Der Film gilt als einer der Höhepunkte der New-Hollywood-Ära: Marlon Brando spielte in Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" den abtrünnigen Colonel Walter Kurtz

Foto: Constantin Film

Der reinste Horrormoment kam für Francis Ford Coppola erst nach dem Herzinfarkt, den Martin Sheen während der Dreharbeiten erlitten hatte. Nach dem Taifun, der die Filmsets zerstörte. Nach der Weigerung von Marlon Brando, sich mit seinem mächtigen Körper vor der Kamera zu zeigen. Der Horrormoment überfiel Coppola im Schlaf, in einem Albtraum. Darin kommt der Film, an dem der Regisseur so viele Jahre gearbeitet hat, ins Kino.

Aber Coppola ist verwirrt: Er hat sein Werk überhaupt noch nicht montiert, jemand anderer muss das an seiner Stelle getan haben. Größtes Entsetzen!

Coppola hat diesen Traum von Kontrollverlust und Enteignung seinem Hauptdarsteller Sheen auf dem Dschungelset von Apocalypse Now erzählt, dort, wo das kleine Patrouillenboot im Film nach seiner langen Fahrt gelandet ist. Im Herz der Finsternis, wo ein verrückter, vielleicht aber auch nur zu rationaler US-Colonel (Brando) über die absolute Aggression meditiert. Schädelberge, verstümmelte Leiber wohin man auch sieht. Herbeigebracht von einer indigenen Armee, die Colonel Kurtz anbetet wie einen Gott. Willard (Sheen) soll ihn im Auftrag der U. S. Army töten. Das ist die Storyline von Apocalypse Now.

Tobender Krieg

Um mit seiner Crew an diesen Punkt der Erzählung zu kommen, hatte Coppola selbst seine Produktionsfirma und sein Privatvermögen aufs Spiel gesetzt. Reportagen über die endlosen Dreharbeiten titelten "Apocalypse When?" oder "Apocalypse Never".

Seine erste, dreistündige Version, noch als "work in progress" gelabelt, gewann im Mai 1979 auf dem Festival von Cannes die goldene Palme, auch am Boxoffice wurde der Film ein Hit. Ein neuer Triumph des New-Hollywood-Kinos.

Den vierzigsten Geburtstag seines Films feiert Coppola jetzt mit einem "Final Cut", technisch brillant und in der Erzählung leicht verändert, restauriert für die digitale Gegenwart und für einen neuen Kinoeinsatz. Es ist die vierte Version des Films, wenn man die erste, nie realisierte, in den 1970ern von Coppola vorfinanzierte Version mitzählt, die der Autor John Milius und George Lucas auf den Schlachtfeldern von Vietnam drehen wollten, inmitten des noch tobenden Krieges.

Nebel von Drogen und Musik

Eine Hommage an Joseph Conrads Novelle The Heart of Darkness sollte das schon damals sein, fusioniert mit den Berichten, die Milius' Freunde von der Front mitbrachten, und mit Szenen aus den Reportagen des Kriegsberichterstatters und späteren Co-Autors Michael Herr. Eine Phantasmagorie extremer Gewalt, wahrgenommen durch einen Nebel von Drogen und nervenkitzelnder Musik. Coppola hat den Film zuletzt 2001 für Apocalypse Now – Redux um 49 Minuten erweitert: u. a. um Szenen in einer französischen Kolonialplantage und um eine Episode mit den im Dschungel gestrandeten Playboy-Bunnys.

Nun hat er die Erzählung wieder gestrafft (auf insgesamt 183 Minuten), teilweise neu montiert. Aber egal wie Coppola die Schwerpunkte verschiebt, der Film behält sein eigenes Leben. Die Wirkung stammt unverändert aus der Berührung des mythischen Stoffes mit einer fast dokumentarischen Kinoerfahrung.

StudiocanalUK

Das Blut und die Tränen sind tatsächlich da, wenn Sheen zu Filmbeginn im Hotelzimmer in Saigon zusammenbricht. Speed, Hasch und LSD waren Begleiter der Crew, die blutigen Tieropfer so erschreckend wie die Helikopterarmada, die der philippinische Diktator Marcos an Coppola vermietet hatte. Als Coppola in Cannes davon sprach, dass sein Film, vier Jahre nach Kriegsende, nicht von Vietnam erzählen würde, sondern Vietnam sei, spielte er darauf an.

Ultimative Gewaltfantasien

Könnte man heute noch so im US-Kino erzählen? Visionäre Regisseure wie Anderson, Tarantino oder Nolan scheinen so kompromisslos wie Coppola, aber die ultimativen Gewaltfantasien haben heute in desinfizierter Form die Superheldenanimationen der Marvel/Disney-Studios übernommen. Das wäre eine Antwort, die auf die technisch überlegene Kriegsmaschine Hollywoods blickt, auf den Hightech-Pol und die Millionenbudgets.

Coppola selbst hat eine andere Replik auf diese Frage gegeben. Das nächste Meisterwerk sagte er, werde vielleicht von einem dicken Mädchen aus irgendeinem Kaff aus Ohio kommen, die mit ihrer Minikamera einen Film dreht, der die Möglichkeiten des Kinos wirklich auslotet: Cinema als extrem persönliche Kunstform, darum gehe es letztlich. This is not the end, my friend. (Robert Weixlbaumer, 13.7.2019)