Vibratoren wie "Womanizer", "Satisfyer" oder "Sona" sollen im Bett für mehr Gleichberechtigung sorgen.

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Ursprünglich wurde der Vibrator im 19. Jahrhundert von Ärzten zur Behandlung von Frauen mit Hysterie erfunden. Denn den Auslöser der Krankheit vermuteten sie in einem Unbefriedigtsein der Gebärmutter. Die Genitalmassage, zunächst mit der Hand, später mit dem sogenannten "Granvilles Hammer", also dem ersten Vibrator, sollte die Betroffenen von dem "Verrücktwerden" befreien.

Diese Vorstellung ist mittlerweile glücklicherweise überholt. Auch der Vibrator konnte sich inzwischen von der Männerhand emanzipieren. Tatsächlich ist das Sexspielzeug über die Jahre sogar zum Symbol weiblicher Lust aufgestiegen. Dazu beigetragen haben nicht nur Serien wie "Sex and the City" oder "Girls", in denen Frauen ganz offen über Selbstbefriedigung sprachen, sondern auch die Vibratoren selbst. Sie gibt es heute in vielen Formen und Farben, besetzt mit Strasssteinen haben sie das Schmuddelimage der Pornoindustrie abgeworfen. Das Unternehmen Wow Tech hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, mit seinem Womanizer den "Orgasm-Gap" zu schließen.

Die Bezeichnung "Orgasm-Gap" beschreibt in der Sexualwissenschaft den Umstand, dass Frauen beim Geschlechtsverkehr wesentlich seltener den Höhepunkt erleben als Männer. Der Womanizer soll im Bett also für mehr Gleichberechtigung sorgen. Doch kann ein Vibrator das tatsächlich leisten? Erleben Frauen Orgasmen wirklich tendenziell seltener als Männer – und wenn ja, ist das überhaupt schlimm?

Vernachlässigte Klitoris

Tatsächlich gibt es mittlerweile zahlreiche Studien, die die Existenz des "Orgasm-Gap" bestätigen. Eine der letzten stammt von der Chapman University aus den USA. Für die Untersuchung haben die Wissenschafter und Wissenschafterinnen im Jahr 2017 gut 52.500 hetero- und homosexuelle Frauen und Männer zwischen 18 und 65 Jahren befragt. Das Ergebnis: Frauen kamen beim Geschlechtsverkehr im Schnitt tatsächlich seltener als Männer zum Höhepunkt. Besonders groß war der Unterschied bei heterosexuellen Paaren. Gaben hier gut 95 Prozent der Männer an, beim Sex einen Orgasmus zu haben, waren es bei den Frauen gerade einmal 65 Prozent.

"Der Grund, warum das so ist, ist die Vernachlässigung der Klitoris", ist Laurie Mintz, Professorin für Psychologie an der University of Florida und Autorin von "Richtig kommen", überzeugt. Eine These, die auch die Studie der Chapman University bestätigt. Denn schaut man sich die Untersuchungsergebnisse genauer an, wird relativ schnell deutlich, dass die Frauen, die beim Sex am seltensten den Höhepunkt erlebten, meist nur vaginal befriedigt wurden.

Die größte Chance, mit dem Partner oder der Partnerin einen Orgasmus zu erleben, hatten hingegen diejenigen, die neben "tiefen Küssen" auch "manuell und/oder oral" stimuliert wurden. Forscherinnen und Forscher des Hamburger Instituts für Sexualforschung kamen in einer repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2006 zu einem ähnlichen Schluss: Drang der Mann lediglich mit dem Penis in die Frau ein, gab tatsächlich gerade einmal jede zweite Frau an, beim letzten Geschlechtsverkehr zum Orgasmus gekommen zu sein. War hingegen die Klitoris während des Sex – etwa mit den Fingern – mitstimuliert worden, stieg die Anzahl auf 65 Prozent. Bei der Kombination von Sex und Oralverkehr waren es sogar 76 Prozent. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine finnische Studie des Population Research Institute, die 2016 im "Journal Socioaffective Neuroscience & Psychology" veröffentlicht wurde.

Saugeffekt soll Höhepunkt bringen

Eine Tatsache, die sich der Womanizer zunutze macht. Denn anders als die meisten Vibratoren stimuliert er Frauen nicht per Penetration, sondern eben über die Klitoris – genauer gesagt über die Eichel der Klitoris, also jenen kleinen Knubbel, der sich zwischen den inneren Schamlippen befindet.

Diese Idee ist nicht neu: "Tatsächlich gab es schon vor dem Womanizer Vibratoren, die extra für die Klitoris konzipiert waren", berichtet Markus Valk, Sexualmediziner und Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Neu ist jedoch die Technik: Wurde die Klitoris zuvor immer nur per Vibration – also durch Auflegen – stimuliert, setzt der Womanizer auf den Saugeffekt. Das heißt, das Gerät saugt die von außen sichtbare Eichel der Klitoris wie ein kleiner Staubsauger in einen wenige Zentimeter großen Silikontunnel. Hierdurch entsteht ein Unterdruck, das Organ wird besser durchblutet und dadurch empfindsamer. Einmal angesaugt, folgt eine Stimulation per Druckwellen, die dann den Orgasmus bringen sollen. Die Stärke der Druckwellen lässt sich per Knopfdruck variieren.

Dass der Womanizer einen Nerv trifft, zeigen die Verkaufszahlen. In den fünf Jahren, die der Womanizer nun auf dem Markt ist, hat das Unternehmen das Gerät rund 2,5 Millionen Mal in über 60 Ländern verkauft, berichtet Johanna Rief, Pressesprecherin von Wow Tech. Mit anderen Worten: Das Geschäft läuft. Mit ein Grund, warum inzwischen auch andere Firmen Klitoris-Vibratoren mit Saugeffekt herstellen. Dort heißen die Sexspielzeuge dann "Satisfyer" oder "Sona".

