Für die Angehörigen der Opfer ist es eine extrem schmerzvolle Verhöhnung. Der Abgeordnete der regierenden Fortschrittspartei von Aleksandar Vučić in Serbien, Vladimir Đukanović, hat auf seinem Twitter-Profil folgende Nachricht veröffentlicht: "Ich möchte das serbische Volk zum Tag der Befreiung von Srebrenica beglückwünschen und mich bei General Ratko Mladić für die hervorragend ausgeführte Militäroperation in Krivaja 95 bedanken." Mladić wurde unter anderem wegen der Ausführung des Genozids im Juli 1995 in Srebrenica vom Haager Jugoslawien-Tribunal zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Gedenkveranstaltung in Srebrenica, 24 Jahre nach dem Massaker von 1995.
Foto: AFP/ELVIS BARUKCIC

Vor 24 Jahren wurden rund um die ostbosnische Stadt Srebrenica über 8000 Menschen – die Mehrheit von ihnen waren Männer und Burschen – mit muslimischen Namen von Mitgliedern der Armee der Republika Srpska, Polizei und Freischärlern ermordet. Die politische Entscheidung für das Massenverbrechen wurde von dem damaligen Präsidenten der Republika Srpska, Radovan Karadžić, getroffen. Ohne die militärische "Hilfe" aus Belgrad hätte die Armee der Republika Srpska aber den Krieg (1992–1995) nicht führen können. Politische, strategische und militärische Entscheidungen waren mit Belgrad abgesprochen.

"Ethnische" Säuberung und Anschluss an Großserbien

Es ging den rechtsradikalen Nationalisten rund um Karadžić damals darum, bestimmte Gebiete in Bosnien-Herzegowina "ethnisch" zu säubern, sodass dort danach nur mehr Menschen mit orthodoxen Namen leben sollten. Menschen mit muslimischen oder katholischen Namen sollten vertrieben oder ermordet werden. Die "ethnisch" gesäuberten Gebiete in Bosnien-Herzegowina sollten später an ein Großserbien angegliedert werden.

Der Völkermord an Menschen mit muslimischen Namen – sie wurden tagelang durch Wälder gehetzt, gefangengenommen und dann in Massen erschossen – gilt als das größte Verbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Ob jemand zum Opfer wurde oder nicht, wurde nur dadurch entschieden, welchen Namen er oder sie trug. In Bosnien-Herzegowina werden Menschen mit muslimischen Namen heute als Bosniaken bezeichnet, Menschen mit orthodoxen Namen traditionell als Serben und Menschen mit katholischen Namen als Kroaten. Während in Bosnien-Herzegowina jedes Jahr des Verbrechens im Juli 1995 und seiner Opfer gedacht wird – noch immer werden jedes Jahr sterbliche Überreste der Opfer beerdigt –, leugnen oder verharmlosen Nationalisten in Serbien, aber auch in der Republika Srpska den Massenmord.

Heroisierung von Schwerstverbrechern

Mit der Aussage von Đukanović wird der Kriegsverbrecher Mladić nicht nur heroisiert, sondern das Verbrechen an sich als Leistung gedeutet. Auch auf höherer Ebene gibt es immer wieder den Versuch der Geschichtsklitterung. Der rechtsradikale Nationalist und Chef der Partei SNSD in Bosnien-Herzegowina, Milorad Dodik, will sogar Straßen oder Plätze nach Mladić und Karadžić benennen und verfolgt die gleichen politischen Ziele wie die politische Führung Anfang der 1990er – nämlich die Abspaltung der Republika Srpska und deren Anschluss an Serbien und damit die Zerstörung von Bosnien-Herzegowina.

Dodik steht unter US-Sanktionen, darf nicht in die USA reisen, sitzt aber im bosnischen Staatspräsidium und kommt oft nach Österreich. Weder Österreich noch andere EU-Staaten haben sich den Sanktionen angeschlossen. Es wird aber vermehrt darüber nachgedacht, die Leugnung der Kriegsverbrechen und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern in Bosnien-Herzegowina unter Strafe zu stellen.

Nicht "ständig in Vergangenheit zurückkehren"

Aber nicht nur in Bosnien-Herzegowina wird Propaganda betrieben, auch die serbische Premierministerin Ana Brnabić leugnet den Genozid rund um Srebrenica. Sie sagte nun anlässlich des Jahrestages, dass sie nicht zu der Gedenkveranstaltung am 11. Juli nach Potočari kommen werde. Es trage nicht zu Frieden und Stabilität bei, wenn man "ständig in die Vergangenheit" zurückkehre, so Brnabić. In Serbien und in Bosnien-Herzegowina wird Hasssprache gegen Menschen mit anderen Nachnamen und anderer Religion nicht nur von Medien, sondern auch von Politikern verwendet.

Menschen werden in erster Linie als Mitglieder sogenannter ethnischer Gruppen und nicht als Bürger oder Individuen betrachtet. Die Angehörigen der Opfer des völkischen Nationalismus, jener Ideologie, die den Krieg ermöglichte, werden oftmals alleingelassen. Insgesamt wurden wegen des Massenverbrechens in Ostbosnien im Juli 1995 47 Personen zu insgesamt 704 Jahren Haft verurteilt. (Adelheid Wölfl, 11.7.2019)