Rettung durch Literatur: Lukas Bärfuss, Büchnerpreisträger 2019.

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Als Lukas Bärfuss 2015 kurz vor den Schweizer Parlamentswahlen in der FAZ den Artikel "Die Schweiz ist des Wahnsinns" publizierte, fanden das in seinem Heimatland nicht alle lustig. Neben einer Abrechnung mit Blocher und Co, also den Rechts nationalen von der Schweizer Volkspartei, attestierte der 1971 geborene Autor seinen Landsleuten unter anderem, ein Volk von Zwergen zu sein, die auch noch darüber staunen, dass man sie überall wie Zwerge behandelt.

Seither gilt Bärfuss den einen als Wutbürger des Schweizer Literaturbetriebs, andere hingegen halten ihn für den Nachfolger von Frisch und Dürrenmatt. Letzteres nicht nur aufgrund seines politischen Engagements, sondern auch der literarischen Qualität seines Werkes wegen. Und in der Tat hat Bärfuss mit Stücken über die Sexualität von behinderten Menschen ("Die sexuellen Neurosen unserer Eltern")_oder mit Romanen über den Genozid in Ruanda und die Rolle der europäischen Außenpolitik dabei ("Hundert Tage") auch jenseits der Schweizer Grenzen reüssiert. Wobei Bärfuss’ Karriere gelinde gesagt von Umwegen geprägt ist.

Utopiepotenzial der Kunst

Geboren in Thun am Rande des Berner Oberlandes, wuchs Bärfuss in chaotischen Familienverhältnissen auf. Er brach die Schule ab und versuchte dem Trübsinn des Voralpenlandes als Tabakbauer im Jura zu entkommen. Später schlug er sich als Hilfsarbeiter durch und wohnte bei jedem, der ihn eine Weile ertrug.

Nach literarischen Initiationserlebnissen (u. a. Erasmus’ "Lob der Torheit") und einer Buchhändlerlehre begann er im Alter von 20 Jahren, Texte und Stücke zu verfassen. Seither wird der mit seiner französischen Frau und drei Kindern in Zürich lebende Autor nicht müde, auf seine "Rettung" durch die Literatur und das Differenzierungs- und Utopiepotenzial der Kunst hinzuweisen.

Er tut das stets streitbar – auch wenn er sich mit der vermeint lichen Komplexität des Wirtschaftssystems auseinandersetzt: "Die Motive der Ausbeutung sind nicht kompliziert. Gier ist nicht kompliziert (...). Mord und Vertreibung sind nicht kompliziert. Im Gegenteil: Sie bezeichnen die größtmögliche Vereinfachung der menschlichen Existenz – die Reduktion auf Gewinn und Verlust." Für sein Werk wird Lukas Bärfuss nun mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Er ist seit 1994 der erste Schweizer, an den diese bedeutendste Literaturauszeichnung des deutschen Sprachraums geht. (Stefan Gmünder, 9.7.2019)