Orgasmusstörungen überwinden

Doch bedeutet der Erfolg, dass der "Orgasm-Gap" jetzt kleiner wird? "Ja", ist Pressesprecherin Rief überzeugt. So habe sie kürzlich einen Brief einer 60-jährigen Frau bekommen, die sich bei dem Unternehmen bedankte. "Mit dem Vibrator hatte sie ihren allerersten Orgasmus", berichtet Rief. Für sie ein Zeichen, dass der Womanizer etwas bewegt.

"Frauen mit Orgasmusstörungen kann der Womanizer tatsächlich helfen, diese zu überwinden", meint Sexualtherapeut Valk. Das liege unter anderem an den sehr starken Druckwellen, die das Gerät aussendet und die sich mit dem Finger beziehungsweise der Zunge so nicht nachahmen ließen. Manche Frauen hätten außerdem Probleme, sich selbst im Intimbereich zu berühren. Auch in diesem Fall könne der Vibrator eine Alternative sein, so Valk: "In solchen Fällen geht es dann erst mal darum, eine positive Beziehung zum eigenen Körper aufzubauen und sich selbst kennenzulernen."

Dass Sexspielzeuge wie der Womanizer den "Orgasm-Gap" schließen, davon ist Valk hingegen nicht überzeugt. Denn bei Vibratoren gehe es ja in erster Linie um Selbstbefriedigung – und in diesem Bereich scheint es das Missverhältnis der Geschlechter gar nicht zu geben. Darauf deutet auch die Studie des Hamburger Instituts für Sexualforschung hin. Dieser zufolge gaben gut 91 Prozent der befragten Frauen an, mit sich selbst einen Orgasmus zu erleben, bei den Männern waren es 93 Prozent.

Nicht nur die Technik ist entscheidend

"Sexuelle Gleichberechtigung äußert sich nicht in der Orgasmushäufigkeit, sondern in der inneren Haltung zweier Menschen und darin, wie diese den gemeinsamen Sex erleben", findet die deutsche Sexualtherapeutin Dorothea Perkusic. Denn nur weil jemand beim Geschlechtsverkehr immer einen Orgasmus habe, bedeute das schließlich nicht, dass der Sex auch von beiden als erfüllt und befriedigend erlebt werde. Perkusic will der Klitoris ihren Stellenwert für sexuelle Stimulation zwar nicht absprechen, doch sie sieht die zunehmende Fokussierung auf das Geschlechtsorgan auch kritisch. "Wirkliche Lust entwickelt sich vor allem über Berührung und nicht über reine Stimulation", sagt sie. Wer sich nur auf die Klitoris und den Orgasmus konzentriere, vergesse nicht nur all die anderen erogenen Zonen, sondern setze die Beteiligten möglicherweise auch unnötig unter Druck.

"Die Zentrierung auf den Orgasmus führt in der Regel zu mehr Stress als Erleichterung", bestätigt Sexualtherapeut Valk. Beim Geschlechtsverkehr mit dem Partner oder der Partnerin sei es zudem nicht immer nur die Technik – sprich die Vernachlässigung der Klitoris –, die dazu führt, dass manche Frauen keinen Orgasmus bekommen. "Genauso gut möglich ist es, dass in der Beziehung etwas nicht stimmt." Hier brauche es dann keinen Vibrator, sondern ein offenes Gespräch und gegebenenfalls die Bereitschaft, an der Beziehung zu arbeiten. Denn Orgasmus bedeute Kontrollverlust, und um diesen zulassen zu können, brauche man zu seinem Gegenüber viel Vertrauen.

Auf Beziehungsqualität setzen

Wie wichtig die Beziehungsebene für erfüllenden Sex ist, zeigt auch die Studie der Chapman University. Was laut den Autoren und Autorinnen der Untersuchung bei Frauen ebenfalls die Wahrscheinlichkeit für einen Orgasmus erhöhte, war die Tatsache, dass sie sich in ihrer Beziehung wohlfühlten. Wer den Höhepunkt ebenfalls häufig erlebte, waren Frauen, die beim Sex experimentierfreudig waren, gerne neue Stellungen ausprobierten oder ihrem Partner beziehungsweise der Partnerin ganz direkt sagten, was ihnen gefällt.

Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie aus Finnland. Um herauszufinden, wann die Wahrscheinlichkeit von Frauen am höchsten ist, einen Orgasmus zu erleben, haben die Forscherinnen und Forscher die Daten aus sechs repräsentativen Umfragen ausgewertet. Ihr Fazit: Anders als erwartet nahm die Anzahl der Orgasmen nicht mit der Erfahrung oder dem Experimentieren mit sich selbst zu. Entscheidend war die Qualität der Beziehung. Das heißt, dass sich die Partnerschaft gut anfühlte und beide offen über ihre Sexualität und ihre Bedürfnisse sprechen konnten.

Für Vibratoren wie den Womanizer bedeutet dies: "Gelegentlich kann man das Sexspielzeug gerne benutzen", meint Percusik. "Gerne auch mit dem Partner oder der Partnerin gemeinsam." Die Sexualtherapeutin würde Frauen allerdings davon abraten, solche Vibratoren allzu regelmäßig einzusetzen. Denn bei den pulsierenden Druckwellen handle es sich um sehr starke Reize, und sich an die zu gewöhnen könne Frauen mitunter weniger empfänglich für die Berührungen des Partners machen und teils unrealistische Erwartungen wecken. (Stella Hombach, 10.7.2019)