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Am Freitag nahmen wieder mehr Menschen an den Protesten teil.

Foto: AP / Toufik Doudou

Algeriens Protestbewegung lässt nicht locker. Nachdem die im Februar begonnenen Massendemonstrationen gegen die politischen Eliten zuletzt stark an Dynamik verloren hatten, zogen am Freitag erstmals seit Wochen wieder landesweit Hunderttausende durch die Straßen und drängten auf echten politischen Wandel. In der Hauptstadt Algier, aber auch in anderen Städten wie Relizane, Oran, Constantine oder Tizi Ouzou folgten zahlreiche Menschen den Protestaufrufen zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Opposition. Die Protestbewegung zeigt damit: Sie kann weiterhin mobilisieren.

Dies war infrage gestanden, nachdem die Demonstrationen seit Anfang Juni sukzessive an Zulauf verloren hatten. Zuletzt fanden sie nur noch in einigen wenigen Städten in Nordalgerien statt. Zeitgleich setzt der Sicherheitsapparat zunehmend auf repressive Maßnahmen gegen Demonstranten und Aktivisten, während Verhaftete immer öfter strafrechtlich verfolgt werden. Die Bewegung geriet angesichts dessen in die Defensive, hat jedoch seit Freitag wieder spürbaren Rückwind.

Frankreich unerwünscht

Ausschlaggebend für die erfolgreiche Massenmobilisierung war dabei vor allem die jüngste rhetorische Verschiebung. In dieser setzt sich zunehmend ein Narrativ durch, das die heutigen Proteste als unmittelbare Fortsetzung des Unabhängigkeitskampfs gegen die französische Kolonialmacht in den 1950er-Jahren versteht. Deren Herrschaft sei nur durch lokale Eliten ersetzt, aber nicht gebrochen worden – ganz im Sinne der Schriften des antikolonialen Vordenkers Frantz Fanon.

Ungünstig für die sich an die Macht klammernden Eliten: Die Proteste am Freitag fanden am 57. Jahrestag der algerischen Unabhängigkeit statt. Der massive Zulauf zu den Demonstrationen war demnach nicht weniger als eine schallende Ohrfeige für Algeriens Staatsführung, die bis heute für sich reklamiert, das Land in die Unabhängigkeit geführt zu haben.

Während das partiell neu organisierte Regime darauf setzt, die Protestwelle auszusitzen und mit oberflächlichen Reformversprechen auszubremsen, fordert Algeriens Straße weiterhin einen tiefgreifenden Wandel. Neben Interimspräsident Abdelkader Bensalah und Premier Noureddine Bedoui will die Bewegung vor allem eine Person loswerden: Armeechef Ahmed Gaïd Salah. Dieser ist heute die einflussreichste Figur in der Staatsführung und baut seit Beginn der Protestwelle seine Macht sukzessive aus. Während er sich einerseits als Vorkämpfer gegen die Korruption gebärdet – unter seiner Ägide geht die Justiz weiter gegen frühere einflussreiche Regimepolitiker, Generäle und Profiteure der alten Ordnung vor -, versucht er andererseits in zunehmend aggressiver Manier, die Protestbewegung zu spalten.

Gegeneinander ausgespielt

Zu diesem Zweck provoziert der Armeechef inzwischen verstärkt Konflikte innerhalb der Gesellschaft. In mehreren Ansprachen hatte er indirekt, aber unmissverständlich erklärt, bei den Protesten präsentierte Symbole, die die "nationale Einheit" gefährden, würden nicht mehr toleriert werden. Sicherheitskräfte gehen seither gezielt gegen Menschen vor, die bei Protesten nicht nur Algeriens Nationalfahne, sondern auch die Flagge der Berberminderheit – ein Symbol für den Kampf der Berber für kulturelle und politische Rechte – schwenken. Wie es derweil politisch weitergeht, bleibt unklar. Die Fronten zwischen der Protestbewegung und der Armeeführung bleiben verhärtet.