Als der schwarze Range Rover auf dem Parkplatz kurz vor der Bushaltestelle Kasgraben hält, wenige Kilometer von der Wiener Stadtgrenze entfernt, im Bezirk Penzing, stimmen der erste Eindruck und die Erwartungen des Autors noch völlig überein. Der fette Wagen passt zu den aufpolierten Lifestylebildern, mit denen sich zumindest ein Teil der vier Personen, die soeben aus dem Wagen steigen, auf Youtube und Instagram präsentiert.

Nein, mit einer Delegation der Naturfreunde sind sie wirklich nicht zu verwechseln, als sie die Straße zum Startpunkt von Stadtwanderweg Nummer acht queren: Dzeni, von Kopf bis Fuß in Produkte eines Sportlabels gekleidet, Marie, in stylishem Schlangenoptiktop, Rafael, mit hipper Sonnenbrille, und Dominik, durchtrainiert und im hellen Poloshirt, haben außer Wasserflaschen nichts an Wanderausrüstung dabei.

Einfluss per Klicks

Sie alle arbeiten als Influencer – Menschen, die es mit ihren Social-Media-Profilen zu einer so großen Followerzahl gebracht haben, dass Unternehmen für Werbezwecke mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Personen dieser Berufsgruppe für ein Smartphone-freies Gespräch beim Wandern zu gewinnen war nicht einfach, es setzte etliche Absagen. Vermutlich weil hinter dem vorgeschlagenen Gesprächssetting allzu deutlich das Vorurteil erkennbar wurde, Influencer würden ein paar Stunden ohne ihr Handy nicht aushalten, Verhaltensauffälligkeiten seien vorprogrammiert.

Dominik, Marie, Rafael und Dzeni: Ihre Fangemeinden sind riesig. "Das gelingt nicht einfach nebenbei."
Foto: Heribert Corn

Falls die Wandergruppe skeptisch ist, lässt sie sich nichts anmerken. Die Handys bleiben kommentarlos im Auto. Es geht los Richtung Sophienalpe, etwa drei Stunden soll die Runde dauern. Sie beginnt mit einem steilen Waldstück. Die Steigung bringt die vier (im Gegensatz zum Autor) kaum ins Schwitzen: Sport ist Teil ihrer Alltagsroutine. Ein fitter Körper ist Pflicht in der Social-Media-Welt, in der man junge Leute "inspiriert", während man sich malerisch in und um einem Thermenpool drapiert, Sportswear trägt oder – wie Dzeni – halbnackt eine neue Sorte Kartoffel chips bewirbt.

Es ist das erste Mal, dass sie gemeinsam wandern, trotzdem ist die Konstellation kein Zufall. Dzeni, Marie, Rafael und Dominik teilen sich ein Büro im fünften Bezirk und sind gerade dabei, eine Influencer-Agentur namens Kartell/07 zu gründen. Nach jahrelanger Arbeit als Einzelunternehmer sehen sie das als Schritt in die Professionalisierung ihres Geschäftsmodells.

Nach einer halben Stunde ist die Steigung überwunden, der Pfad führt aus dem Wald hinaus, entlang einer Wiese. Spätestens jetzt lösen sich die Vorurteile des Autors in frischer Luft auf. Hier wandern keine krachnaiven Selbstdarsteller, die für ein paar Likes Weichspülerflaschen schmusen oder superdeepe Sinnsprüche posten, während sie sich Lichterketten umschnüren, sondern Jungunternehmer mit einer ziemlich nüchternen Perspektive auf das Geschäft, in dem sie wirken.

"Die meisten Menschen stellen sich den Beruf des Influencers viel zu leicht vor, sie sehen die Arbeit hinter den Bildern und Videos nicht", sagt Rafael, der auf Youtube, der Streamingplattform Twitch, Instagram und Twitter insgesamt fast eine Million Follower hat. "Oder wie viel Aufwand es bedeutet, eine Community zu bilden und dann auch zu halten." Man könne die Branche mit dem Spitzensport vergleichen, in dem es auch nur die wenigsten zum Erfolg bringen würden, meint er. Nachhaltig Reichweite aufzubauen, das koste viel Zeit und Energie: "So etwas gelingt nicht mit ein paar gefilterten Fotos von Avocadotoasts und Smoothie-Bowls."

RAFAEL: Der Niederösterreicher brach mit 18 die Schule ab und machte sein Hobby zum Beruf. Als VeniCraft wurde er mit Gamingclips und 450.000 Abonnenten einer der erfolgreichsten Youtuber Österreichs. Instagram läuft für ihn "nebenher", hier hat er 100.000 Follower.

In seiner aktivsten Zeit als Youtuber streamte Rafael unter seinem Pseudonym VeniCraft täglich mehrere Stunden lang. Zunächst waren es reine Gamingvideos zum beliebten Spiel Minecraft, dann auch persönlichere Beiträge – etwa vom Urlaub mit der Freundin. Die Zugriffszahlen schossen in die Höhe, allein mit den Werbeunterbrechungen in den Clips verdiente der Niederösterreicher tausende Euros, brach sogar die Schule ab, um mehr Zeit für den Job als Youtuber zu haben. Bis er an den Rand des Burnouts gelangte. "Da ist ein Druck, ständig neuen Content zu machen, immer präsent zu sein, immer etwas Überraschendes zu liefern. Man hat Angst, dass man sonst im Ranking verliert, die Follower abspringen, die Aufbauarbeit umsonst war."

