Donald Trump war natürlich begeistert. Vor zwei Jahren, am 14. Juli 2017, nahm der US-Präsident auf Einladung seines Amtskollegen Emmanuel Macron an der Militärparade des französischem "Quatorze Juillet" teil. Er mochte das farbenprächtige Defilee über die Pariser Champs-Élysées so sehr, dass er für den Unabhängigkeitstag der USA, den 4. Juli, seine eigene Militärschau in Auftrag in gab.

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US-Präsident Donald Trump ließ sich von den Feierlichkeiten zu seiner eigenen Militärparade inspirieren.
Foto: REUTERS/Charles Platiau

Und natürlich reagierte die US-demokratische Opposition überaus kritisch, zumal sich Wiederwahlkandidat Trump selbst gebührend inszenierte. Ähnlich würden in Großbritannien – das keinen Nationalfeiertag kennt – die Labour-Genossen reagieren, wenn die Tories zum Beispiel einen Brexit Day schaffen wollten; derlei Ideen gibt es offenbar. Dass die SPD oder die Grünen in Berlin zum Tag der Deutschen Einheit eine Machtdemonstration nationalen Selbstwertgefühls in Form einer Militärparade verlangen würden – schlicht unvorstellbar.

Parade gehört auf die Champs-Élysée

In Frankreich findet das die Linke normal. Für sie gehört die Truppenparade zum Nationalfeiertag wie der Camembert zu Frankreich. Oder wie die nukleare Force de Frappe, die nach dem Brexit die letzte Atomstreitmacht in der EU wäre. Als der liberale Präsident Valéry Giscard d'Estaing mit dem Ort des "défilé militaire" experimentierte – 1974 und 1979 fand es zwischen Bastille und République statt -, korrigierte ein Sozialist diesen Stilfehler: Präsident François Mitterrand ließ Elitesoldaten, Genietruppen und Fremdenlegionäre wieder in ihren Galauniformen über die Prachtavenue der Champs-Élysées defilieren. Comme il faut.

Gerade die französische Linke versteht mit den republikanischen Symbolen keinen Spaß. Der tiefere Grund dafür liegt, wie fast alles in Frankreich, in der Geschichte. Genau gesagt im glorreichen Jahr 1789. "Der Patriotismus im engeren Sinn ist in der großen Revolution entstanden", befindet der Politologe Alain Duhamel. "Und die war nun einmal links."

Der Welt die Armee zeigen

Die Sansculotten mussten sich damals doppelt wehren, in Frankreich gegen das Ancien Régime und im Ausland gegen die konservativen Monarchien. 1793, also im Jahr II nach dem Revolutionskalender, riefen junge Ultrarepublikaner wie Danton, Carnot oder Hoche zur "levée en masse", der Massenmobilisierung, auf. Damit wollten sie die Gefahr der Gegenrevolution von der Nation abwenden und im Gegenteil die neuen Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in die Welt hinaustragen. Das patriotische Bewusstsein sei in diesen Revolutionskriegen entstanden, reicht Duhamel nach.

Demonstration militärischer Macht am Himmel von Paris: "In Frankreich findet das die Linke normal. Für sie gehört die Truppenparade zum Nationalfeiertag wie der Camembert zu Frankreich."
Foto: Imago

Dieses Bewusstsein blieb antimonarchistisch und antiklerikal. Daran änderte sich in der Folge wenig. Nach der Revolution leitete Napoléon Bonaparte die republikanisch-jakobinischen Neigungen des revolutionsmüden Volkes geschickt auf seine Mühlen. In der Restauration versuchten die Royalisten, das Nationalgefühl mit dem Gottesgnadentum und dem König als Vertreter zu koppeln. Das funktionierte nicht, oder nur äußerlich. Nach der Niederlage von Napoleon III. gegen die Preußen im Jahr 1870 errichtete die Linke die Dritte Republik, um die Nation zu retten.

Erste Parade 1880

Es war ein "roter", laizistischer und antireaktionärer Republikaner, Präsident Jules Grévy, der am 14. Juli 1880, dem Tag des Bastille-Sturms, erstmals eine Truppenparade über die Champs-Élysées organisierte. Er wollte der Welt und namentlich Deutschland zeigen, dass Frankreich wieder eine Armee hatte. Duhamels Fazit: "Während des ganzen 19. Jahrhunderts war der französische Patriotismus links."

Bis tief ins 20. Jahrhundert galten die Linken als die besseren Vaterlandsverteidiger. Im Ersten Weltkrieg wurde Frankreich von Georges Clémenceau geführt, der gegen die Kirche, die Rechte, die Antisemiten und die Kolonien antrat und 1918 als "Père de la Victoire" (Vater des Sieges) gefeiert wurde. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte die Résistance unter Führung von Kommunisten und Gaullisten für das republikanische Ideal, während es das faschistoide Pétain-Regime in Vichy mit Füßen trat.

