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Von Franklin D. Roosevelt ist der sozial- und wirtschaftspolitisch bedeutende "New Deal" in Erinnerung, seine Präsidentschaft im Krieg gegen Nazi-Deutschland und Japan, auch seine dreimalige Wiederwahl als US-Präsident. Nicht in Erinnerung ist, dass der als "FDR" zur Marke gewordene Spitzenpolitiker all die Jahre aufgrund eines Nervenleidens auf den Rollstuhl angewiesen war. Die Erkrankung wurde in Berichten kaum erwähnt, auf Fotos geschickt verborgen. Denn in den 1940er-Jahren machte man weder in der politischen Auseinandersetzung noch in den Medien die körperliche Schwäche von Politikern zum Thema – sie hatte ja auch nichts mit deren Amtsführung zu tun.

Stoff für Spekulationen

Das hat sie auch heute nicht. Aber das schützt die Politikerinnen und Politiker nicht davor, dass ihre körperliche Befindlichkeit als Ausdruck ihrer geistigen Verfassung gedeutet und öffentlich diskutiert wird. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel zittert? Ist sie mit den Nerven fertig? Oder gar politisch am Ende? Stoff für endlose Spekulationen, die noch dazu einfacher anzustellen sind als politische Analysen.

Schlimmer noch: Vor allem am rechten Rand von Politik und Medien hat sich eine noch vor wenigen Jahren undenkbare Respektlosigkeit gegenüber Amtsträgern breitgemacht – und vor irgendwie angeschlagen wirkenden Amtsträgern haben diese Leute erst recht keinen Respekt.

In übler Erinnerung ist die scheinheilig vorgetragene Sorge hinsichtlich einer Suchterkrankung, die hinter den sichtbaren Beschwerden stecken könnte, die Jean-Claude Juncker manchmal beim Gehen hat. Der scheidende EU-Kommissionspräsident wischte das zwar mit charmanten Bemerkungen über die diagnostischen Fähigkeiten seiner Beobachter weg, aber ein bisserl was bleibt leider immer hängen: an der Person und – wie von den Kritikern aus dem rechten Lager gewünscht – wohl auch am Amt.

Neue Medien

Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die heutige Politik- und Medienszene auf ein Starprinzip setzt – ganz so, als ob eine Message-Control, wie sie rund um FDR noch geklappt hat, in die heutige Zeit übertragbar wäre. In den 1940er-Jahren konnte man die Fotografen noch anweisen, den Präsidenten eben nur aus einer bestimmten Perspektive zu fotografieren. Heute wird allfälliges Stolpern und Zittern in Livevideos übertragen und kommentiert. Vermeintlich hilft da nur, sich zusammenzureißen und sich ja nicht erwischen zu lassen – sicherheitshalber absolvierte die deutsche Kanzlerin nun einen Staatsbesuch im Sitzen.

Man kennt das aus Österreich: In den späten 1980er-Jahren mehrten sich die Anzeichen für die Parkinson-Erkrankung des damaligen ÖVP-Chefs Alois Mock – es wurde dementiert, was das Zeug hält. Das wäre nicht nötig gewesen, denn trotz seiner Erkrankung war Mock erfolgreicher als je zuvor. Andere Politiker sind gut damit gefahren, ihre jeweilige Erkrankung öffentlich zu machen: Die 2014 verstorbene Nationalratspräsidentin Barbara Prammer füllte ihr Amt ihrem Krebsleiden zum Trotz aus. Der Grünen-Landesrat Rudi Anschober kurierte seine Erschöpfungsdepression – und kehrte geheilt in sein Amt zurück.

Sie sind zu dem gestanden, was ohnehin jeder weiß (aber kein Berater zugeben will): Politiker sind nicht perfekt. Wenn sie das zeigen, dürfen sie auf Verständnis hoffen. Nur halt nicht von ganz rechts. Das ist zu verschmerzen. (Conrad Seidl, 12.7.2019)