Im Gastkommentar äußert sich Anwalt Nikolaus Rosenauer zum Rapid-Urteil. In den Äußerungen von Herbert Kickl sieht er "eine ausreichende Antwort, warum der Herr Bundespräsident den Altinnenminister nicht neuerlich zum Innenminister angeloben könnte".

Am 12. Juli 2019 wurden die Urteile aufgrund der von 28 Opfern des Polizeikessels vor dem bislang letzten Wiener Fußballderby vom 16. Dezember 2018 eingebrachten Maßnahmenbeschwerden im Verwaltungsgericht Wien öffentlich verkündet. Die Entscheidungen des Gerichts sind bekannt: Anhaltungen über 20:30 Uhr hinaus waren unverhältnismäßig und daher rechtswidrig, die Identitätsfeststellungen waren rechtmäßig, die Wegweisungen hingegen waren gesetzwidrig.

Voranzustellen ist, dass es sich bei den Beschwerdeführern nicht um Personen gehandelt hat, die Schneebälle oder gar andere Gegenstände auf die befahrene Südosttangente geworfen haben. Dass das Verhalten dieser Werfer unentschuldbar und vorbehaltlos zu verurteilen ist, steht außer Zweifel.

"Bizarrer" Vorwurf

Der ehemalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) äußert in einer Presseaussendung des Freiheitlichen Parlamentsklubs Unverständnis über das Urteil des Verwaltungsgerichts Wien. Dass die Unverhältnismäßigkeit der Dauer der Anhaltung der Rapid-Anhänger der Polizei zum Vorwurf gemacht wird, sei "bizarr", ist unter anderem in dieser schriftlichen Stellungnahme zu lesen.

Es bleibt offen, woher der Altinnenminister seine Informationen bezieht. Bei der öffentlichen Urteilsverkündung konnte ich den nunmehrigen geschäftsführenden Klubobmann der FPÖ nicht erblicken.

Herbert Kickl hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für "bizarr".
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Einseitige Beweiswürdigung

Der Richter begründete sein Urteil sehr ausführlich: Dabei ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der relativ kritiklos der Darstellung der Polizei gefolgt ist; auch die Beweiswürdigung schien sich ziemlich einseitig daran zu orientieren. Übereinstimmende Aussagen von Exekutivbeamten wurden als glaubhafte Grundlage für die Sachverhaltsfeststellungen gewertet, bei übereinstimmenden Aussagen der Opfer des Polizeikessels wurde mangelnde Glaubwürdigkeit wegen des Verdachts einer Absprache suggeriert.

Im Rechtsstaat ist die freie Beweiswürdigung des Gerichts ein hohes Rechtsgut und ist – auch wenn die Beweiswürdigung nicht die meinige ist – zu respektieren, soweit sie nicht durch gesetzlich vorgesehene Rechtsmittel bekämpfbar ist. Das Landesverwaltungsgericht ist Tatsacheninstanz.

Großzügig bemessen

Umso bemerkenswerter ist, dass das Verwaltungsgericht Wien sogar auf Grundlage der Darstellung der Polizei deren Verhalten am 16. Dezember 2018 als unverhältnismäßig und daher gesetzeswidrig beurteilt. Dass der Altinnenminister nicht versteht, warum es unverhältnismäßig ist, Personen, bei denen keine individuelle Verdachtslage einer Gesetzesübertretung besteht, mehr als fünf Stunden(!) bei Eiseskälte festzuhalten, ist bereits eine ausreichende Antwort, warum der Herr Bundespräsident den Altinnenminister nicht neuerlich zum Innenminister angeloben könnte.

Noch dazu, als das Ausmaß der Dauer der Anhaltung, die der Richter als verhältnismäßig angesehen hat, sehr großzügig bemessen erscheint und gelinde gesagt bemerkenswert begründet wurde: Besucher des Matches, das um 17 Uhr angepfiffen wurde, rechneten demnach – unter Berücksichtigung der 15-minütigen Halbzeitpause, einer einige Minuten dauernden Nachspielzeit und des Abmarsches aus dem Stadion – damit, sich bis circa 19.30 Uhr im Freien aufzuhalten. Eine weitere Stunde gewährte der Richter der Polizei aufgrund von Umständen, welche nicht der Exekutive anzurechnen seien. Dass der Richter den Aufenthalt im Polizeikessel ohne Verpflegung und Gelegenheiten zur Notdurft mit jenem im Stadion des gastgebenden Klubs beim letzten Wiener Derby gleichsetzt, wird möglicherweise den violetten Stadtrivalen des SK Rapid auf den Plan rufen.

Recht und Politik

In einem ist allerdings Kickl schon recht zu geben: Das Urteil des Verwaltungsgerichts hätte tatsächlich in seinem Sinne anders ausfallen können, nämlich dann, wenn das Recht der Politik des Altinnenministers gefolgt wäre.

Bei aller Kritik an der Beweiswürdigung, das Urteil ist dem Gesetz gefolgt und nicht der Politik. Das ist gut so! (Nikolaus Rosenauer, 14.7.2019)