Was man mit Wahlkarten nicht machen darf, wird seit 2016 juristisch aufgearbeitet.

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Vor drei Jahren standen die österreichischen Wahlbehörden im Rampenlicht. Wahlkarten wurden zu früh geöffnet, Protokolle gefälscht und Stimmzettel vernichtet. Während manche Beobachter im Agieren der Wahlbehörden fast liebevoll eine typisch österreichische Schludrigkeit im Umgang mit Vorschriften erkennen wollten, waren andere ob der verbreiteten Missachtung von Wahlgesetzen bestürzt.

Der Verfassungsgerichtshof gehörte eher zum zweiten Lager. Er hob den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl auf, sodass Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer ein halbes Jahr später nochmals gegeneinander antreten mussten. Die juristischen Nachwirkungen der damaligen Verfehlungen dauern bis heute an.

Fünfzehn Anklagen

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat bis Frühjahr 2018 ermittelt – mit quantitativ weitreichenden Ergebnissen: 15 Anklagen beziehungsweise Strafanträge gegen insgesamt 250 Personen wurden eingebracht, der Großteil davon sei mittlerweile bei Gericht abgearbeitet, rechnet die WKStA vor. Die Vorwürfe betreffen im Wesentlichen zwei Delikte: Amtsmissbrauch sowie falsche Beurkundung und Beglaubigung im Amt. Die bisher gefällten Urteile gestalteten sich recht unterschiedlich.

Der allererste Prozess wurde im Juni 2018 in der Stadt Villach abgewickelt. Dort lag einiges im Argen. Das Gesetz sieht vor, dass am Montag nach der Wahl der Wahlleiter gemeinsam mit den Wahlbeisitzern die Auszählung der Wahlkarten vornimmt. Ganz anders die Praxis in Villach: Dort wurde schon am Sonntag ausgezählt, und zwar vom Abteilungsleiter des Meldeamtes, der dazu keinerlei Befugnis besaß. Trotzdem unterschrieben der Bürgermeister und acht Wahlbeisitzer ein Protokoll, wonach alles ordnungsgemäß abgelaufen sei. Der Richter verurteilte jene Wahlbeisitzer zu Geldstrafen zwischen 5.000 und 9.000 Euro, der Villacher Bürgermeister Günther Albel (SPÖ) fasste 14.000 Euro aus.

Sonderfall Villach

Villach ist der bislang einzige Fall, in dem auch die ehrenamtlichen Wahlbeisitzer belangt wurden. In vielen anderen Fällen wurden die Verfahren gegen die Beisitzer auf Weisung des Justizministeriums eingestellt. Meinhard Novak, der in Villach die verurteilten SPÖ-Beisitzer vertreten hat, kann diese Diskrepanz nicht nachvollziehen. Er ortet eine mangelnde Koordination der Weisungen: "Da weiß die eine Hand nicht, was die andere tut", sagt Novak im Gespräch mit dem STANDARD.

Franz Plöchl, der Vorsitzende des Weisungsrats, sieht das nicht so: "Die Fälle unterscheiden sich einfach eklatant voneinander." In Villach habe eine – daher freigesprochene – Wahlbeisitzerin vor der Unterzeichnung des Protokolls aktiv darauf hingewiesen, dass die Niederschrift nicht den Tatsachen entspreche und einen Aktenvermerk machen lassen. Deswegen musste den anderen Mitgliedern der Wahlbehörde die Rechtswidrigkeit ihres Vorgehens bewusst gewesen sein. In den restlichen Fällen seien sich die Wahlbeisitzer als rechtsunkundige Personen ihrer Verfehlung nicht bewusst gewesen. Daher sei eine Einstellung dieser Verfahren aus Sicht des Weisungsrats gerechtfertigt, meint Plöchl.