Im Juli 2018 veröffentlichte Rafael ein Video, das nichts zu tun hat mit "Pranks" (Streichen) oder neuen Konsolengames. Er spricht darüber, ausgebrannt und deprimiert zu sein, dass er den Spaß am Streamen verloren hat – und deshalb seine Youtube-Aktivität künftig zurückschrauben werde. Seitdem produziert der 22-Jährige weit seltener Clips, hat seinen Youtube-Alias auf Veni verkürzt und verdient sein Geld vor allem über Marketingkooperationen mit Unternehmen, für die er durch seine große und junge Community ein interessanter Werbebotschafter ist. Ihm ist klar, wie schnelllebig die Welt ist, in der er und seine Kollegen sich bewegen: "Wer heute trendet, kann morgen schon out sein." Um im Geschäft zu bleiben, müsse man die Mechanismen der Social-Media-Welt verstehen, jede Algorithmusänderung, jede Neuerung der Plattformen schnell adaptieren. "Keiner weiß, wohin sich unser Metier entwickeln wird, welche Kanäle in Zukunft wichtig sein werden", erklärt Rafael.

Erwartungserfüllungsgehilfen

"In unserer Branche passiert in zehn Jahren so viel wie anderswo in fünfzig", meint auch Dominik. Er ist der einzige aus der Gruppe, der noch nicht ausschließlich vom Influencertum leben kann. Der 27-Jährige studiert Betriebswirtschaft und hat einen Nebenjob – aber die Hoffnung, dass sich dieser bald erübrigt und er sein Auskommen mit seinem Fashionblog auf Instagram und über die Arbeit in der Agentur finden kann. Einfach sei das nicht, der Wettbewerb werde immer größer. Die Zahl der Menschen, die ins Influencer-Geschäft einsteigen würden, sei in den letzten drei Jahren um 200 Prozent gestiegen.

DOMINIK: Er versucht unter seinem vollen Namen SteiningerDominik auf Instagram als Fashion-Influencer zu reüssieren. Mit 13.000 Followern hat der Student aus Wien noch nicht viele zahlende Werbekunden an sich gebunden, will aber bald von Social Media leben.

Vor allem kleinere Accounts machen den arrivierteren Influencern Konkurrenz im Kampf um die PR-Budgets von Unternehmen. "Wer sich geschickt anstellt, kann auch mit 15.000 Followern schon gut Geld verdienen", sagt Dominik.

Von ihrer Gemeinschaftsagentur erhoffen sich Rafael, Dominik, Dzeni und Marie einen Wettbewerbsvorteil. Externes Management, das sie in der Vergangenheit als unnötige Schnittstelle zu Kunden erlebt haben, bräuchten sie dann nicht mehr. Auch größere Projekte ließen sich so einfacher realisieren: Als Netzwerk erweitert man die Zielgruppe und profitiert vom Know-how der anderen. Dazu wollen sie als Experten für Influencer-Marketing Firmen dabei beraten, wie diese mit der jungen Zielgruppe besser kommunizieren können, da stellten sich die meisten noch recht patschert an. Und das soll erst der Anfang sein. Rafael, Dominik, Dzeni und Marie sprechen von zukünftigen Angestellten, von einem eigenen Store oder einem eigenen Café. Irgendwann soll die Social-Media-Präsenz zur Nebentätigkeit degradiert werden.

DZENI: Der Oberösterreicherin folgen auf ihrem Instagram-Account InspiredbyDzeni über 270.000 Menschen. Auch auf Youtube, wo die 26-Jährige Beautytutorials und Fashiontipps anbietet, hat sie bereits rund 180.000 Abonnenten.

"Wir wollen mehr erreichen, als nur unsere Social-Media-Accounts zu betreuen", sagt Dzeni (26). Sie und ihre Freundin Marie testen auf Youtube Schminkutensilien oder zeigen, wie man das Haar mit ein paar Griffen anders stylt. Ende Juli launchen sie zusammen mit einer dritten Freundin ihre eigene Modekollektion Tan & Teal: Wickelröcke, Spitzenkleidchen, Badeanzüge, bemodelt von Insta-Kolleginnen. Die ersten Musterstücke sind fertig, geshoppt werden kann dann gleich über die Foto-App Instagram. Vorerst stammt jedoch der Großteil ihres Einkommens aus Produkthinweisen für Werbepartner. "Wir kennzeichnen die bezahlten Beiträge natürlich", sagt Marie. Das sei wichtig, sonst werde man abgemahnt. Seit drei Jahren können sie von diesen Sponsorings leben. Konkrete Zahlen nennen sie zwar nicht, aber ihr Einkommen sei überdurchschnittlich hoch für ihre Altersgruppe. Dafür hätten sie das Schicksal aller Selbstständigen: Eine Sicherheit oder regelmäßigen Lohn gibt es nicht, die Arbeit an der Eigenmarkenbildung kennt auch kein Wochenende: "Wir sind eigentlich jeden Tag der Woche von neun bis 22 Uhr im Büro", erklärt Marie, die trotzdem weiterhin Jus und Immobilienmanagement studiert.

