Performance, Punk – und manchmal eine gute alte Choreo: Michael Laub fräst sich seit mehr als vier Jahrzehnten durch die Kulturgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der "Postmoderne".

Foto: Monika Rittershaus

Seine Karriere läuft wie eine Achterbahn, er ist ein Anarcho mit Passionen für Pop und Klassisches, ein Filmfreak und Bollywood-Fan: Der belgische Choreograf Michael Laub geht ganz klar als Mann mit Eigenschaften durch. Jetzt zeigt er sein aktuelles Stück Rolling beim Festival Impulstanz.

Gestorben ist er noch nicht. Aber sein Stück, das hat es aufgestellt, kurz nach der Uraufführung in Berlin und der folgenden Aufführung bei Impulstanz 2017. Viel Herzblut hatte er hineingeschüttet in Fassbinder, Faust and the Ani mists, dazu noch Goethes Gretchen, Rainer Werner F.s Warnung vor einer heiligen Nutte von 1971 und die kambodschanische Version des Madison-Tanzes.

ImPulsTanz

Dieses Werk hat Michael Laub vielleicht zu persönlich genommen: "Daher dachte ich, es könnte für mein Testament gehalten werden, oder ich könnte es dafür halten." Dann hätte er allerdings sterben müssen, witzelt er. Der Tod sei aber eine echte Horrorvorstellung für ihn. Schon allein deswegen hat er jetzt eine weitere Performance produziert: Rolling, ab Freitag bei Impulstanz zu sehen.

Rank, lässig, selbstironisch

Laub-Fans können von Sedativa Abstand nehmen. Zumindest in den Augen des medizinischen Laien wirkt der 66-Jährige ausgesprochen lebendig. Seine Figur hält sich zwischen rank und schlank, seine Dreadlocks drücken eine gewisse Lässigkeit und Selbstironie aus. Ins Gesicht hat sich ihm ein intensives Leben eingezeichnet, ohne es zu verwüsten. Und seine Stimme ist so rau wie schon vor zwanzig Jahren, als der Autor dieses Texts ihn kennengelernt hat – beim Salzburger Sommerszene-Festival, wo er seine damals aktuelle Arbeit Frankula zeigte. Das Bühnenbild dafür stammte von Marina Abramović.

1999 hatte der in Belgien geborene Choreograf, Regisseur und Videokünstler bereits ein unruhiges Vierteljahrhundert an künstlerischer Karriere hinter sich. Damals lasen viele Nerds Hans-Thies Lehmanns Buch Postdramatisches Theater, in dem auch Michael Laub erwähnt wird. Es war eine Aufbruchszeit, die den Tanz so heftig dekonstruierte, dass ihn der besagte deutsche Theaterwissenschafter mit Theater verwechselte. Heute gilt Laub als Pionier des postdramatischen Theaters.

Woran ist Fassbinder, Faust and the Animists gestorben? Es war doch mitsamt seiner großen Besetzung bei Publikum und Kritik gut angekommen. Ja, aber "ironischerweise", gibt der Choreograf an, "fiel, während ich ein Stück über den Zerfall einer Theatergruppe während eines Filmdrehs machte, meine eigene Company auseinander." Die geplante Tournee wurde abgeblasen. Aber weil "ich so ein Filmfreak bin", ließ ihn der Drang, weiter mit diesem Medium zu arbeiten, nicht los.

Chaotisch, orchestriert

Am Ende steht nun Rolling, ein Tornado aus zirka 200 Filmzitaten, die in chaotischem Wirbel gesammelt und dann orchestriert wurden: "Das hat viel mit einem Popkonzept der Aneignung zu tun." Was wiederum an sein überschäumendes Werk Total Masala Slammer / Heartbreak No. 5 erinnert. Darin schickte Michael Laub 2001 Goethes Werther in den indischen Kathak-Tanz und feierte die Unverfrorenheit, mit der das Bollywood-Kino vorhandene Kunst auf seine ganz eigene trashige Art verarbeitet.

ImPulsTanz

Über dieses Zusammenbringen von Gegensätzen lernt man Michael Laub am besten kennen. Mit besessener Liebe zum Detail schiebt er dafür Tanz, Theater, Film und Musik ineinander: "Aber ich mache keinen Mischmasch, ich gehe systematisch durch die Medien." Den coolen Madison für die Fassbinder-Faust-Performance hatte er zum Beispiel bei Jean-Luc Godards Film Bande à part (1964) gesehen. Für Laub sind Madison, der indische Ka thak und der klassische kambodschanische Apsara-Tanz in "ihrer Feinheit und Relevanz für das Alltagsleben" verbunden. Die Eleganz des Apsara sei zeitlos, und: "Ich habe diese Faszination für gewisse klassische Kunstformen und für Trash – Ingmar Bergman und Russ Meyer!"

Zum Kunstmachen hatte ihn der Punk – "eine große Befreiung" – gebracht. Seine erste Formation, die weder Tanz noch Theater, sondern Performance hervorbrachte, war ab 1975 in Stockholm das Kollektiv Maniac Productions: "Da wollte ich den Geist des Punk reinbringen, diesen Sound, diesen Trash, diesen Lowtech." Mit Obsessionen habe er’s schon früh gehabt, lacht Laub: "Erst unlängst habe ich ein Babyfoto von mir gesehen, da war ich erst ein paar Tage alt und habe schon recht fassungslos dreingeschaut."

Cut-up-Technik

Beeinflusst haben ihn auch das New Yorker Living Theatre, jedenfalls dessen Kollektivbewusstsein. Und die Pop-Art: "Wenn ich von Pop-Art spreche, dann auch von Andy Warhol. Und dessen Bild vom elektrischen Stuhl. Das moralisiert und predigt nicht." Seine zweite Company gründete er 1981: Remote Control. Der Name ist auf das damalige Auftauchen des Kabel-TVs bezogen: "Ich war schon vorher an William S. Burroughs und der Cut-up-Technik interessiert. Jetzt konnte man von einem zum anderen Kanal wechseln, das erzeugte ein anderes Narrativ. Dieses Konzept wollte ich auf die Bühne übertragen."

Selbst Filme machen mochte er nie, dafür sei er zu sehr ein Live-Mensch. Eher schon wäre er Musiker geworden. Der Rhythmus von Miles Davies habe ebenfalls große Auswirkung auf seine Arbeit gehabt. Ein Rhythmus, der sich auch dort durch sein Werk zieht, wo es ganz realistisch wird, wie in seinen Video-Portrait-Series. Eine davon war 2011 im Burgtheater zu sehen, eine weitere später bei Impulstanz.

Den Anarcho in ihm lassen alle seine Arbeiten spüren. Michael Laubs Laufbahn erinnert an eine wilde Achterbahnfahrt. Letztendlich habe er immer auch Glück gehabt, sagt er, mit passionierten Partnern und Unterstützern. (Helmut Ploebst, 9.7.2019)