Körpermanipulation. Emnhancement und Robotik: Das sind die Themen, denen sich Doris Uhlich in ihrem Solo "Tank" Widmet.

Foto: Katja Ilner

Eine nackte Frau in einem theaterrauchgefüllten Plexiglaszylinder. Forsche Musik und mystisches Licht dazu. Der Körper im Glas ist ein Präparat, an dem, stünde es in einem Labor anstatt bei Impulstanz im Odeon-Theater, fleißig geforscht würde. "Tank" nennt die Wiener Choreografin Doris Uhlich ihr Tanzsolo zu einem kontroversiellen Themenspektrum: Körpermanipulation, Enhancement und Robotik.

Die Künstlerin hat sich nicht ohne Grund selbst ins Versuchsgefäß gestellt, und ihr Statement lässt wenig Spielraum für Missverständnisse: Alle wissen, dass vor allem am weiblichen Körper herumgedoktert wird, vor allem, um sein Aussehen an den jeweiligen Zeitgeschmack der Moden anzu passen und seine Natur – Stichwort: Social Egg Freezing – in die Standards der männlichen Arbeitswelt zu zwingen.

Ihren phallischen Tank hat Uhlich ins Zentrum der Bühne positioniert. Darin entfaltet sie sich als Tänzerin, bis dem Publikum klar sein müsste: Dieser Glaszylinder symbolisiert nicht nur ein Laborgerät, sondern auch ein mediales Display und ein transparentes Gefängnis. Anfangs ist die Gestalt darin im dichten Nebel verborgen. Ein dichter Dunst, der sich erst mit der Zeit lichtet. Es scheint, als entziehe sich diese Figur langsam der Umnebelung durch eine betäubende Ideologie.

Stolz kann sie sich bald als "vitruvianische Frau" präsentieren, sie wirbelt in ihrer Vitrine, dringt sogar nach draußen. Das allein reicht nicht. Der Nebel holt sie ein und zieht sie wieder in ihren Tank zurück. Doch dann passiert’s: Doris Uhlichs Mutter Gertraud betritt die Bühne und raucht sich inmitten des Trockeneis-Gewalles eine Zigarette an. Nachdenklich ihren Glimmstängel genießend, umschreitet die alte Dame die Vitrine, in der die junge Frau erstarrt steht wie eine paralysierte Jeannie in ihrer Flasche.

Szenenwechsel: Ins Freie hinaus tanzt in dem chinesischen Film "Youth" von 2017 eine durch die Brutalitäten während Maos "Kulturrevolution" und einen späteren Krieg traumatisierte junge Frau. Weg von den mordenden Männern, allein unter dem milden Mond. Nur in dieser kurzen Szene laufen projizierter Film und Live-Tanz auf der Bühne – hier des Akademietheaters – synchron. Die Live-Tänzerin heißt Tian Gao, ihr Choreograf ist Michael Laub. Der 66-jährige Belgier hat mit seinem jüngsten Stück "Rolling" möglicherweise auch eines seiner besten geschaffen.

Eines seiner besten Stücke: "Rolling" des belgischen Choreografen Michael Laub
Foto: Monika Rittershaus

Hier kann natürlich gefragt werden, ob Tian Gao nicht eine Art "Vitrinentänzerin" ihres Choreografen ist. Oder trifft der Genderdiskurs hier einfach nicht das Ziel? Nicht wirklich, denn Rolling handelt ein Stück Filmgeschichte ab: Mit Witz und Verve, in kluger Selektion und wilder, aber wohlkalkulierter Dramaturgie folgen unzählige Filmzitate aufeinander und erzählen zusammengelesen eine Geschichte. Im Hintergrund dieser Erzählung steht die Filmhistorie. Dazu gehört erstens, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sobald die Filmindustrie Gewinne zu machen begonnen hat, die Frauen sukzessive aus dem US-Filmgeschäft gedrängt wurden. Und zweitens hat wohl kein Medium das Frauenbild der vergangenen hundert Jahre so massiv geprägt wie der Film.

Das wiederum erinnert daran, dass mittlerweile mehrere Generationen ganz allgemein von Filmen, TV-Serien und Videos geprägt sind. Michael Laub packt sein Publikum bei dessen Erinnerung. Mit Gesten, Andeutungen, Posen, ein paar Worten, zugespielten Klängen und projizierten Filmtiteln bauen die Tänzer und Schauspieler eine menschliche Erinnerungsmaschine auf die Bühne. Start wie Ende dieses poetischen Wunderwerks bilden Anspielungen auf einen Massenmord.

Den rasenden Beginn macht ein einzelner Darsteller, der die Filmtitel vom Handy abliest und kürzeste Momente aus "The Birds", "Chungking Express" oder "Ben Hur" aufblitzen lässt. Erst ab etwa Nummer vierzig kommt der Rest der Crew auf die Bühne.

Was sich dann so herrlich entfaltet, macht den Reichtum der Filmkultur deutlich. Aber es zeigt auch, wie sehr diese Fülle unser kollektives Gedächtnis manipuliert. (Helmut Ploebst, 14.7.2019)