Ein wenig schizophren ist die Sache schon: Jetzt prügeln Leute den Iran für die Verletzung des Abkommens über das iranische Atomprogramm, die dieses, schon bevor es 2016 in Kraft trat, als völlig wertlos bezeichnet haben. Ist es dann nicht egal, ob der JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), wie der Atomdeal offiziell heißt, eingehalten wird oder nicht? Ist es nicht besser, ihn eher heute als morgen auf den Misthaufen der Geschichte zu schmeißen?
Es ist eben nicht ganz so einfach. Was unabhängige Experten gebetsmühlenartig in den vergangenen Jahren wiederholt haben, wird nun vorexerziert: Mit dem Atomdeal wurde vor genau vier Jahren in Wien nicht der Stein der Weisen gefunden. Aber der zumindest temporäre Wert im Sinne der atomaren Nichtverbreitung war unbestreitbar: Der Atomdeal rückte den Iran auf Jahre ein sattes Stück von der Schwelle weg, genügend angereichertes Uran für eine Atombombe ansammeln zu können.
Und jetzt beginnt diese satte Stück eben zu schrumpfen, lange bevor die dem Iran im JCPOA auferlegten Beschränkungen gefallen wären.
Ausgehöhlter Sinn
Der Iran reichert quantitativ mehr und qualitativ höher an, als er sollte. Das bringt ihn nicht automatisch in die Nähe des Besitzes einer Atombombe: Aber der Sinn und Zweck, den der Atomdeal für die internationale Gemeinschaft hatte, wird seit Anfang Juli ausgehöhlt. Der Sinn und Zweck, den der Deal für den Iran hatte – eine Befreiung seiner Wirtschaft von Sanktionen -, ist indes schon seit einem Jahr unter Attacke, seit die USA unter Präsident Donald Trump ausgestiegen sind und andere Staaten und Unternehmen an der Umsetzung des Abkommens hindern.
Dennoch zeigt Teheran in den vergangenen Tagen mit dem Finger vor allem auf die europäischen Partner des Deals, die EU sowie Großbritannien, Frankreich und Deutschland (E3). Ihre Bemühungen, den US-Ausfall für den Iran auszugleichen, seien nicht ehrgeizig genug. Gerade in den vergangenen Tagen wurden jedoch Fortschritte erzielt: Von den E3 abgesehen haben sieben weitere EU-Länder – darunter auch Österreich – Ende Juni ihre Unterstützung für "Kanäle, um den legitimen Handel und finanzielle Operationen mit dem Iran zu erleichtern", bekundet. Die verbliebenen Partner des JCPOA dürften nach jetzigem Stand auch davon Abstand nehmen, sofort jenen Mechanismus in Kraft zu setzen, mit dem die iranischen Schritte relativ schnell mit einer Wiedereinführung der Sanktionen geahndet werden könnten. Denn jeder weiß, wie der Korrosionsprozess des Deals begonnen hat.
Kompromisslösung
Was nicht heißt, dass man bereit ist, den Iran aus der Verantwortung dafür, was jetzt passiert, zu entlassen. Der Atomdeal war zwar ein Kompromiss, entstand jedoch aus einer breiten internationalen Ablehnung des ehrgeizigen iranischen Atomprogramms, kombiniert mit einem ehrgeizigen ballistischen Raketenprogramm. Nach einer jahrelangen Pattsituation waren letztlich alle Seiten zu Abstrichen bereit, um wenigstens einen Teil ihrer Ziele zu erreichen.
Genauso bestünde das Ende des JCPOA aber auch nicht nur darin, dass Teheran seine eigenen Abstriche, seine Verpflichtungen beendet. Wenn das Verhältnis der internationalen Gemeinschaft zum Iran wieder in die Zeit vor 2013 – da wurden die Verhandlungen aufgenommen – zurückkippt, dann wird der Preis hoch sein. Und der Iran wird nicht als Gewinner dastehen. (Gudrun Harrer, 7.7.2019)