Der Rubel rollt in Russland, nur rollte er im ersten Halbjahr in Richtung Ausland. Investoren haben derzeit wenig Lust, Geld anzulegen.

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Im ersten Halbjahr 2019 sind nach Angaben der Zentralbank 27,3 Milliarden Dollar Nettokapital aus Russland abgeflossen. Das ist fast das Zweieinhalbfache der Summe, die im ersten Halbjahr 2018 registriert wurde (11,1 Milliarden Dollar). Für den Kapitalabfluss sind in erster Linie die russischen Banken verantwortlich. Während sich in anderen Sektoren Ein- und Ausfuhr von Kapital die Waage hielten, habe der Bankensektor verstärkt Geld im Ausland angelegt und Kredite gegenüber im Ausland registrierten Firmen getilgt, konstatierte die Zentralbank.

Dennoch ist der Finanzregulator verhalten optimistisch. Für das Gesamtjahr prognostiziert die Zentralbank ausgehend von einem Ölpreis um die 65 Dollar pro Barrel einen Kapitalabfluss von 50 Milliarden Dollar. Das wäre weniger als im Vorjahr, wo die Wirtschaft am Ende 67,5 Milliarden Dollar ins Ausland transferierte.

Optimismus

Der Optimismus begründet sich in dem Trend: Immerhin verlief das zweite Quartal diesbezüglich wesentlich erfolgreicher als das erste Vierteljahr, wo gleich 25,2 Milliarden Dollar abflossen. Hintergrund der verstärkten Kapitalflucht damals war wie auch in der zweiten Jahreshälfte 2018 die Furcht vor einer erneuten Verschärfung der Sanktionen, insbesondere nach dem Vorfall in der Meerenge von Kertsch, wo die russische Küstenwache zwei ukrainische Marineboote kaperte und 24 Seeleute festnahm.

Aber auch der Skandal um die Investmentgesellschaft Baring Vostok und ihren Chef Michael Calvey, wo ein Zivilverfahren plötzlich in der Festnahme Calveys und mehrerer Top-Manager von Baring Vostok eskalierte, schreckte Investoren ab. Im ersten Quartal zogen ausländische Investoren mehr Geld aus Russland ab, als sie anlegten – der Saldo von 6,5 Milliarden Dollar bedeutete das schlechteste Ergebnis seit 20 Jahren.

Ruhe vor dem Sturm?

Derzeit ist es an der Sanktionsfront still. Die USA und China haben in ihrem Handelsstreit ihre Gespräche miteinander wieder aufgenommen. Ein Konflikt zwischen den beiden Großmächten hätte zwangsläufig auch Auswirkungen auf andere Emerging Markets wie Russlands. Gegenüber Russland selbst werden statt neuer Drohungen aus Europa Stimmen laut, die einen Abbau der Sanktionen fordern. Daher verringerte sich zuletzt der Kapitalabfluss wieder.

Das eher erratische Vorgehen von Donald Trump in Sanktionsfragen – der unter anderem gegen die von Gazprom geführte Pipeline Nordstream 2 wütet, an der auch die OMV beteiligt ist – bietet aber wenig Gewähr dafür, dass die Sanktionsängste im Herbst durch neue Initiativen im US-Kongress nicht wieder ansteigen.

Zudem sendet die russische Wirtschaft verstärkt Warnsignale aus. Das BIP-Wachstum hat sich abgeschwächt, die Zentralbank hat jüngst ihre Wachstumsprognose für 2019 von 1,2 bis 1,7 auf ein bis 1,5 Prozent gesenkt. Rechnungshofchef Alexej Kudrin sieht selbst die vom Wirtschaftsminister vorgegebenen 1,3 Prozent Wachstum in Gefahr.

Profit durch Öl- und Gasexporte

Der Öl- und Gasexport beschert Russland zwar ein Handelsprofit, doch das fiel im zweiten Quartal geringer aus als erwartet. Einerseits weil die Opec die Ölförderung immer noch drosselt, andererseits weil der Skandal um die verschmutzte Druschba-Pipeline Russland viel Geld kostete.

Auch der Baring-Vostok-Prozess wird weitergeführt. Zwar ist Calvey inzwischen aus der U-Haft in Hausarrest entlassen worden, doch dieser wurde zuletzt bis Mitte Oktober verlängert, während Baring Vostok die Kontrolle über das strittige Aktiv – eine Bank – an einen in Geheimdienstkreisen gut vernetzten russischen Bankier vorerst verloren hat. Alles Faktoren, die sich negativ auf Investitionsklima und Anlagebereitschaft in Russland auswirken. (André Ballin, 10.7.2019)