Es weht in Deutschland ein rauer Wind. In der Politik hat sich etwas verändert. Es wird nicht mehr anonym oder verborgen, sondern offen und hemmungslos gehasst. Wer hätte es für möglich gehalten, dass ein CDU-Politiker und Regierungspräsident von Kassel, Walter Lübcke, von einem Rechtsextremen, geplant und kaltblütig, erschossen werden würde?

Das Beunruhigendste ist der Aufstieg der aggressiv rechtspopulistischen Partei AfD. Die Hoffnungen, dass sie durch Flügelkämpfe und persönliche Feindschaften mit der Zeit selbst zerfallen oder ihre Attraktivität verlieren werde, erfüllten sich nicht. Im Gegenteil!

Nach ihrem Erfolg bei den Bundestagswahlen mit 12,7 Prozent ist die AfD in Sachsen und Brandenburg bei der Europawahl stärkste Kraft geworden. Nach den Meinungsumfragen dürften auch die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September und Oktober auch zu einem AfD-Triumph werden. Die scharfen, öffentlichen, parteiinternen Kämpfe scheinen die Wähler bisher kaum zu stören.

Björn Höcke, der AfD-Landeschef von Thüringen.
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Es zeichnet sich indessen eine permanente Radikalisierung ab. Der vom Landeschef von Thüringen, Björn Höcke, angeführte rechtsextreme Teil der Partei drängt nach vorn. Höcke agiert so weit rechts außen, dass sein völkischer "Flügel" vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Einige Beispiele: Höcke hat sich mit Neonazis im Chemnitz gezeigt. Er hatte das Berliner Holocaust-Mahnmal ein "Denkmal der Schande" genannt. "Sie lassen Millionen in die sozialen Sicherungssysteme einwandern, während Sie Millionen eigene Landsleute in die Altersarmut schicken", griff er kürzlich im Landtag von Thüringen die SPD und die CDU an. Am Samstag beschwor er seine Anhänger bei einer Veranstaltung, mit ihrer Wahl "den Wahnsinn der Eurorettungspolitik, den Wahnsinn der sogenannten Energiewendepolitik und den Wahnsinn der sogenannten Einwanderungspolitik" zu beenden.

Antifaschistischer Konsens

Die ausführliche Berichterstattung der deutschen Presse bestätigt den gezielten Angriff der führenden AfD-Politiker auf den antifaschistischen Konsens. In der ehemaligen DDR wählen in erster Linie die ökonomisch abgehängten "Verlierer" die Rechtspopulisten. Man darf aber auch die Ausnützung der Ängste der "ganz normalen" Bürger in Westdeutschland vor dem Verfall der Währung, vor Terrorismus und vor einem schwachen Staat, der vor Fremden nicht mehr schützen kann, vergessen. Manche Beobachter meinen, dass die Leitmedien rechtsextremen "Skandalfiguren" überproportional viel Beachtung schenken. In ihrem glänzenden Buch ("Die Gesellschaft des Zorns", 2019) weist die Soziologin Cornelia Koppetsch zu Recht darauf hin, dass "der Aufstieg des Rechtspopulismus nicht nur durch Gefühle der Ohnmacht und Entfremdung hervorgerufen worden ist, sondern solche Gefühle auch selbst auslöst". Immerhin lebt nur ein Fünftel der 35.000 AfD-Mitglieder im Osten.

Was passiert in der Politik, wenn die Konjunktur einbricht? Zerfällt die Koalition nach den Herbstwahlen? Zeichnet sich eine wirtschaftliche Talfahrt ab? Sind die Zitteranfälle der Bundeskanzlerin auch, wie der "Münchner Merkur" befürchtet, "Sinnbilder einer zu Ende gehenden Ära"? (Paul Lendvai, 15.7.2019)