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Von der Polizei beschlagnahmte Leuchtmarker, in denen Ice nach Australien geschmuggelt wurde.

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Auch Getränkeflaschen werden verwendet.

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Die Beschlagnahmung großer Mengen Ice hat nichts an der Verfügbarkeit der Droge geändert.

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"Entschuldigen Sie, dass ich flüstere", sagt Bob hinter verschlossenen Türen, "aber meine Arbeitskollegen wissen nichts von meiner Vergangenheit." Bob, der seinen richtigen Namen nicht in den Medien lesen will, ist ein erfolgreicher Strafverteidiger in einer Kleinstadt nahe Sydney. Auf seinem Bürotisch stapeln sich Berge von Akten – Vergewaltigung, Raubüberfälle, Drogenhandel, Mord. Und vor allem häusliche Gewalt. "Nur zu oft ist Ice im Spiel", meint Bob. "Es treibt die Leute in den Wahnsinn."

Methamphetamin heißt die Droge unter Fachleuten. Laut Statistik nehmen sie inzwischen rund zwei Prozent der Australier zu sich. Sie rauchen die weißen Kristalle, schlucken sie als Pille oder lösen sie in Wasser oder Alkohol auf und spritzen sie. Wie Bob. Jeder "Schuss" habe ihm eine "massive Euphorie" beschert. Er sei tagelang wach geblieben. Dazu kam ein scheinbar klareres Denken, erhöhte sexuelle Leistung.

Ice rund um die Uhr

All das passiert, weil Ice das Wohlfühlhormon Dopamin stimuliert. Doch wenn das Hoch vorbei ist, kommt der Kater. Um den zu verhindern, nahm Bob Ice schon bald rund um die Uhr. Vor sechs Jahren sei er psychisch und physisch am Abgrund gestanden. "Innerhalb kurzer Zeit bin ich von einem aktiven Mitglied der Gemeinde und einem verantwortungsbewussten Vater, der erfolgreich im Beruf ist, zu einem Obdachlosen geworden. Zu einem psychisch Kranken, einem Vorbestraften, der keinen Kontakt mehr hatte zu seiner Familie."

Laut der australischen Bundespolizei haben mexikanische Drogenkartelle "Australien als Markt im Fadenkreuz", so ein hoher Beamter. Alle paar Monate melden die Behörden eine Rekordbeschlagnahmung der synthetisch hergestellten Droge. Im Jänner entdeckten Beamte 1,6 Tonnen Methamphetamin im Straßenwert von rund 900 Millionen Euro. Der Stoff war in einem Schiffscontainer in Lautsprechern versteckt aus Bangkok kommend in Melbourne eingetroffen. Doch direkt Betroffene beeindrucken solche Erfolge mäßig. "Auf der Straße merken wir davon überhaupt nichts. Ice ist genauso leicht erhältlich wie immer und genauso billig", sagt Bob.

Weit billiger als ein Alkoholrausch

"Etwa sieben Euro pro Schuss" rechnet Carol James vor, Gemeinderätin in Bobs Kleinstadt. Dafür könne man sich in Australien, wo Alkohol teuer ist, "nicht einmal einen leichten Rausch antrinken". Seit Jahrzehnten engagiert sich James im Kampf gegen Drogen und führt eine Interventionsgruppe. Jedes Wochenende ist ein Team von Freiwilligen auf der Straße, um die schlimmsten Auswüchse der Ice-Epidemie zu kontrollieren.

Es ist eine gefährliche Aufgabe, denn Ice verändere die Persönlichkeit der Süchtigen. "Sie können hyperaktiv sein und reizbar. Sie können schnell gefährlich werden, gewalttätig". Das Ergebnis seien häusliche Gewalt, zerrissene Familien, zerstörte Ehen, traumatisierte Kinder. "Unsere gesamte Gemeinde leidet darunter", sagt James.

Die Kleinstadt ist aber nur eine von vielen mit dem Problem. Seit gut zehn Jahren sei Ice nicht zuletzt die Droge der Wahl für jene, die wenig Geld haben. Deshalb seien vor allem auch kleinere Gemeinden betroffen, Orte, in denen viele Menschen der unteren sozialen Schichten leben, sagt James. Denn für immer mehr Australier wird das Wohnen in überteuerten Großstädten wie Sydney unbezahlbar.

Der etwas andere Stoff

Für Bob ist klar, dass Alkohol am Anfang seiner Drogenkarriere stand. "Übermäßiger Alkoholkonsum ist Teil der Kultur in Australien", sagt er. So war er schon als Teenager oft betrunken. "Dann ging es weiter mit anderen Drogen – Kokain etwa, und dann Ice." Doch der Stoff sei anders gewesen.

"Ich war nach wenigen Tagen total süchtig", sagt er rückblickend. Aus dem vielversprechenden Jusstudenten wurde ein Obdachloser. Schließlich holte ihn sein Vater aus der Gosse und schickte ihn in eine Entzugsanstalt. Bob treten Tränen in die Augen, wenn er daran denkt, wie viele Schmerzen er seiner Familie bereitet hat.

Für Bob ist es keine Frage: Nur die Legalisierung von Drogen könne dazu führen, dass die Gesellschaft das Problem in den Griff bekommt. "Alle karitativen und juristischen Organisationen empfehlen das – und den massiven Ausbau der Behandlungsplätze für Süchtige." Denn nur allzu oft wollen Betroffene aussteigen, finden aber monatelang keinen Platz in einer Entzugsanstalt, sagt Bob. "In der Zwischenzeit drehen sie durch." (Urs Wälterlin aus Sydney, 10.7.2019)