken muss, die gierigen Politiker müssen sich einschränken", Beate Meinl-Reisinger über die Notwendigkeit einer Schuldenbremse.
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STANDARD: 2017 haben Sie viele Stimmen von den Grünen geholt. Liebäugeln Sie deshalb auch mit grünen Themen wie Klimaschutz?

Meinl-Reisinger: Klimaschutz war immer schon unser Programm. Nachhaltigkeit ist ein echtes Anliegen von uns, das seit der Gründung der Neos als Kernwert definiert war. Wir haben bereits 2017 eine CO2-Steuer vorgeschlagen. Sie können mir zwar Taktiererei vorwerfen, aber das stimmt nicht: Wir sind die Einzigen, die ein konkretes Modell rechnen lassen.

STANDARD: Aber selbst in Ihrer Partei ist diese Gratwanderung zwischen Klimaschutz und liberaler Wirtschaftspartei umstritten. Das hat man bei der Entscheidung rund um die dritte Piste für den Flughafen Schwechat gesehen.

Meinl-Reisinger: Das ist doch bei ÖVP, SPÖ und FPÖ auch so. Die Sicherung des Flughafens ist für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts wesentlich. Natürlich ist es lächerlich, dass es sowohl in Bratislava als auch in Wien einen Flughafen gibt.

STANDARD: Trotzdem ist Flugverkehr eine der größten Belastungen für das Klima. Der Ausbau des Flughafens wird diesen nicht beschränken.

Meinl-Reisinger: Glauben Sie wirklich, dass Sie Flüge verbieten können? Wir müssen darüber diskutieren, warum Bahnfahren derzeit viel teurer ist als Fliegen. Wir brauchen Lenkungsmaßnahmen nach dem Verursacherprinzip, auch um Kostenwahrheit herzustellen. Das ist wirtschaftlich vernünftiges Denken und gleichzeitig Klimaschutz.

STANDARD: Es geht nicht darum, Fliegen zu verbieten. Sondern um die Frage, wie ernst es den Neos mit dem Klimaschutz ist.

Meinl-Reisinger: Konkreter geht es gar nicht, als wir es machen. Lohn- und Einkommenssteuer radikal entlasten, Ressourcenverbrauch belasten.

STANDARD: Ihr Lieblingsthema transparente Parteienfinanzierung wird Ihnen noch weiter erhalten bleiben. Das Gesetz von SPÖ und FPÖ lässt Schlupflöcher offen.

Meinl-Reisinger: Es ist nicht mein Lieblingsthema! Mir wäre viel lieber, wir hätten das Thema nicht. Spätestens seit Ibiza muss jedem klar sein, dass wir mit korrupter Politik ein Problem haben. Durch den Beschluss von SPÖ und FPÖ hat sich nichts geändert: Spenden über Vereine sind trotz Spendenobergrenze unbegrenzt möglich.

STANDARD: Aber das Großspendenverbot wird Pink hart treffen.

Meinl-Reisinger: Ja, wir bekommen Spenden, auch über 7500 Euro. Aber wir machen das transparent und nicht über Vereine.

STANDARD: Überlegen Sie selbst, einen Verein zu gründen, um das zu umgehen?

Meinl-Reisinger: Das Gesetz ist ja Augenauswischerei! Aber selbst wenn wir einen Verein gründen würden, würden wir als Verein alles offenlegen. Natürlich kann man über ein Großspendenverbot diskutieren, ich kann mir auch ein Spendenverbot für Unternehmen vorstellen, aber man sieht dieses Gesetz, merkt die Absicht und ist verstimmt.

STANDARD: Aber auf Ihrer Mitgliederversammlung wurde beschlossen, fördernde Mitglieder aufzunehmen. Das ist doch auch eine Umgehung.

Meinl-Reisinger: Auch die Statuten von FPÖ und Pilz sehen fördernde Mitglieder vor. Das ist ganz normal. Und im Unterschied zu den anderen Parteien ist es auch nur bei uns zu hundert Prozent transparent und alles offengelegt. (Marie-Theres Egyed, 8.7.2019)