Die Highlights der Parade 2017.
C-SPAN

Infrage gestellt wurde der militante, bisweilen militaristische Patriotismus der Linken erst durch den gesamteuropäischen Pazifismus von Mai 68. Seither halten sich namentlich Grüne über den "Chauvinismus" (so José Bové) des Quatorze Juillet auf. Jean-Luc Mélenchon von der Linksformation La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich) geißelt zwar allgemein den Militarismus, spielt aber als guter Volkstribun ebenfalls mit nationalen Symbolen.

Einzelne Progressive und Pazifisten verlangen eine Änderung der Nationalhymne oder zumindest ihrer martialischen Passagen ("Unreines Blut tränke unsere Furchen"). Aber das ist ein Randphänomen. Für die Mehrheit der Franzosen bleibt die 1792 von Claude Joseph Rouget de Lisle komponierte Marseillaise das Lied der Revolutionsarmee.

Würde man unter den Teilnehmern der Truppenparade auf den Champs-Élysées eine Publikumsumfrage erstellen, dürfte man sich nicht wundern, wenn die Hälfte der Zaungäste stolz erklären würde, sie wählten links. Am Ende ihrer Wahlveranstaltungen singen die Sozialisten die Marseillaise so inbrünstig wie die Konservativen. Ihre frühere Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal trat vor Jahren als Erste dafür ein, dass die Schüler bis in die Banlieue-Viertel die Nationalhymne auswendig lernen und vor dem Quatorze Juillet klassenweise singen sollen. Auf Weisung von Präsident Emmanuel Macron wurde dies im Juni für den neuen zivilen "Universaldienst" in die Tat umgesetzt: Bei der Tagwache nach dem Hahnschrei stimmen die 16-jährigen Absolventen die Marseillaise an.

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Das französische Militär verwendet auch Hoverboards.
Foto: Reuters / Platiau

Nach den Charlie Hebdo- und Bataclan-Attentaten von 2015 war es ein sozialistischer Präsident – François Hollande -, der wörtlich die "französische Seele" beschwor. Den an sich nationalistischen Begriff hatten linke Republikaner Ende des 19. Jahrhunderts geprägt. Konservative Politiker oder Rechtspopulisten würden dafür heute kritisiert – aber aus dem Mund eines überzeugten Anhängers der Republik klingt der Ausdruck so gefühlt wie der flammende Patriotismus der Sansculotten vor 230 Jahren.

Kräftig gefeiert

Und wenn Sozialisten und Kommunisten in einem Gemeinderat "Allons enfants de la patrie" anstimmen, um die Rechtsextremen zu übertönen, bleibt kein Auge trocken, und kein Lepenisten-Großmaul offen. In dem an der Loire gelegenen Dorf Sury-Près-Léré annullierte der fortschrittliche Bürgermeister vor zwei Jahren von sich aus das "republikanische Bankett" des Nationalfeiertags – weil die 700 Einwohner bei den Präsidentschaftswahlen mehrheitlich für Marine Le Pen gestimmt hatten. Der Dorfvorsteher befand seine Bürger für unwürdig, die Errungenschaften des Quatorze Juillet zu begehen: Seine Einwohner hatten in seinen Augen mit ihrer Wählerstimme die Republik "beschmutzt".

Das heißt indessen nicht, dass der Quatorze Juillet eine todernste Angelegenheit wäre. Schon am Vortag wird landauf, landab kräftig gefeiert. Die Feuerwehrleute öffnen ihre Depots am Abend des 13. Juli zu den traditionellen "bals des pompiers", den Feuerwehrbällen. Dort tanzt das Volk bis in die frühen Morgenstunden. Nach der Marschmusik bei der Truppenparade folgt abends noch in allen größeren Orten des Landes ein Feuerwerk zu Ehren und zum Ruhm der Republik.

Die Militärkapellen haben ein großes Repertoire: 2017 wurde der Daft Punk-Hit "Get Lucky" zum Besten gegeben.
Guardian Wires

All diese Feiern und Rituale erinnern nicht zuletzt an den ersten Geburtstag des Bastille-Sturms, der 1790 mit einer riesigen "Fête de la Fédération" begangen wurde. Sogar das Königspaar musste bei dem Föderationsfest mitfeiern. Denn das republikanische Ideal ist ebenso "eins und unteilbar", wie es Frankreich laut Verfassungstext ist. Deshalb halten die französischen Staatspräsidenten am Nationalfeiertag – anders als das amerikanische Pendant vor zehn Tagen – auch keine hehre Rede: Die revolutionär-universelle Zivilisationsmission, die der Menschheit die hehren Werte der Liberté, Égalité und Fraternité beschert hat, steht weit über jedem politischen Argument, über jeder persönlichen Interpretation, und stamme sie vom hohen Staatschef. Auch das hatte der amerikanische Präsident nicht erfasst, als er sich am 14. Juli 2017 in Paris inspirieren ließ. Abgesehen von Düsenjägern und Feuerwerk hat der Quatorze Juillet wirklich nichts gemein mit Donald Trump. (Stefan Brändle, 13.7.2019)