Auf den Fotos, die Marie und Dzeni auf ihren Instagram-Accounts posten, existieren keine Makel: Perfekt gestylt posieren sie in den auf Instagram allgegenwärtigen Infinity-Pools, an Stränden, vor teuren Autos. Ihr Tagewerk scheint einem Glamourmagazin entrissen. Ein Bild, das sie beim Wandern widerlegen: Hier stapfen zwei recht geerdete Frauen über Baumwurzeln. Die zwar punktgenau die zuckrig-künstliche Erwartungshaltung der digitalen Welt bedienen, sie aber durchaus reflektiert betrachten. Instagram spiegle natürlich nicht die reale Welt, sagen sie, da werde alles geschönt und gefiltert. Die Illusion sei schließlich Teil des Geschäftsmodells. Um als Influencer Geld zu verdienen, müsse man zu einem gewissen Teil den Idealen von Werbetreibenden und jugendlicher Zielgruppe entsprechen.

MARIE: Die Steirerin firmiert unter dem Pseudonym MarieCurie, das sie nach einem Schulprojekt über die Physikerin angenommen hat. Auf Insta folgen ihren Beautytipps über 250.000, auf Youtube sind es 11.000.

Sie wollen auch etwas sagen

Es sei ein Job, der wie die meisten anderen auch Kompromisse erfordert, sagt Marie. Trotzdem sei ihr bewusst, dass ihr Einfluss auf jugendliche Fans auch Verantwortung mit sich bringe: "Ich könnte deshalb nie für etwas werben, was ich für kritisch befinde." Marie und Dzeni, die Bildungswissenschaften studiert hat, würden gerne an Schulen Eltern und Jugendliche über die Schattenseiten der Social-Media-Nutzung aufklären: "Da gibt es noch viel Unwissen, wir könnten das gut vermitteln." In einem ihrer Videos spricht sie darüber, wie sie mit bösen Kommentaren und Mobbing im Internet umgeht: "Mir war das wichtig, viele junge Frauen haben damit zu kämpfen."

Auch Rafael greift verstärkt ernstere Themen auf. Klar wolle er kommerziell erfolgreich sein, aber das stünde nicht mehr im Mittelpunkt. Im Vorfeld der EU-Wahl veröffentlichte er ein rund einstündiges Video, für das er Interviews mit Vertretern politischer Parteien geführt hat. Und anlässlich der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung kontaktierte er aktiv zahlreiche Medien, um seine Einschätzung dazu zu äußern. Er verfolge damit kein konkretes Ziel: "Ich will nur die Inhalte vermitteln, die mir persönlich ein echtes Anliegen sind. Wenn ich dazu beitrage, dass auch unter jungen Leuten politische Debatten geführt werden, dann habe ich extrem viel erreicht."

Nach eineinhalb Stunden sind wir auf der Sophienalpe angekommen, Tourhalbzeit mit Fotoshooting. Automatisch nehmen die vier die Etiketten ihrer Wasserflaschen ab, man will ja nicht den Eindruck einer Kooperation mit dem Hersteller er wecken. Auch Körperhaltung und Mimik gehen vor der Kamera nahtlos vom lockeren Privat- in den Profimodus über. Sie wissen genau, wie sie wirken wollen – und welche Ideen des Fotografen sie nicht umsetzen wollen. Die Selbstinszenierung soll in ihrer Hand bleiben.

Von Privat- nahtlos in Profimodus

Die Annahme, das fehlende Handy könnte Entzugserscheinungen verursachen, entpuppt sich als großer Irrtum. So wahnsinnig oft würden sie das Smartphone eigentlich gar nicht nutzen. Nur am Anfang, wenn man neu im Influencer-Business sei, da schaue man alle paar Minuten, ob man mehr Follower oder Likes bekommen hat. Jetzt betrachten sie es als ein Arbeitsgerät, das privat oft abgeschaltet wird. Daran habe auch ihr Gemeinschaftsbüro einen großen Anteil. "Es fällt leichter, das Privat- und das Berufsleben abzugrenzen, wenn man beide Bereiche auch räumlich abgrenzt", findet Marie.

Die letzte halbe Stunde geht der Stadtwanderweg flach unter Bäumen dahin. Sie könnten ab jetzt ihre Teammeetings ja immer beim Wandern machen, scherzt Rafael.

Als wir gegen 13 Uhr den Parkplatz er reichen, hat es mit dem Blick auf das Handy keiner besonders eilig. Wir fahren in die Innenstadt, Dzeni steigt unterwegs aus, sie muss zum Training. Für den Rest geht es zurück ins Büro, es steht noch ein langer Arbeitstag bevor. "Wir sind Entrepreneure, das gehört dazu", sagen sie. Und wirken damit irgendwie auch sehr zufrieden. (Matthias Eckkrammer, 14.7.2019)

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