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Schlechter Start, aber eloquent: Ursula von der Leyen will die EU auf breiter Basis erneuern.

Foto: Reuters / Vincent Kessler

Seit einer Woche schien Ursula von der Leyen wie vom Erdboden verschluckt. Nach der überraschenden Nominierung der deutschen Verteidigungsministerin durch die Staats- und Regierungschefs der EU zur Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker an der Spitze der Kommission hatte sie sich im EU-Parlament in Straßburg kurz in "ihrer" Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) gezeigt. Dann bei einem Handshake mit Juncker.

Dann war sie weg. Keine Erklärungen, keine Interviews, was sie bis 2024 vorhabe. Nichts. Von der Leyen zog in ein karg eingerichtetes Büro mit Computer, Internet- und Telefonanschluss in der Zentralbehörde ein, um sich mit einem halben Dutzend Mitarbeiter abgeschirmt auf die neue Aufgabe vorzubereiten. Bis gestern.

Da betrat "die Neue" in der Früh den József-Antall-Trakt des Parlaments. Die Kandidatin war von den Fraktionen der Sozialdemokraten (S&D, 154 Abgeordnete), den Liberalen (RE, 108) und den Grünen (74) "zum Vorsingen" geladen. Davon sollte abhängen, ob sie die für Mitte kommender Woche geplante Abstimmung im Plenum in Straßburg übersteht.

376 Stimmen nötig

"Ihre" eigenen 182 EVP-Abgeordneten reichen bei weitem nicht für die nötige absolute Mehrheit von 376 Stimmen im Plenum. Viele in der S&D-Fraktion sind skeptisch, die Abgeordneten der deutschen SPD und der SPÖ kündigten an, in jedem Fall gegen die Deutsche zu stimmen. Die Grünen (73) sind gegen den Deal der Regierungschefs, fühlen sich personell und inhaltlich übergangen. Am Mittwochabend kam dann von den Grünen ein klares Nein zu von der Leyen. Ihre auf Fragen bei einer Anhörung in ihrer Fraktion seien "enttäuschend" gewesen, erklärte die Ko-Fraktionsvorsitzende Ska Keller.

Die Liberalen mit Frankreichs Macronisten sind hingegen stark für "das Personalpaket". Es stand also viel auf dem Spiel bei von der Leyens erstem großem Auftritt. "Hearings" sind bei Topjobs in der EU der Normalfall und öffentlich. Nur beim nominierten Chef oder der Chefin der Kommission ist das nicht vorgesehen. Da die Grünen angekündigt hatten, ihre Sitzung im Internet zu streamen, entschlossen sich auch die Liberalen dazu. Den Start machten zunächst aber die Sozialdemokraten – hinter verschlossenen Türen.

Von der Leyen habe zuerst nur französisch und englisch gesprochen, berichtete ein Teilnehmer, erst am Ende auch deutsch. Sie kam in Brüssel als Tochter eines EU-Beamten zur Welt, ging dort zur Schule, ist nicht nur eloquent, sondern auch dreisprachig.

Viel Persönliches

Die Ministerin erzählte neben ihrem Programm auch viel Persönliches; über die Schwierigkeit von Müttern, wenn sie eine Auszeit nehmen (sie selbst hat sieben Kinder). "Sie hat als Prioritäten ganz besonders die Klimapolitik und soziale Verantwortung hervorgehoben", sagte ein Beobachter.

Das kam nicht schlecht an. Das gehört zur großen Kunst von Kandidaten, dem jeweiligen Publikum das zu sagen, was es hören möchte, und dabei nicht allzu konkret zu werden. Ganz klar sagte von der Leyen nur, dass SP-Spitzenkandidat Frans Timmermans ihr "erster Vizepräsident" werden wird.

Das hörte man gerne. S&D will dennoch erst nächste Woche entscheiden, wie man abstimmt. SPD und SPÖ bleiben beim Nein.

Anders die Liberalen. Sie wollen "so rasch wie möglich abstimmen", sagte Fraktionschef Dacian Ciolos nach der Anhörung. Von der Leyen hatte vor der RE-Fraktion freimütig eingeräumt, dass "wir einen holprigen Start hatten, das wissen wir alle". Aber jetzt gelte es, in die Zukunft zu schauen: Sie will sich stark für eine Demokratisierung der EU einsetzen, für die Beteiligung der Bürger am Prozess, für transnationale Listen.

Rechtsstaat als "Juwel"

Der Rechtsstaat nannte sie das "Juwel in unserer Krone". Aber von der Leyen vermied es, klar zu sagen, ob sie für eine Verurteilung von Polen und Ungarn sei. Sie will sich für ein "Beobachtungsverfahren" einsetzen, was es schon gibt. Den Brexit bedauert sie, hofft noch auf Umkehr der Briten. Besteht auf Vereinbartes. Und auch den Liberalen versprach sie, mit Margrethe Vestager eine "Vizepräsidentin mit Muskeln". Manche forderten "Gleichrangigkeit" mit Timmermans. Von der Leyen sprach "auf Augenhöhe" mit ihm.

Das Beispiel zeigte, wie schwer es ist, es allen recht zu machen. Den Grünen versprach die Präsidentin in spe, dass Klimaschutz die "erste Priorität" sein müsse, Klimaziele sogar erhöht werden.

Ob das am Ende für eine Mehrheit reicht? Wahrscheinlich ja, heißt es in den Fraktionen. Denn von der Leyen bekam Unterstützung aus der Fraktion der Konservativen (ECR), vor allem von den dort starken Polen. Ihre Aussagen zur Militärpolitik, zu Russland-Sanktionen finden dort Gefallen – bei allen sonstigen Differenzen. (Thomas Mayer, 10.7.2019)