Diversionen

Auch viele Wahlleiter kamen glimpflich davon. Zum Beispiel im oberösterreichischen Helfenberg. Der dortige Wahlleiter und sein Stellvertreter hatten mit einem mathematischen Problem zu kämpfen: statt der ausgegebenen 509 Stimmzettel wurden 512 gezählt. Das Problem wurde "gelöst", indem kurzerhand vereinbart wurde, drei ungültige Stimmzettel zu vernichten und damit die Realität an die Berechnung anzupassen. Dieser Beschluss wurde jedoch nicht protokolliert, sodass die beiden wegen falscher Beurkundung und Beglaubigung im Amt angeklagt wurden. Die Angeklagten rechtfertigten sich damit, dass sie im Eifer des Gefechts das Protokoll ungelesen unterzeichnet hatten. Der Richter entschied sich in diesem Fall für eine Diversion mit glimpflichen Geldbußen.

Freisprüche für verfrühtes Schlitzen

In Tirol kam es für einige Wahlleiter sogar zu Freisprüchen. Etwa im Bezirk Innsbruck-Land, wo der Wahlleiter und sein Stellvertreter bereits am Sonntag in Abwesenheit der Beisitzer die Wahlkarten geschlitzt haben. Ausgezählt wurde dann aber wie vorgesehen am Montag. Der Richter wollte beim vorzeitigen Öffnen "keinen Schädigungsvorsatz unterstellen" und sprach die Angeklagten vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs frei.

FPÖ-Klage abgewiesen

Neben der strafrechtlichen Aufarbeitung geht es auch noch ums Geld. Die FPÖ, die durch ihre Anfechtung die Wahlaufhebung erst ermöglicht hat, will von der Republik 3,4 Millionen Euro Schadenersatz, weil ihr durch die Wiederholung der Stichwahl zusätzliche Kosten entstanden sind. SPÖ und Neos kritisierten dieses Ansinnen als "schamlos". Der Verein Gemeinsam für Van der Bellen, der die Kandidatur des nunmehrigen Präsidenten organisiert hatte, lehnte es "aus demokratiepolitischen, moralischen und juristischen Gründen" ab, selbst Schadenersatzforderungen an die Republik zu stellen.

FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer ist mit einer Schadenersatzklage beim Zivilgericht abgeblitzt.
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In erster Instanz hat das Landesgericht für Zivilrechtssachen im April die Klage der FPÖ abgewiesen. FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer will sich aber so leicht nicht geschlagen geben und hat Berufung eingelegt. Nötigenfalls will er bis zum Obersten Gerichtshof gehen.

Republik will Schadenersatz von Wahlleitern

Während also die Republik vorerst keinen Schadenersatz zahlen muss, fordert sie von anderen selbst Schadenersatz. Die Leiter von 14 Wahlbehörden, in denen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl festgestellt werden konnten, haben Schreiben der Finanzprokuratur erhalten, wonach sie Schadenersatzansprüche anerkennen sollen. Die Republik argumentiert, dass ihr für die Durchführung des zweiten Wahlgangs zusätzliche Kosten erwachsen seien und das rechtswidrige Verhalten der Wahlleiter dafür verantwortlich sei.

Der Villacher Bürgermeister Albel etwa hätte bis Ende Juni 36.000 Euro zahlen sollen. Dazu sein Anwalt Novak lapidar: "Wir zahlen nichts." Er will abwarten, ob die Finanzprokuratur den Anspruch überhaupt vor Gericht geltend macht. Dass die Republik die FPÖ nicht entschädigen wolle, selbst aber hohe Summen von Wahlleitern wie seinem Mandanten fordert, kann er "schon von der Logik her" nicht verstehen. Es sei überdies "juristischer Schwachsinn", moniert er. Im Innenministerium gibt man sich auf Anfrage des STANDARD zugeknöpft. Ob und wie viel an Schadenersatz man bereits erhalten habe, will man nicht sagen. Auch zur weiteren Vorgangsweise der Republik bei zahlungsresistenten Wahlleitern gibt es keine Auskünfte. (Theo Anders, 9.7.2019)