Der Gletscher schmilzt: Das ewige Eis wird auf den Ötztaler Alpen in Tirol immer weniger. Der Alpenverein bezeichnet in seinem aktuellen Bericht das vergangene Jahr als "gletscherungünstig".

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Vor zwei Jahren sah der Wahlkampf noch ganz anders aus. Alles drehte sich um ein Thema: Asyl und Migration. Der spätere Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wurde nicht müde zu betonen, dass er die Balkanroute geschlossen habe. Nun hat sich die Themenlage geändert. Plötzlich wollen alle Parteien den Klimawandel aufhalten.

Woher kommt das unverhoffte Interesse für dieses zweifellos wichtige Thema? Warum wollen jetzt auch Türkis, Rot und sogar Blau die Welt retten? Immerhin haben Wissenschafter und auch die Grünen schon viele Jahre zuvor vor einer Klimakatastrophe gewarnt.

Für Politikwissenschafter Peter Filzmaier spielen dabei mehrere Faktoren mit. Vor wenigen Monaten hätte er nicht gedacht, dass Umweltpolitik zu einem entscheidenden Wahlmotiv werden könnte. Im EU-Wahlkampf sah er im Aufpoppen des Klimaschutzes noch eine Nische für Oppositionsparteien, einen Gegenpol zur türkis-blauen Regierung zu bilden. Doch nach der Ibiza-Affäre ist die dominante wie beliebte ÖVP-FPÖ-Koalition zerbrochen. Außerdem haben Wahltagsbefragungen bei der EU-Wahl am 26. Mai ergeben, dass Umweltschutz neben Sozialpolitik und Zuwanderung am häufigsten als Wahlmotiv genannt wurde.

Schneeballeffekt

Glaubt man den Wahlstrategen der Parteien, dürfte sich dieser Trend fortsetzen, denn alle Parteien versuchen sich ins grüne Licht zu rücken. "Die Parteien haben sich dafür entschieden, Klimaschutz zu thematisieren, das geht bis auf die Landesebene runter", sagt Filzmaier im Gespräch mit dem STANDARD. Das löse einen Schneeballeffekt aus. "Keine Partei kann es sich leisten, dieses Thema zu ignorieren." Dessen Dominanz erklärt er auch damit, dass es derzeit wenige andere offensichtliche Themen gibt, die dieses überlagern könnten. Doch Filzmaier weist auch auf die Schnelllebigkeit in der politischen Kommunikation hin. Ereignet sich bis Herbst ein sicherheitspolitischer Vorfall wie ein Terroranschlag, könnte das Umweltthema schnell ins Hintertreffen geraten.

Und dann gibt es noch die junge Schwedin Greta Thunberg, die mit ihrer Fridays-for-Future-Bewegung weltweit das Bewusstsein dafür geschaffen hat, dass Klimaschutz das Zukunftsthema ist.

Warum Teenager das geschafft haben, woran die Grünen 2017 gescheitert und schließlich aus dem Nationalrat geflogen sind, hat Christoph Hofinger untersucht. Der Sozialforscher und Mitgründer von Sora erklärt den Erfolg der Jugendproteste damit, dass sie es geschafft hätten, Klimaschutz emotional zu besetzen. In der Sprache der politischen Kommunikation heißt das Framing. Thunberg sei es gelungen, die Klimathematik in einen "Lebensframe zu setzen". Die Botschaft der Jugendlichen lautet: "Ihr gefährdet unser Leben, unsere Gesundheit und unsere Umwelt." Das lasse niemanden kalt. Doch neben dem Mitgefühl, das die Jugendlichen ansprechen, provozieren sie auch Scham, indem sie die bisher nicht wahrgenommene Verantwortung deutlich machen: "Ihr habt zu viel geredet und nichts getan." Solange diese Vorwürfe von politischen Eliten wie eben den Grünen kamen, konnten sie noch viel leichter abgewehrt werden. Die Jugendbewegung sei in ihrem Anliegen authentisch, weil ihre eigene Zukunft bedroht werde, analysiert Hofinger.

Jugendliche demonstrieren rund um den Globus für mehr Klimaschutz. Im Vergleich zu etablierten Parteien schaffen sie Aufmerksamkeit für die Thematik.
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Filzmaier ist in seinem Urteil härter: "Es ist ein Armutszeugnis für die Grünen, dass eine Bewegung von Teenagern das schafft, was einer etablierten Partei jahrelang nicht gelungen ist."

