Zwei Tonnen schwer und äußerst freundlich: "Drittes Tier" nennt der deutsche Bildhauer Thomas Schütte das Ungeheuer, das er vor das Kunsthaus Bregenz gestellt hat.

Foto: Markus Trettler

Als er just am Höhepunkt der 2008 ausgebrochenen Bankenkrise den Auftrag für eine Skulptur auf dem Sparkassenvorplatz in seiner Geburtsstadt Oldenburg ausführte, erlaubte sich der deutsche Bildhauer Thomas Schütte einen kolossal guten Witz. Er stellte der Bank die rund sechs Meter hohe Bronzeskulptur eines Mannes vor die Tür, der selbstvergessen eine Wünschelrute in Händen hält, während seine Füße im Matsch versinken.

Über die Tatsache, dass sich der Auftraggeber da so bereitwillig vorführen ließ, wundert sich Schütte bis heute. Die Sache lag schließlich auf der Hand. Eigentlich aber benennt der Künstler kaum je so konkrete Bezugspunkte wie im Oldenburger Fall. Muss er auch nicht.

Gerade Männer im Matsch, deren erste Modell-Versionen übrigens auf die 1980er-Jahre zurückgehen, sind als – reichlich plakatives – Sinnbild vielseitig einsetzbar. Zum Beispiel auch in Zeiten, in denen gesellschaftspolitische Verantwortung im Sumpf von eifrig geschürtem Nationalismus und Sozialneid versinkt.

Er arbeitet seit den 1980er an einem erweiterten Skulpturenbegriff: Thomas Schütte.
Foto: Miro Kuzmanovic

Im Matsch also stecken auch jene beiden Bronzekolosse fest, die Schütte in die Bregenzer Fußgängerzone gestellt hat. Der eine trägt eine schlaff herunterhängende Fahne vor sich her, der andere mit der Jakobinermütze das Symbol der Französischen Revolution auf dem Kopf, aber das eigene Gesicht wie eine Maske in der Hand.

Es sind monumentale Antihelden, die Schütte in den öffentlichen Raum und ins oberste Geschoß des Bregenzer Kunsthauses stellt. Der Clou an ihnen ist, dass sie sich der Ästhetik klassischer Heldendenkmäler bedienen und diese zugleich genüsslich konterkarieren. Zwischen ironischer Brechung und zynischem Kommentar ist es bei Schütte oftmals nur ein schmaler Grat – geht es um das von ihm gern gegeißelte "Showgeschäft" namens Kunstbetrieb, schlägt das Pendel eindeutig in die zweite Richtung aus.

Alle reißen sich um Schütte

Gleichwohl reißen sich internationale Museen gerade um den 64-Jährigen, eben erst ist eine große Retrospektive in Paris zu Ende gegangen, eine Ausstellung im New Yorker MoMA ist in Vorbereitung, sie soll 2021 stattfinden.

Man gerät leise ins Schmunzeln angesichts der sargähnlichen schwarzen Kiste, aus deren Unterseite verheißungsvoll das nächste Amusement oder vielmehr "Amuseument" herausblinkt: Das so betitelte Modell eines Kunsttempels entstand 2003.

Die großen internationalen Museen reißen sich derzeit um die Kunst von Thomas Schütte. Hier ein Blick in die Bregenzer Ausstellung.
Foto: Markus Trettler

Mit der Erweiterung des Skulpturbegriffs auf das Feld der architektonischen Modelle begann Schütte bereits 1980, baute sich sein eigenes Grabmal, finstere Bunker, lichte modernistische Pavillons oder ein "Haus für den schüchternen Verleger", dessen Eingangstür man vergeblich sucht. Aus einigen Denkmodellen sind inzwischen eins zu eins realisierte Gebäude geworden, nicht selten auf Betreiben von Sammlern, darunter der Galerist Rafael Jablonka, der in Mösern in Tirol das "Ferienhaus für Terroristen" errichten ließ. Es heißt, weil lokales Skandalgeschrei nicht lange auf sich warten ließ, heute "Ferienhaus T.".

Eine Streichholzschachtel als Baukörper und ein geschwungener Kartoffelchip als Dach: So soll der erste Entwurf für die Skulpturenhalle in Neuss entstanden sein, mit der sich Schütte sein eigenes, 2016 eröffnetes Museum gebaut hat. Es ist bereits ein Erweiterungsbau geplant, das Modell dazu ist in Bregenz zu sehen. Interessant, wie anders man auf einen Entwurf schaut, der nicht zuerst fiktiver Denkraum, sondern gleich konkretes Bauvorhaben ist: Man könnte dieses Haus mit seiner ausladend vor eine Glasfront geschwungenen Terrasse glatt für einen Vorstadtvillentraum halten.

Stiftung für Privatmuseum

In die für sein Privatmuseum eigens gegründete Stiftung brachte Schütte unter anderem jene 18 Frauenskulpturen ein, von denen nun acht Stück in Bregenz zu sehen sind. Henry Moores voluminöse Formen lassen grüßen, unschwer zu erkennen, dass hier von Brâncusi bis Maillol auch noch einige andere Urväter der modernen Plastik zitiert werden.

Acht von 18 Frauenskulpturen sind in Bregenz zu sehen.
Foto: Markus Trettler

Auch hier arbeitete Schütte übrigens vom ganz kleinen ins große Format, von Keramikmodellen hin zu den großen Bronzeskulpturen, die mal rostfarben, mal im metallisch-kalten Glanz von Highend-Autolacken daherkommen. Umgeben sind die Frauenskulpturen von neuen "Flags" und "Fake Flags", die aus lasierten Keramikplatten bestehen, auf denen das deutsche Schwarz-Rot-Gold in immer schmutzigere Farbtöne ausbleicht.

An Franz Xaver Messerschmidts Charakterköpfe erinnern wiederum Köpfe aus Murano-Glas, die einem im Treppenhaus grimassenhaft entgegenstarren. Kurzum: Es gibt aus Schüttes facettenreichem Werk in Bregenz einiges zu sehen. Man muss dafür nur den Wachposten vor dem Kunsthaus passieren: "Drittes Tier" nennt Schütte dieses zwei Tonnen schwere, freundliche Ungeheuer, das äußerst fotogen Wasserdampf aus seinen Nüstern bläst. (Ivona Jelcic, 15.7.2019)