Rindfleisch aus Südamerika macht einen Bruchteil des Konsums in der EU aus. Österreichs Bauern fürchten starke Konkurrenz, wenn Handelsbarrieren fallen.

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Genmanipulierte Monokulturen in der Größe europäischer Staaten, Massenproduktion von Hormonfleisch und eine freie Hand beim Einsatz von Pestiziden: Gegen diese geballte Macht müsse sich künftig das europäische Modell der familiären Bauernhöfe behaupten, wenn das neue Handelsabkommen der EU mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) in Kraft tritt, sagen die Kritiker. Brüssel winkt ab, man habe bestens vorgesorgt. Wie berechtigt sind die Sorgen der Landwirte?

Angst vor der Rindfleischflut

Für Österreichs Bauern ist der Handelspakt ein rotes Tuch. Zu groß ist die Angst vor Wettbewerbsverzerrung. Brasilien wie Argentinien sind Schwergewichte auf dem Fleischsektor. Auch im Geschäft mit Zucker und Ethanol sind die Mercosur-Staaten breit vertreten. Fallen die Handelsbarrieren, haben sie in Europa im Rennen um Marktanteile die besseren Karten in der Hand, warnen Agrarpolitiker: Großangelegte Produktionskapazitäten verschafften ihnen Kostenvorteile. Weniger Vorgaben rund um Umwelt- und Klimaschutz, den Einsatz von Antibiotika und Pestiziden sowie Gentechnik hielten ihre Preise zusätzlich niedrig.

Völlig überhastet sei der Abschluss des Mercosur-Abkommens passiert, klagt Bauernbund-Präsident Georg Strasser. Österreichs Landwirten würden einerseits laufend höhere LebensmittelStandards abverlangt, andererseits wachse durch Pakte wie diesen der Wettbewerb. "Das geht nicht zusammen."

Fleisch, Honig und Käse

99.000 Tonnen Rindfleisch sollen durch das Abkommen in die EU importiert werden, skizziert die EU-Parlamentarierin Simone Schmiedtbauer die geplanten neuen Kontingente. Zum Vergleich: Österreich verbraucht selbst jährlich 200.000 Tonnen Rindfleisch. Dazu kämen 180.000 Tonnen an Geflügelfleisch, 25.000 Tonnen an Schweinernem und 650.000 Tonnen Ethanol. Auch Importe von Honig, Käse, Milchpulver und Babynahrung in die EU würden steigen. Im Vergleich dazu bescheiden machen sich aus ihrer Sicht die Chancen für Österreichs Lebensmittelsektor aus. Geschützte Marken wie Kürbiskernöl könnten von der Freihandelszone profitieren, unter dem Strich seien die Bauern jedoch Verlierer.

Österreichs Agraraußenhandelsbilanz mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ist jedenfalls trotz steigender Exporte stark negativ. 2018 erreichte das Minus bei Nahrungsmitteln (ohne Getränke) 144 Millionen Euro bei einem Volumen von 172 Millionen Euro.

Betrachtet man jedoch die Nahrungsmitteleinfuhren aus den vier Mercosur-Staaten nach Österreich über einen längeren Zeitraum, lässt sich erkennen, dass der größte Schock längst verdaut wurde. Nach 2004 haben sich die Einfuhren binnen drei Jahren mehr als verdoppelt. In dieser Zeit hat vor allem Brasilien einen fulminanten Aufschwung hingelegt, der erst mit der globalen Finanzkrise 2008 und in jüngeren Jahren mit dem Verfall der Rohstoffpreise einen starken Dämpfer erlitt. Seit 2008 verliefen die Einfuhren von Nahrungsmitteln aus der Region (siehe Grafik) sowie von anderen Gütern nach Österreich relativ stabil. Wird das Mercosur-Abkommen den Agrarmarkt nochmals aufrütteln?

Brüssel will Bauern schützen

Was dagegen spricht, sind die geringen Folgen der EU-Handelspolitik der vergangenen Jahre: Bis 2014 galten Brasilien, Argentinien und Uruguay nämlich als Entwicklungsländer. Als solche stand ihnen ein offenerer Marktzugang zur EU zu als reicheren Drittstaaten. Doch infolge des Aufschwungs wurden diese drei der vier Mercosur-Staaten zu Schwellenländern aufgestuft und verloren viele der früheren Handelsprivilegien. In den Zahlen schlug sich das aber kaum nieder. Österreichs Bauern waren vor der Marktschließung nicht mit einer Flut von Billigimporten aus der Region konfrontiert.

Der Grund dafür liegt in Brüssels traditionell schonendem Umgang mit dem Agrarsektor. Obwohl Brasilien vor 2014 noch als Entwicklungsland galt, wurden für viele Agrarprodukte Einfuhrbarrieren hochgezogen.

Auch nach dem Inkrafttreten des Mercosur-Abkommens will Brüssel eine schützende Hand über die Landwirtschaft halten: Mehrere Mechanismen dafür seien im Deal enthalten, heißt es seitens der Kommission. Die Menge der Nahrungsmitteleinfuhren werde weiterhin durch Kontingente begrenzt. Sollte es trotzdem zu einer Importflut kommen, dürfe die EU Gegenmaßnahmen einführen, steht in einem ihrer Positionspapiere. Zusätzlich stehe ein Hilfspaket in Höhe von einer Milliarde Euro im Fall einer "Marktstörung" für die Agrarwirtschaft bereit.

Zaghaftes Vorgehen

Die besagte Quote für Rindfleisch ist ein gutes Beispiel für das zaghafte Vorgehen bei der Marktöffnung: Bereits seit 2009 erweitert die EU allmählich das Kontingent für frisches und gefrorenes Rindfleisch. Mit dem Mercosur-Abkommen dürften nach acht Jahren sanfter Steigerung letztlich 99.000 Tonnen Rindfleisch ohne hohe Zollaufschläge importiert werden.

Doch schon heute importiert die EU jährlich rund 200.000 Tonnen aus dem südamerikanischen Handelsblock. Die Zölle von 40 bis 45 Prozent für den Großteil davon werden schlicht von den Händlern – und letztlich den Fleischliebhabern – geschluckt.

Dass mit der Zeit mehr argentinisches Steak in der EU auf den Tellern landet, wenn die Barrieren sich langsam senken, ist zu erwarten. Doch die endgültige Quote entspricht lediglich 1,2 Prozent des gesamten Rindfleischkonsums in der Union. Dass für die Landwirtschaft das Abkommen kein Segen ist, dürfte stimmen. Der beschworene Fluch hält sich aber in den engen Grenzen der EU-Handelspolitik. (Leopold Stefan, Verena Kainrath, 10.7.2019)