Dennoch: Beide Experten stimmen überein, dass die Themenlage den Grünen bei der EU-Wahl genutzt habe und auch bei der Nationalratswahl Aufwind geben werde. Denn selbst wenn alle Parteien sich nun Klimaschutz ins Parteiprogramm schreiben, am glaubwürdigsten sind jene, die ihn nicht erst knapp vor dem Wahltag entdecken.

Auch Hitzerekorde wie jene im Juni können sich auf das Wahlverhalten auswirken, ist Hofinger überzeugt. Die Wähler begreifen, dass es eine Klimaveränderung gebe und diese vom Menschen gemacht werde – auch weil es immer mehr Nachrichten gebe, die in das Bild passten. "Jede Regierung gerät zunehmend unter Lieferdruck, Maßnahmen zu beschließen", sagt der Sozialforscher. Das könnte Grüne in Verantwortungspositionen hieven, weil es ihr Kernthema sei. Aus der Opposition sei es leichter, Forderungen zu stellen. Mittelfristig seien auch sie gefordert, Strategien zu präsentieren. Denn eines ist für die Wähler klar: Spüren sie unmittelbare Auswirkungen, werden sie ungeduldig und erwarten sichtbare Veränderungen von Entscheidungsträgern.

Öko-Dilemma für Türkis, Rot und Blau

Für die großen, etablierten Parteien ist es schwieriger, Klimaschutz im Programm zu verankern. Zu viele Interessengruppen müssen berücksichtigt werden. Dennoch bekräftigen auch ÖVP, SPÖ und sogar FPÖ ihr Bekenntnis zur Rettung des Klimas.

Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will Österreich zur Wasserstoffnation machen. Der alternative Kfz-Antrieb klingt innovativ, ist aber teuer und nicht effizient. Von einer CO2-Steuer will die ÖVP nichts wissen, es seien bei der Steuerreform ökologische Anreize gesetzt worden.

Wasserstoff als Antriebskraft ist aktuell weder günstig noch effizient.
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Mit dem Rückzug Heinz-Christian Straches von seiner Position als freiheitlicher Parteichef begann auch in der FPÖ eine neue Ära. Straches Zweifel am Klimawandel wurden von seinem designierten Nachfolger Norbert Hofer beiseite gewischt. Es war zwar Hofer, der als Verkehrsminister Tempo 140 km/h auf Autobahnen testen ließ, heute verweist er lieber auf eine geplante Nahverkehrsmilliarde, die den Ausbau des Bahnverkehrs fördern sollte.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner fordert einen Green New Deal. Öffentliche Verkehrsmittel sollen laut SPÖ bei der Pendlerpauschale stärker gefördert werden. Eine CO2-Steuer will die SPÖ umsetzen, allerdings nicht im Alleingang, sondern auf europäischer Ebene. Auch die Besteuerung von Kerosin streben die Roten an.

Grünes Heimspiel, Pilz' Sporen und pinker Zwiespalt

Die Grünen tragen ihre ökologische Prägung bereits im Namen, die Neos fordern Nachhaltigkeit in allen Belangen, und die grüne Vergangenheit von Jetzt-Gründer Peter Pilz schlägt sich im Programm seiner neuen Partei nieder.

Die jüngeren österreichischen Parteien hatten keinerlei Berührungsängste mit Ökothemen. Ganz im Gegenteil, als die Grünen sich 1986 formierten, galten sie noch als Exoten. 33 Jahre später sind sie Trendsetter. Wenn Spitzenkandidat Werner Kogler eine CO2-Steuer wie in Schweden fordert, ist das glaubwürdig. Überhaupt wollen die Grünen eine Energiewende, eine ökologische Steuerreform, die aufkommensneutral ist, und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Eine CO2-Steuer wie in Schweden wird von SPÖ, Grünen, Neos und der Liste Jetzt unterstützt.
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Zumindest bei der CO2-Steuer haben die Neos ähnliche Ziele. Sie wollen Arbeit entlasten und dafür Ökosteuern nach dem Verursacherprinzip. So soll auch die Industrie Anreize haben, in schadstoffarme Technologien zu investieren. Gleichzeitig wollen die Pinken aber nicht die Wirtschaft vergrämen, sondern beweisen, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaft kein Widerspruch sein muss.

Die Liste Jetzt ist als Abspaltung der Grünen entstanden. Viele grüne Positionen wurden von der Gruppe rund um Peter Pilz übernommen wie eben die CO2-Steuer. Diese habe einen Lenkungseffekt. (Marie-Theres Egyed, 11.7.2019)