Stammt aus dem Uradel von Mecklenburg-Vorpommern und hat einen Roman geschrieben, der gekonnt die Kitschgefahr bannt: Sophie von Maltzahn

Foto: Carolin Saage

Bei der heutigen Lourdes-Stätte soll im Februar 1858 der 14-jährigen Müllerstochter Bernadette Soubirous die Mutter Gottes erschienen sein, und dabei wurde in der Grotte eine Quelle entdeckt, aus der heiliges und heilsames Wasser sprudelt.

Heute pilgern bis zu sechs Millionen Menschen jährlich nach Lourdes. Aber was bewegt eine junge und gesunde Frau von heute, diesen Wallfahrtsort aufzusuchen? Sophie von Maltzahn kümmerte sich achtmal auf Lourdes-Reisen um schwerbehinderte Kinder.

Diese Tätigkeit hat die Autorin im Kreis des Malteser Ordens ausgeübt, in dem sich heute noch junge Adelige zu karitativen Tätigkeiten versammeln – zum Beispiel beim "Lourdes-Krankendienst". Und die Familie von Maltzahn gehört zum Uradel von Mecklenburg und Vorpommern. Wer jetzt denkt, dass es in Maltzahns Roman Liebe in Lourdes blaublütig, jungfräulich und gottergeben zugeht, der irrt.

Kassandras Leiden

Ihre Romanheldin heißt Kassandra, ist bald vierzig Jahre alt, hat mehrere Beziehungen und eine gescheiterte Ehe hinter sich. Eigene Kinder hat sie zu ihrem Leidwesen keine. Sie raucht und trinkt, hat schon mal Drogen auf Elektrofestivals genommen. Viele von denen, die bei Maltzahns "Lourdes-Krankendienst" mit dabei sind, haben einen ähnlichen Hintergrund. Es wird ganz offen über Sex und freie Liebe gesprochen. Und das Lourdes-Outfit mit Pilgercape, flachen, schwarzen Schuhen und Häubchen belächeln die Frauen genüsslich.

In ihrem Roman wagt Maltzahn einen Spagat: Einerseits sind sie und die Mitpilger zwar oft adelig-christlicher Herkunft, andererseits urbane Menschen des 21. Jahrhunderts. Sie misstrauen der Mystik, sind aber als Betreuer bereit, behinderten Kindern ein religiöses Erlebnis und Abwechslung in ihrem Alltag zu ermöglichen.

Kein Teufel weit und breit

Schon zu Anfang fragt sich Kassandra: "Was mache ich eigentlich hier?", ihre Antwort: "Es gibt keinen Gegenspieler Gottes. Es gibt nur die Abwesenheit von Liebe. Lourdes ist die wahre Realität." Das ist Kassandras Erfahrung mit Lourdes. Eines der Kinder, das Kassandra betreut, heißt Anke.

Anke kann kaum sprechen, benötigt für längere Strecken einen Rollstuhl. Kassandra ist anfangs überfordert, ja paralysiert, doch mit der Zeit wachsen die beiden zusammen: Sie übernimmt die fürsorgliche Mutterrolle auf Zeit. Anke selbst ist glücklich, man könnte sagen: selig. "Lourdes ist die wahre Realität", so Kassandra, und das will heißen: Es geht weniger um Wunderheilungen denn um das Ereignis, Kindern, die am Rand der Gesellschaft stehen, eine unvergessliche Erfahrung zu ermöglichen und dabei selbst das Gefühl zu haben, etwas Hilfreiches getan zu haben. Das mag man christliche Nächstenliebe nennen – sich daran zu belustigen, wäre wohl absurd.

"Herr im Himmel, kann der gut küssen! Diese Zunge! So fordernd und gleichzeitig weich!" – das ist, wenn man so will, auch ein kleines Wunder im Roman: Kassandra verliebt sich in einen Mitpilger, der wie sie behinderte Kinder betreut. Sprichwörtlich am eigenen Leib ereilt dann die Protagonistin ein noch größeres Wunder. Es soll nicht verraten, aber angedeutet werden: Als einst Bernadette die Mutter Gottes erschien, stellte sie sich nicht als solche vor, sondern als "immaculata conceptio" – etwas gewagt, mag man meinen, wenn man wie Bernadette kein Latein kann.

Gelungener Spagat

Im Roman selbst erlaubt sich die Autorin als Fußnote, einen Großteil des nizänischen Glaubensbekenntnisses abzudrucken – auf Latein. Wie gesagt, Sophie von Maltzahn wagt in ihrem Roman den Spagat zwischen urbanem Ego-Lifestyle unserer Tage – was sich auch im flapsigen Deutsch mancher Sätze niederschlägt – und der Suche nach christlicher Gemeinschaft.

Das alles hätte im Kitsch enden können, doch der geschilderte "Lourdes-Krankendienst" an behinderten Kindern schafft Bodenhaftung, weil es ganz real um Hilfeleistung, also um Caritas geht. Alles in allem ist Liebe in Lourdes ein sprachlich leicht zu lesender und oft humorvoller Roman – doch der Inhalt führt den Lesern eines klar vor Augen: Lourdes, das ist eben auch "Caritas". Und "Nächstenliebe" ist hier und jetzt ein seltenes Gut geworden. (Andreas Puff-Trojan, 13.7.2019)