Wie rechts ist die deutsche Polizei? Deutsche Behörden ermitteln nun gegen aktive und einstige Ordnungshüter, die Mitglied in rechten Prepper-Gruppen waren.

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Oktober 2015 im hessischen Lohfelden: Walter Lübcke (CDU), Regierungspräsident in Kassel, spricht auf einer Bürgerversammlung über die Flüchtlingspolitik. Man müsse als Deutscher "für Werte" eintreten, wer diese nicht vertrete, könne das Land selbst jederzeit verlassen, sagt Lübcke. Im Saal wird zuerst geraunt, dann gibt es heftige Buhrufe, wie ein Handyvideo zeigt. "Verschwinde!", ruft ein Mann. Es soll sich dabei um jenen Neonazi handeln, der Lübcke am 2. Juni 2019 aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss ermordet. In den vier Jahren zwischen Lübckes Rede und dem Attentat soll er zweimal bewaffnet vor Lübckes Privathaus aufgetaucht sein, sich da aber gegen den Mord entschieden haben. Das geht zumindest aus einem Geständnis des mutmaßlichen Täters hervor, das dieser aber zurückgezogen hat, so SZ, WDR und NDR.

Professor Moriatti

Die Tat ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der erste rechtsextreme Mord an einem deutschen Politiker seit 1945. Doch Gewaltfantasien hegt man in der Szene und ihren Nischen regelmäßig. Das zeigen Ermittlungen gegen die Prepper-Gruppe "Nordkreuz", die mit dem Fall Lübcke nach aktuellem Erkenntnisstand nicht zusammenhängt. Die rund dreißig Mitglieder der Telegram-Chatgruppe bereiteten sich auf den "Tag X" vor, an dem die staatliche Ordnung zusammenbrechen soll – etwa wegen der Flüchtlingskrise. Die intensive Vorbereitung auf Katastrophen hat in den vergangenen Jahren an Anhängern gewonnen. Sie ist per se kein Indikator für eine politische Neigung, doch einzelne "Nordkreuz"-Mitglieder wollten weit mehr als sich vorbereiten. Sie legten detaillierte Listen mit Personen an, die politisch nicht rechts zu verorten waren – und die am "Tag X" liquidiert werden sollten.

Die ersten Razzien bei "Nordkreuz"-Mitgliedern gab es bereits im August 2017, informiert wurden "Zielpersonen" erst diesen Juni. Das sorgt für Kritik, da die Vorbereitungen für rechtsextremen Terror offenbar schon weit gediehen waren. So wurden Materiallisten gefunden, auf denen Leichensäcke und Löschkalk standen. Letzteren benötigt man, um in Massengräbern für eine schnellere Verwesung zu sorgen. "Bei welchem Sturm, welchem Stromausfall sollte jemand Leichensäcke in großer Stückzahl benötigen?", fragt die "Taz", die über die Gruppe berichtet und bei Recherchen auch mit dem STANDARD kooperiert hat.

Mitglieder aus Polizei und Militär

Besonders gefährlich erscheint an "Nordkreuz" und verwandten Prepper-Gruppen, dass ihre Mitglieder auch aus Polizei und Militär stammen. So wurden Mitte Juni vier teils ehemalige Polizisten verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, Munition abgezweigt zu haben – und zwar über 10.000 Schuss. Durchsucht wurde ein Schießstand in Mecklenburg-Vorpommern, an dem auch schon österreichische Einheiten trainiert haben.

Das ist nicht die einzige Verbindung nach Österreich: Wie DER STANDARD berichtet hat, waren "Nordkreuz"-Mitglieder schon 2015 zum Schießen und Marschieren in Niederösterreich. Außerdem ist der deutsche Soldat Franco A. in Wien festgenommen worden, nachdem er eine Waffe am Flughafen deponiert hatte. Er war in der mit "Nordkreuz" zusammenhängenden Chatgruppe "Süd". Auch im Fall Franco A. sollen Feindlisten gefunden worden sein. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Der Verfassungsschutz und das militärische Abwehramt ermitteln. Indes gehen die Drohungen weiter: So erhielt eine deutsche Anwältin mit türkischen Wurzeln Faxe, die von einer angeblichen Nachfolgeorganisation der Terrorgruppe NSU signiert wurden. In dieser Causa wurde nun abermals ein Polizist verhaftet. Doch nach dem Mord an Lübcke wurde eine neue Welle an Drohmails versandt – unter anderem auch an Österreicher. (fsc, sum, 10.7.2019)