Foto: Angry Robot

"Praise to the Gods of the galaxy, who brought us out of Old Earth. Praise to the Gods of the warp-drive, who push at the edges of space. (...) Praise, praise be to the Gods who know, whose minds are above human minds, whose knowledge has kept us alive."

Künstliche Intelligenzen mit quasi-göttlichem Status gab es in der Science Fiction schon oft, von Iain Banks bis Matthew de Abaitua. Die Kanadierin Ada Hoffmann nimmt's in ihrem gelungenen Debütroman "The Outside" allerdings so wörtlich wie kaum jemand zuvor. Ihre KIs – alle tragen sie griechische Namen wie Aletheia, Techne oder Nemesis – haben eine waschechte Religion etabliert. Es gibt menschliche Priester und "Engel", die über Implantate mit den KIs verbunden sind (Engel mit größerer Bandbreite als Priester), klare Gebote und Strafen für Häresie. Und ein Leben nach dem Tod gibt es auch: Dann nämlich wird der Bewusstseinsinhalt jedes Menschen digital seziert, um zu entscheiden, welcher KI er als Infopaket hinzugefügt werden soll. Alle Ungewollten verleibt sich Nemesis ein, die Göttin für brutales Durchgreifen.

Das klingt auf den ersten Blick nach einem recht dystopischen Szenario, doch so einfach ist die Sache nicht. Ohne die KIs, die sie vor langer Zeit selbst geschaffen haben, hätten die Menschen angeblich nicht überlebt. Und auch in der Gegenwart sorgen die Götter auf sämtlichen kolonisierten Planeten für Frieden und Wohlstand. Sie verlangen Gehorsam – sprechen aber zugleich davon, dass die Menschen mehr Selbstverantwortung entwickeln sollen. Sie lassen sich die Benutzung ihrer Warp-Drives und Sternenportale teuer bezahlen und halten die Menschen beinhart davon ab, avanciertere Informationstechnologie als simpelste Computer zu verwenden – sprechen sich aber für den Fortschritt aus. Das sind recht widersprüchliche Botschaften. Und so fragt man sich, welche Interessen die Götter nun wirklich verfolgen.

Draußen ist feindlich

Das äußert sich nicht zuletzt bei dem Ereignis, das den Plot ins Rollen bringt. Auf einer Raumstation im Orbit um den Planeten Jai wird eine neue Form von Reaktor gebaut – eine Energiequelle, die die Menschen autark machen würde. Dies wird von den Göttern weder gefördert noch verhindert, aber aufmerksam beobachtet. Und wie man sich denken kann, geht es furchtbar schief. Die leitende Wissenschafterin des Projekts, die Autistin Yasira Shien, hatte schon vor dem Hochfahren des Reaktors eine üble Ahnung. Und die bestätigt sich, als sich das Ding unter äußerst merkwürdigen Umständen selbst vernichtet und die gesamte Besatzung der Station in den Tod reißt.

Auftritt Akavi Averis: Der Engel und Inquisitor von Nemesis attestiert Yasira, "das gefährlichste Wesen im Universum" zu sein und dass dies genau das sei, was er brauche. Yasira soll ihre alte Mentorin Evianna Talirr, ebenfalls Autistin, aufspüren, die eigentliche Erfinderin des Reaktors. Dr. Talirr soll nämlich eine Verbindung zum ominösen Outside haben: das ultimative Tabu für die Götter. Outside ist eine bedrohliche Sphäre jenseits der menschlichen Vorstellungskraft. Jeder, der mit ihr in Kontakt kommt, verfällt dem Wahnsinn, jeder Einbruch von Outside in die kausale Realität wird daher von den Göttern ausgebrannt wie eine Infektion.

(Alb-)Träume und Lügen

Ist bei diesen Zeilen schon jemandem der Name H. P. Lovecraft durch den Sinn gegangen? Wenn nicht, sollte er es jetzt tun – nicht umsonst ist Dr. Talirr an Bord eines Raumschiffs mit dem Namen "Alhazred" auf der Flucht. Wenn die Phänomene von Outside eine Welt infizieren, wecken sie Erinnerungen an "Die Farbe aus dem All" & Co: Es sind Beschreibungen des Unbeschreiblichen, und Hoffmann macht einen ziemlich guten Job darin, die Horror-Motivik – ebenso wie die ganze Religionskiste – in einen Kontext zu stellen, der sich zu hundert Prozent nach SF anfühlt. Häresie hat hier eine etwas handfestere Bedeutung als üblich: Hier geht es um konträre Wahrnehmungsweisen der Existenz. Wie Dr. Talirr einmal sagt: "Reality is a lie. We dream it into existence and we viciously punish those who deny the dream."

Hauptfigur Yasira steht damit vor einem wachsenden Dilemma. Eigentlich möchte sie nichts lieber als zu ihrer Freundin Tiv zurück, doch ist ihr die Wichtigkeit ihrer Mission fern der Heimat bewusst – auch wenn sie sich dabei mit dem rücksichtslosen Akavi herumschlagen muss. Hoffmann versteht es recht geschickt, für uns Leser immer wieder auch Akavis menschliche Seiten aufblitzen zu lassen, diese vor Yasira aber zu verbergen. Ihr präsentiert sich der Engel als typische Ausgeburt der göttlichen Hierarchie in all ihrer Gnadenlosigkeit. Und damit stellt sich Yasira langsam die Frage, ob ihr dieses System wirklich lieber ist als das – angebliche oder tatsächliche – Chaos, für das Dr. Talirr steht. Hier bahnt sich ein klassischer Loyalitätskonflikt an.

Stichwort Autismus

Gelungenes Worldbuilding, zwischenmenschliche Konflikte und das nahtlose Einbauen Lovecraft'scher Motive in einen SF-Kontext ergeben einen ziemlich faszinierenden Roman. Der noch um eine Bedeutungsebene reicher wird, wenn man in Betracht zieht, dass nicht nur die Hauptfigur autistisch ist, sondern sich auch die Autorin als Autistin deklariert. Passagen, in denen sie beschreibt, wie "Neurotutoren" versuchen, Kindern deren angeborenen Hang zu Outside wegzutherapieren, lesen sich da plötzlich recht ambivalent.

Ganz nüchtern muss ich an dieser Stelle allerdings auch eines sagen: Yasira bewegt sich tief innerhalb des üblichen Verhaltensspektrums von Romanfiguren. Würde sie nicht als Autistin bezeichnet, hätte ich es nicht bemerkt. Ich habe allerdings auch keinerlei Erfahrung damit und weiß nicht, worauf ich achten müsste. Aus Leserreaktionen auf "The Outside" lässt sich aber schließen, dass Hoffmann eine authentische Schilderung abgeliefert hat.

Alles in allem: eine durchweg positive Überraschung. Und der Schluss des Romans riecht stark nach einer Fortsetzung, da bleibe ich gerne am Ball.