Menschen mit Macht müssen nicht alt, und Menschen, die Diskriminierung kleinreden, nicht männlich sein.

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Das wird jetzt schwer. Doch sie muss jetzt einfach sein – die Kritik an der Formulierung "alter weißer Mann". Eine Formulierung, die seit etwa zwei Jahren im medial stärker vertretenen feministischen Diskurs oft zum Einsatz kam. Eine, die massiv Aufmerksamkeit erregte, Ärger provozierte, aber auch Genugtuung auslöste. Verständlich, denn endlich schien es ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit zu geben, einen Kniff, um zu zeigen, wie es sich anfühlt, aufs Frausein, auf die Ethnie, auf das Alter oder auf alles Aufgezählte zusammen reduziert zu werden. Wie es ist, wenn Kompetenzen, Schwächen, Präferenzen oder politische Haltungen durch diese Identitätsmerkmale gefiltert werden – und je nach Vorurteilsgrad zum Tragen kommen. Weil man ja als Frau ach so "sozial kompetent" ist und die Positionen junger Frauen "erfrischend" oder "frech" sind – um ein paar "freundlichere" Beispiele zu nennen.

Doch welche Eigenschaften werden dem "alten weißen Mann" unterstellt – und warum streckenweise zu Recht? Und weshalb bringt uns die Rede vom "alten weißen Mann" trotzdem nicht weiter?

Verlockende Diffamierung

Die Intention, durchaus bewusst pauschal von "alten weißen Männern" zu sprechen, ist nachvollziehbar: Endlich sollen auch jene sichtbar werden, die bisher unsichtbar waren. Deren Geschlecht, deren Ethnie und auch deren Alter nicht das "Andere", sondern das "Normale" sind. Während bei Frauen ihr Geschlecht meistens Thema ist, ihr Alter immer mit "zu" versehen ist – zu jung, zu alt – und während People of Color ständig mit ihrer vermeintlichen Fernab-Herkunft ("Ottakring") konfrontiert werden, ist all das bei weißen Männern nie der Fall. Sie gelten als Menschen, fertig. Und viele von ihnen glauben auch noch, nur weil das bei ihnen so ist, bilden sich alle anderen Diskriminierung schon mal ein.

Sie wissen nicht, dass es Wellness pur ist, nie sexistisch beflegelt, rassistisch beschimpft zu werden. Mit "alter weißer Mann" will man also zeigen: Der hat auch ein Geschlecht, eine Hautfarbe, ein Alter – nur wird das nie zum Problem für ihn. Das Alter beeinflusst bei Frauen übrigens die Art und Weise, wie sie beflegelt werden – ob sie ein "dummes Trutscherl" oder ein "alter Drache" ist. Es ist kein Zufall, dass uns hierfür keine gleichwertigen Schimpfwörter für Männer einfallen – es gib sie einfach nicht. Was für ein Privileg! Und weil sie ebendieses genießen, wissen sie nichts über Diskriminierungserfahrungen.

Mit "alter weißer Mann" ist jemand gemeint, der sich der eigenen Vormachtstellung nicht bewusst ist, jemand, der tagtägliche und strukturelle Diskriminierung anderer nicht einmal mitbekommt, und wenn doch, diese kleinredet. Für den sexistische Witze und Gegrapsche kein Problem sind. Nun haben wir also doch noch ein neues der raren Schimpfwörter exklusiv für Männer. Das hat manchmal etwas Befreiendes. "Alter weißer Mann" kann eine Polemik, eine Diskreditierung in eine ganz bestimmte Richtung sein. Aber eines ist "alter weißer Mann" sicher nicht: ein Konzept oder gar eine Analysekategorie.

Chauvinismus können auch Junge und Frauen

Auch Frauen könnten "alte weiße Männer" sein, wird immer wieder erklärt. Doch spätestens dann sollte klar sein, dass wir mit "alter weißer Mann" nicht weiterkommen. Denn Chauvinismus haben eben nicht nur alte Männer drauf. Den beherrschen auch Frauen, und ja, natürlich auch Feministinnen. Alice Schwarzer hat es während der Debatte über den Preis des deutschen Journalistinnenbundes für die "Emma"-Karikaturistin Franziska Becker in den vergangenen zwei Wochen vorgemacht. Sie hat eine Diskussion über rassistische Zeichnungen als "Tyrannei der politischen Korrektheit" verlacht, Kritikerinnen sinngemäß als "junge Trutscherln" abgetan, sachliche Argumente ignoriert, einfach drübergebügelt. Das war Bilderbuch-Chauvinismus, und der ist eben nicht nur für "alte weiße Männer" reserviert.

Feministinnen weisen zu Recht immer wieder darauf hin, dass wir mit Sprache pauschale Urteile verfestigen. Dass durch sie manches zu sehr und manches gar nicht in den Wahrnehmungsradius gelangt. Dass niemand ums Eck denkt, wenn von "Arzt" die Rede ist und womöglich eine Ärztin gemeint ist. Wir folgen recht faul unserer oft ungenauen sprachlichen Beschreibung. Deshalb taugt "alter weißer Mann" vielleicht für einen Lacher, aber nicht für feministischen Journalismus oder ernsthafte Debatten über Diskriminierung und Privilegien. Gegenüber beidem können junge und weibliche Menschen ebenso ignorant sein, auch Leute, die selbst Diskriminierungserfahrungen zuhauf haben. Die Aussagen über "alte weiße Männer" sind keine adäquate Chiffre für die komplexen Probleme auf dem Weg zur Gleichberechtigung.

Fette Quote

Und es gibt noch einen guten Grund, der gegen die Rede vom "alten weißer Mann" spricht: Sie tauchte verstärkt zeitgleich damit auf, als feministische Themen in den Medien erstmals richtig prominent vorkamen. Als es um sexuelle Belästigung ging, als #MeToo wichtige feministische Themen endlich in den Mainstream spülte und tatsächlich die Machenschaften von – nun ja – alten weißen Männern aufgedeckt wurden. Seither haben feministische Themen Hochkonjunktur. Manche zumindest, genauer gesagt diejenigen, die so richtig schön aufregen, die heftige Social-Media-Debatten auslösen, hochemotional sind und fette Quoten bringen. Sexismus und sexuelle Belästigung etwa, wie eine Studie zeigt. Doch diese Untersuchung machte auch deutlich, dass diese emotionalen Geschlechterdebatten andere zentrale frauenpolitische Inhalte nicht mitnehmen, sondern dass sie sie womöglich sogar überlagern. Bei Frauenpensionen und Arbeitsmarktpolitik für Frauen kracht es nicht, diese Themen interessieren auch heute niemanden. Wenn feministische Themen vor allem dann interessieren, wenn sie undifferenziert und polemisch verpackt werden, bedeutet das Alarmstufe Rot: Feminismus darf nicht zum Clickbait verkommen. (Beate Hausbichler, 10.7.2019)