Im Sommer kommt während der Hundstage bei klein und groß oft Langeweile auf.

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Früher hat es mit der Langeweile bekanntlich etwas länger gedauert. Ungefähr ziemlich genau nach sechs Wochen wurde es selbst dem härtesten Schulhasser zu Hause derart fad, dass er sich zumindest langsam wieder ein kleines bisschen auf die unentschuldigten Fehlstunden im Herbst zu freuen begann.

Dabei war es früher viel leichter, Langeweile zu verspüren. Die Zeit am Bildschirm totzuschlagen bedeutete untertags: Meditation vor dem Testbild. Lustige Sachen am Telefon mit Viertelanschluss machen erschöpften sich nicht etwa in den 20 neuesten Kaufempfehlungen von Influencern auf Youtube oder den aktuellen Grimassen der Freunde auf Snapchat. Meist hatte es sich schon mit dem Klassiker des Sauschädl-Anrufs beim örtlichen Fleischhauer. Wenn man zu lange telefonierte, stand außerdem die Nachbarin auf der Tackn und fragte, ob man irgendwo dagegengerannt sei.

Fürchterliche Form der Einzelhaft

Heutzutage kann man angesichts eines leeren Handy-Akkus innerhalb von Minuten beobachten, wie die von Immanuel Kant als Idealbild dargestellte, getrennt geschriebene lange Weile – gelesen als "interesseloses Wohlgefallen" – umkippt in eine "fürchterliche Form der Einzelhaft". Diese bedeutet laut Kulturkritiker Erwin Chargaff in Dimensionen der Langeweile weiters: "Man ist allein mit dem Teufel, und was noch ärger ist, mit sich."

Wer mit sich selbst oder tödlich gelangweiltem Nachwuchs nichts anzufangen weiß, dem bietet heute das Internet mehr Rat als Trost. Der Suchbegriff "Langeweile" präsentiert auf hunderten Seiten Tipps zur Bekämpfung derselben, bevor auch nur zarte Hinweise ergeben, dass das Wort Langeweile Hintergedanken zulässt.

Aber nein. Lieber dumme Ratschläge: "Lies ein Buch. Kritzle, male oder zeichne etwas. Male aus. Schreibe eine Liste (Listen machen Spaß und lassen die Zeit vergehen). Betreibe kreatives Schreiben. Schreibe einen Brief oder eine E-Mail. Bastle ein Geschenk..."

Die ewige Wiederkunft des Gleichen

Wer sich langweilt, dem muss man Zerstreuung bieten. Sofort. Bloß keinen Leerlauf, kein Desinteresse, keine Kontemplation. Langeweile ist böse, sie kann zur Lustlosigkeit führen! Menschen neigen dazu, aus Langeweile zu essen, mit Drogen zu experimentieren, launisch zu werden oder Schweizerkracher ins Postkastl zu werfen. Wehe!

Zu Hause nachmachen: Sport betreiben, Yoga machen, neue Fähigkeiten lernen, einen Garten anlegen, Pläne machen, das Zimmer umräumen. Tanzen macht glücklich! Noch besser: Etwas mit Freunden unternehmen, Online-Spiele spielen, "lustige oder süße Bilder im Internet" anschauen.

Das Ideal geistiger Regsamkeit, so Philipp Wüschner in Die Entdeckung der Langeweile, bestimmt heute den so genannten Bildungsauftrag. Immerhin impliziert Langeweile "die Abwesenheit verschiedener Größen, die wir für philosophisch wichtig halten: Sinn, Bedeutung, Wichtigkeit und Relevanz, Erkenntnisreichtum." Bloß keine Banalitäten und Langeweile! Die ewige Wiederkunft des Gleichen, von Friedrich Nietzsche als zyklisch verlaufende Grundlage einer Lebensbejahung gedeutet, gilt heute als das große Böse. Horror vacui, Angst vor der Leere, schlimme Sache.

Metaphysik und leerer Akku

Langeweile aber, so der hier unvermeidliche Philosoph Martin Heidegger in seiner berühmten Vorlesung zum Thema, sei nicht weniger als "das Grundrauschen der Existenz". Hinter jedem Augenblick verstecke sie sich. Die Leere bleibe anwesend, wie die Stille unter dem Geräusch, wie die Sonne hinter den Wolken. Diese allumfassende Leere, die wir in Momenten der Langeweile so schmerzlich verspüren, sie sei die Basis unseres Daseins.

Dabei handelt es sich laut Heidegger bei Langeweile um ein Initiationsereignis der Philosophie. Nur wenn wir uns ungeschützt, aber bewusst dem leeren Verstreichen der Zeit aussetzen, können wir zu einer metaphysischen Erfahrung gelangen. Wir bemerken die Zeit und unsere bloße Anwesenheit.

Zugegeben, während gut 150 Seiten Heidegger kann einem leicht einmal langweilig werden. Gottseidank aber ist der Akku jetzt wieder voll. Lust auf lustige und süße Bilder aus dem Internet oder Schweizerkracher ins Postkastl hätten wir jetzt auch. Das mit zwischendurch mal ohne Handy ist aber eine gute Idee. Das Internet meint das auch. Uns Menschenkindern darf zwischendurch ruhig langweilig sein. Das macht kreativ. Ewiggleiche Wiederholungen sind übrigens auch gut. Das mit dem leeren Akku passiert uns aber nicht so schnell wieder. (Christian Schachinger, 12.7.2019)