Der Masterplan für die Umgestaltung der Berliner Museumsinsel reicht bis 1993 zurück: Nach Kostenexplosionen wurde die James-Simon-Galerie am Wochenende eröffnet.

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Deutschland war spät dran, als im Jahr 1898 eine Orient-Gesellschaft gegründet wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es unter den europäischen Mächten einen regelrechten Wettlauf um Kulturgüter. Frankreich hatte den Louvre, England das British Museum, in Berlin gab es eine Museumsinsel.

Die Orient-Gesellschaft sollte nach Schätzen suchen, wo einst die Bibel entstanden war: im Vorderen Orient zwischen dem Nil im Westen und Euphrat und Tigris im Osten. Einer der wichtigsten Förderer dieser Grabungen war der jüdische Baumwollhändler James Simon. Im ägyptischen Tell el-Amarna hatte er 1911 die alleinige Grabungslizenz, und so kam eine Statue in seinen Besitz, die heute zu den berühmtesten Museumsobjekten weltweit zählt: die Nofretete.

Seit dem vergangenen Wochenende erinnert nun ein eigenes Gebäude an den Mäzen, der Berlin diese Trophäe schließlich schenkte. Am Samstag wurde mit einem rege besuchten Publikumstag die James-Simon-Galerie eröffnet. Der Bau des Architekten David Chipperfield hatte eine komplizierte Vorgeschichte, die sich nun überzeugend auflöste.

Bis 1993 reicht der Masterplan Museumsinsel zurück. Eine zentrale Idee bei diesem Plan war die Errichtung eines Eingangsgebäudes, das alle fünf Institutionen verbinden sollte: das Alte und das Neue Museum, die Alte Nationalgalerie, das Bode-Museum und das Pergamonmuseum.

Chipperfields erster Entwurf stieß auf heftigen Widerstand: Er wollte mit Glas und Stahl einen Akzent setzen. Dagegen formierte sich eine Allianz, die im Herzen der wiedervereinigten Stadt Preußens Glanz und Glorie neu erleben wollte. Mit seinem nun verwirklichten Gebäude kommt Chipperfield allen Freunden des Klassizismus deutlich entgegen, ohne sich ihnen wirklich anzubiedern.

Säulenhalle oder Tempel

Da der Bauplatz direkt am Kupfergraben eine schlanke Kubatur erforderlich machte, ist das Bild einer Säulenhalle nun die naheliegende Assoziation. Die James-Simon-Galerie ist in Sachen Markenbildung nicht ganz so spektakulär wie die Pyramide von I. M. Pei in Paris, aber sie schließt in jedem Fall die Museumsinsel auch zeichenhaft, wenngleich von einer entlegenen Ecke her, auf.

Dass man die elegante Freitreppe hinauf zum Eingang vor allem aus ästhetischen Gründen bewältigen muss, merkt man, sobald man drin ist: dort geht es wieder eine Etage tiefer, zu den Tickets.

Die Verbindung zum Neuen Museum, das bereits fertig saniert ist, verläuft unterirdisch. In noch eher ferner Zukunft dürfte die Archäologische Promenade liegen, ein geplanter Verbindungsweg zwischen allen fünf Institutionen unter Tage. Zum Pergamonmuseum, das seit 2012 bei teilweise laufendem Betrieb generalsaniert wird, geht es derzeit auch schon, aber eben nur in die Bereiche, die gerade nicht gesperrt sind. Mit einem Vortragssaal und einem Bereich für kleinere Sonderausstellungen versucht die James-Simon-Galerie der volksmündlichen Skepsis zu begegnen, es handle sich bei dem neuen Gebäude um "die teuerste Garderobe der Welt". Tatsächlich waren die Kosten mehrfach nach oben revidiert worden, was bei der langen Planungsgeschichte aber auch kaum zu vermeiden ist.

Leeres Humboldtforum

Die größeren Zusammenhänge bekommt man dann in den Blick, wenn man aus der James-Simon-Galerie wieder ins Freie tritt. Da sieht man gegenüber die Kuppel des neu errichteten Stadtschlosses, derzeit noch verborgen hinter Baugerüsten. Das Schloss war einst ein Herrschaftsgebäude, das in der Zeit der DDR gesprengt wurde. Dass der Palast der Republik, das zentrale ideologische Gebäude der DDR, nach 1989 abgerissen und durch einen Nachbau des alten Schlosses ersetzt wurde, war der größte Sieg der konservativen Stadtplaner nach der Wende.

Weil die Berliner Republik aber kein weiteres Herrschaftsgebäude braucht, wird nun auch das Schloss ein Museum: Noch in diesem Jahr soll es als Humboldtforum eröffnet werden. Da sich allerdings inzwischen herausstellte, dass die baulichen Anforderungen für Ausstellungen in diesem Jahr noch nicht erreicht werden, wird das Schloss, das man nicht mehr so nennen soll, vorerst leer eröffnet. Das war so nicht geplant, ist aber eine stimmige Geste angesichts der zahlreichen offenen Fragen, wo die "außereuropäischen" Kulturgüter eigentlich hingehören, die im Humboldtforum gezeigt werden sollen.

In jedem Fall passt die repräsentative Landschaft, die sich südlich und nördlich des Boulevards Unter den Linden auf der Insel zwischen Spree und Spreekanal schon deutlich erkennen lässt, gut zu der aktuellen Atmosphäre in Berlin. Denn Parallelen zum späten 19. Jahrhundert und damit zur Ära von James Simon sind durchaus erkennbar. In der Stadt herrscht ein neuer Gründergeist, der allerdings deutlich andere Züge trägt als vor 120 Jahren.

Eine bürgerliche Metropole wird Berlin wohl nur noch in Zitatform. Und da passt die James-Simon-Galerie mit ihrer kühlen Erinnerung an eine echte Klassik bestens dazu. (Bert Rebhandl aus Berlin, 16.7.2019)