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Rudy Rucker! Eine Vita, zu komplex, um hier auch nur einen Überblick geben zu können. Von der Hippie-Kultur der 60er und 70er beeinflusst und zum Cyberpunk-Pionier geworden ("Software", "Wetware"), pendelt der US-Amerikaner seit Jahrzehnten zwischen Science Fiction und Humor, zwischen Informatik und mathematischer Philosophie – und vereint all das in einem selbsterfundenen Genre, das er "Transrealismus" nennt.

Bei der jüngsten Inkarnation dieser Genregrenzen sprengenden Herangehensweise, "Million Mile Road Trip", war sich Rucker selbst nicht sicher, ob es der Verlag als Young Adult (wegen des im Kern simplen Plots und der jugendlichen Hauptfiguren) oder als Literary Science Fiction (wegen der stärkeren sprachlichen Verschlüsselung als üblich) vermarkten soll. Irgendwie schafft es der Roman, beides zu sein – und zwar als literarische Entsprechung einer Rube-Goldberg-Maschine. Solche Maschinen haben ja den Zweck, eine ganz einfache Aufgabe auf möglichst bizarre und kunstvoll umständliche Weise auszuführen. Das könnte man auch über "Million Mile Road Trip" sagen: Über den Ausgang besteht nie der Schatten eines Zweifels, aber auf welch verschlungenen Pfaden wir dort ankommen, ist eine andere Hausnummer. Wie heißt es hier doch einmal so schön? "A road's just an opinion which way to go."

Slacker aus zwei Welten

Hauptfiguren des Romans sind zwei kalifornische Teenager unserer Tage, die kurz vor der Highschoolabschlussfeier stehen. Zoe Snapp wird von Rucker perfekt zusammengefasst: Bitter, yet willing to enjoy life, in a superior, ironic kind of way. Ihr Noch-nicht-ganz-aber-sicher-bald-Freund Villy Antwerpen, ein typischer Surfer-Dude, kann mit Zoe intellektuell vielleicht nicht ganz mithalten, dafür bringt er die nötige Dosis Entspanntheit ein. Wir lernen die beiden beim gemeinsamen Abhängen kennen, und dass sie uns sympathisch werden, liegt daran, dass in einem Moment der Ehrlichkeit inmitten ihres belanglosen Coolness-Sprechs die Angst aufblitzt: "Oh, Villy, what are we going to do with our lives?"

Die Antwort auf diese Frage wird Zoe ziemlich überraschen. Als sie auf ihrer Jazztrompete ein Solo einlegt, öffnet sich unversehens ein Portal in eine andere Dimension. Heraus kommt mit Yampa und Pinchley ein weiteres Slacker-Pärchen – Alien-Slacker in diesem Fall –, und das verkündet unseren Hauptfiguren, dass sie dazu ausersehen sind, zu Helden zu werden. Also besteigen sie Villys violetten Kombi aus den 80ern (Spitzname: "Whale"), der noch schnell mit Dunkle-Energie-Motor, Quantenschaum-Stoßdämpfern und Monstertruckreifen gepimpt wird, und brausen los in die andere Welt. Zu fünft – Villys unreifer Bruder Scud hängt sich zu Zoes großem Grimm nämlich einfach dran.

In der kosmischen Überraschungseierschachtel

Diese andere Dimension, Mappyworld genannt, erinnert auf den ersten Blick ein wenig an Jack Chalkers "Sechseckwelt" aus den 70ern. Es ist eine zweidimensionale Matrix, in die von Gebirgen umringte Becken eingelassen sind. Und diese Becken enthalten die Mappyworld-Entsprechungen der Planeten in unserem Universum, "ohne die langweiligen Anteile". Zoes außerirdische Führer fassen das Worldbuilding einmal ebenso nüchtern wie anschaulich so zusammen: Mappyworld sieht aus wie ein sich in jede Richtung endlos erstreckender Eierkarton. Und der steckt voller Überraschungen.

Auf ihrer Millionen-Meilen-Autofahrt durch diese Welt begegnet unseren Helden in spe so allerhand: Fliegende Untertassen, die sich mit Menschen paaren wollen (und bei Scud auch Erfolg haben), intelligente Dinosaurier, Gestaltwandler, VW-Käfer (im wörtlichen Sinne), fraktale Ameisen und eine zweidimensionale Kuh mit spiritueller Schlagseite: "Moo spelled backwards is Om." Logisch! Und die unterwegs besuchten Welten in den Ausbuchtungen des "Eierkartons" werden auch von Mal zu Mal ungewöhnlicher: Thuddland sieht noch recht konventionell nach einem Dschungel aus, der mit jeder Art von Getier gefüllt ist, die je in einem SF-Pulp aufgetaucht ist. Surf World kommt dann schon etwas abgefahrener daher und präsentiert sich als Mega-Architektur aus lebenden Meereswellen. Der Höhepunkt des Trippigen ist erreicht, wenn Zoe im Sky Castle nur noch ein Wirrwarr aus Moiré-Mustern wahrnimmt.

Goob-goob vs. Groon

Yep, ein Trip ist dies hier in beiderlei Sinne: ein Roadtrip ganz im Stil der alten Beatniks ebenso wie ein "real" gewordener Drogentrip. Ich weiß nicht, ob chemische Substanzen bei der Entstehung des Romans im Spiel gewesen sind, sie könnten aber bei der Lektüre helfen, sich einzutunen. Ruckers Erzählung verbreitet einen unverkennbaren Sixties-Vibe, und da darf die Musik natürlich auch nicht fehlen. So wie Zoes Trompetenspiel das Portal zwischen den Welten geöffnet hat, so bringen Gitarrenakkorde den neuen "Stratocast-Antrieb" von Villys Wagen in Schwung. Auch wenn es genau genommen gitarrenähnliche Alien-Früchte sind, die für genau diesen Zweck gezüchtet wurden. Und nicht zu vergessen der Bösewicht des Romans: Groon, der Herr der Fliegenden Untertassen, der angeblich die Invasion der Erde plant und die Form eines kilometergroßen Dudelsacks hat ...

Ein zusätzliches musikalisches Element bringt Rucker durch seine Sprache ein. Hier wimmelt es nur so vor Reimen und Alliterationen; meistens bewegen sie sich im Spektrum zwischen absurdistisch und albern. "Gotta get a gun", says Yampa. "Kick crash bash lash." Wir sind nicht sicher, was das heißen soll? Whatevski. Bereiten wir uns lieber auf den angekündigten cosmic beatdown zwischen Groon und der guten Göttin Goob-goob vor.

"Million Mile Road Trip" erinnert an die New Wave of Science Fiction der 70er ebenso wie an die Bizarro-Literatur der 2000er – mit absurd-humorvollen Einzelwerken wie "Per Anhalter durch die Galaxis" oder "Der futurologische Kongress" als Paten. Allerdings hat es auch seinen Grund, dass die übliche Länge einer Bizarro-Erzählung die Novelle ist und dass auch die anderen genannten Werke nach heutigen Maßstäben eher kurz waren. So vergnüglich sich Ruckers neuer Roman in jedem einzelnen Kapitel auch liest, auf Langstrecke ist Gonzo-Stil nicht unbedingt angelegt. Um in einem Buch mit doch recht beträchtlichem Umfang wie diesem hier bei der Stange zu bleiben, bräuchte ich persönlich doch wenigstens eine kleine Dosis ... Gravitas. Was aber natürlich die schiere Antithese zu Rudy Rucker wäre.