Liebesglück kennt kein Alter. Mann und Frau haben aber zum Teil unterschiedliche Wahrnehmungen davon.
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Oma und Opa sind heute auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Cool und sexy präsentieren sich die "neuen Alten", und Madonna (60), Mick Jagger (76) sowie die gesamte Lifestyle-Industrie zeigen vor, wie es geht. Sex im Alter ist längst kein Tabu mehr, eher schon eine Vorgabe im Sog der lebenslangen Selbstoptimierung. Aber was weiß man vom Sexualverhalten der Senioren wirklich?

Einer schwedischen Studie zufolge hat Sex für Menschen über 70 noch immer einen hohen Stellenwert – wobei das deutlich stärker für Männer zutrifft. Bei den Frauen stellten die Forscher im Schnitt eine verbesserte Orgasmusfähigkeit fest, bei Männern eine Abnahme von erektilen Dysfunktionen. Letzteres könnte jedoch, so die Vermutung der Experten, auf den verbreiteten Einsatz von Phosphodiesterase-5-Hemmern wie Viagra zurückzuführen sein.

"Richtige Männer" mit 80

"Zudem spielt Sex in der Identitätskonstruktion der Männer eine zentrale Rolle – viele fühlen sich nur dann als 'richtige Männer', wenn sie auch noch mit 80 ein funktionierendes Sexleben haben", sagt Gerald Gatterer, Psychotherapeut und Leiter des Instituts für Alternsforschung an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien. Bei den Frauen würden zwar andere Rollenbilder dominieren, aber auch diese ändern sich allmählich und passen sich den männlichen an.

Es seien vor allem die "jungen Alten" der (Post-)68er-Generation, die sich im Pensionsalter oft zu neuen Ufern aufmachen. Unter dem Titel "positives Altern" wird dieser an sich erfreuliche Trend auch von der Wirtschaft kräftig vermarktet, da die Hilfsmittel im Kampf um ewige Jugend und (sexuelle) Attraktivität ein Milliardengeschäft sind. "Generell kann man davon ausgehen, dass Menschen, für die Sexualität immer wichtig war, diese auch im höheren Lebensalter weiter praktizieren", weiß Gatterer.

Insgesamt jedoch hat Erotik für ältere Menschen eine geringere Bedeutung als für jüngere, wie eine deutsche Untersuchung aus dem Jahr 2008 wenig überraschend zeigt. Das stärkste Bedürfnis nach Sex haben demnach Männer zwischen 18 und 30 Jahren (59 Prozent haben ein hohes, 39 Prozent ein mittleres Bedürfnis). Frauen liegen mit 37 Prozent mit hohem und 60 Prozent mit mittlerem Bedürfnis deutlich darunter.

Ab 40, 50 nimmt das Bedürfnis dann bei beiden Geschlechtern signifikant ab, bei Frauen aber noch viel stärker. So hatten bei den 60- bis 70-Jährigen nur noch sechs Prozent der Männer ein hohes und immerhin noch 80 Prozent ein mittleres Bedürfnis nach Sexualität. Bei den Frauen verspürten dagegen nur noch zwei Prozent ein hohes, 52 Prozent ein mittleres und beachtliche 46 Prozent ein niedriges sexuelles Verlangen. In der Gruppe der über 70-Jährigen war noch fast die Hälfte der Männer und etwa ein Viertel der Frauen sexuell aktiv.

Weibliche Perspektive

Interessant sind auch die Ergebnisse einer Studie, die sich speziell auf die weibliche Perspektive konzentrierte. Ihr zufolge ist rund die Hälfte der in einer Partnerschaft lebenden Frauen zwischen 50 und 70 Jahren mit ihrem Sexualleben "eher zufrieden", die andere Hälfte fühlt sich dadurch "eher belastet". Ein Teil lebt sexuell abstinent, worüber viele der Frauen froh sind. Andere hatten zwar kein sexuelles Interesse mehr, praktizierten dem Partner zuliebe aber dennoch Geschlechtsverkehr.

"Bei Menschen, denen Sex nie sehr wichtig war, verstärkt sich dieses Desinteresse durch die mit dem Alter einhergehenden körperlichen Veränderungen", so Gerald Gatterer, der auch im Studiengang Aging Services Management an der Ferdinand-Porsche-Fern-FH unterrichtet, wo er kürzlich einen Vortrag zum Thema "Sexualität im Alter" hielt. Insgesamt kommen in Gatterers Praxis nicht wenige Männer, die unter dem Libidoverlust ihrer Partnerin leiden. Auf der anderen Seite fühlen sich ratsuchende Frauen häufig durch die sexuellen Ansprüche ihrer Männer belastet.

Sei in einer Beziehung das Begehren von Anfang an ungleich verteilt, werde dieser Umstand im Alter transparenter. "Der Sexualtrieb ist eben nicht bei jedem Menschen gleich stark ausgeprägt – mitunter sinkt die Libido schon nach dem ersten Kind auf ein Minimum." Dabei dürfe man aber nicht übersehen, dass bei vielen Frauen ganz im Gegenteil das sexuelle Begehren im Alter zunehme, weil sie ihren Körper besser kennen. "Gute Chancen auf ein sexuell erfülltes Liebesleben haben ältere Frauen und Männer vor allem dann, wenn sie schon in der Jugend Freude an Sex hatten und einen Partner mit gleichen Bedürfnissen haben."

Lebens- und Rollenerwartung

Allerdings stehen einem anhaltenden Liebesglück oft nicht nur gesundheitliche Probleme, sondern auch die demografische Entwicklung im Weg. Denn durch die höhere Lebenserwartung der Frauen sind diese im Alter auch häufiger unfreiwillige Singles. So ist nur ein Viertel aller Frauen über 65 verheiratet, bei den Männern sind es dagegen 75 Prozent. Frauen, die im Alter einen neuen Partner suchen, haben es nicht zuletzt deshalb schwerer als Männer.

Dazu kommen auch noch traditionelle Rollenbilder, die es vielen Frauen erschweren, einen jüngeren Partner zu suchen. Im Gegensatz dazu heiraten fast 90 Prozent der Männer über 60 eine zum Teil deutlich jüngere Partnerin. Ein erfülltes Sexleben im fortgeschrittenen Alter ist also durchaus nicht nur eine Frage von Lust und Laune. Gleichzeitig wird der Sexualität im Alter in den Medien inzwischen eine große Bedeutung zugeschrieben. Dadurch entsteht ein gewisser Erfüllungsdruck, der vor allem den Lifestyle-affinen "Jung-Alten" zusetzen kann.

"Letztlich geht es nicht darum, möglichst viel Sex zu haben, Sport zu treiben oder zu reisen – worauf man wirklich achten sollte, ist die subjektive Zufriedenheit", ist Gerald Gatterer überzeugt. "Das große Problem dabei ist allerdings, dass viele Menschen ihre Bedürfnisse gar nicht kennen. Die meisten wissen zwar, was sie nicht wollen, nicht aber, was sie wollen und brauchen." (Doris Griesser, 14.7.2019)