Siebzehn Monate lang fuhrwerkte der Freiheitliche Herbert Kickl im Innenministerium derart herum, dass er sogar international immer wieder für Aufruhr sorgte. Mit seinen Konzentrationsgelüsten gegenüber Asylwerbern, dem Anzweifeln der Menschenrechtskonvention und, und, und. Kein halbes Dutzend vernehmbarer Rüffel setzte es in dieser Zeit vom Koalitionspartner ÖVP. Doch ab jetzt ist alles anders.

Noch-Kanzler Kurz mit FPÖ-Klubchef Kickl im Parlament kurz vor dem Misstrauensvotum – heute sagt man in der ÖVP: "Als Minister war Kickl eine Zumutung."
Foto: Heribert Corn

Seit dem Wochenende weiß die Nation: Für eine Neuauflage von Türkis-Blau will ÖVP-Chef und Umfragekaiser Sebastian Kurz keinen Minister Kickl mehr in seinen Reihen haben. Via Kurier erklärte sein Vertrauter, Ex-Kanzleramtsminister Gernot Blümel: "Wenn dieser Weg weiter verfolgt wird, ist völlig wurscht, auf welchem Sessel Kickl sitzt, das geht sich dann einfach nicht aus."

Nach Auffliegen der Ibiza-Affäre rund um Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) begründete man die Entlassung Kickls durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag von Noch-Kanzler Kurz damit, dass nun das Bundeskriminalamt bei der Aufklärung gefragt sei – und da gelte Straches langjähriger Wegbegleiter Kickl an der Weisungsspitze somit als fehl am Platz. Blümel führte auch ins Treffen, dass Kickl, als Strache über Wasserverkauf, Krone-Journalistenaustausch und Parteispenden am Rechnungshof vorbei schwadronierte, Generalsekretär war, was seinen Verbleib ebenfalls unmöglich gemacht habe.

Allein: Gerade rund um Ibiza konnte Kickl bis dato so gut wie nichts angelastet werden. Dennoch setzten am Montag die Landeshauptleute im Westen nach. Weder für den Vorarlberger Markus Wallner noch für den Tiroler Günther Platter noch für den Salzburger Wilfried Haslauer ist Kickl in einer Regierung weiterhin tragbar – statt "Unrechtsbewusstsein" mache man bei der FPÖ "eine Jetzt-erst-recht-Stimmung" aus.

Vom Bimaz zur Unperson

Doch warum ruft die ÖVP erst jetzt Kickl als nicht ministrabel aus? Hört man sich in der Partei um, wird versichert, dass die schwarz dominierten Länder schon länger Druck auf den türkisen Kanzler ausgeübt hätten, dass es mit Kickl so nicht weitergehen könne.

Gemeindevätern stieß seine Kürzung von Überstunden bei der Polizei auf, sodass die Beamten weniger auf Streife gingen. Landeshauptleute ärgerten sich über Abschiebungen ohne Rücksicht auf Verluste, darunter integrierte Lehrlinge. Und was sich ebenfalls herumsprach: dass Kickl, von Strache einst als bester Innenminister aller Zeiten ausgerufen, seine fulminanten Rückführungszahlen zurechtfrisiert habe. Denn im Jahr 2018 waren von Abschiebungen am häufigsten Slowaken, Serben, Ungarn und Rumänen betroffen – also überwiegend Arbeitslose, Obdachlose, Bettler, straffällig gewordene Personen – und nicht, wie so oft verkündet, abgelehnte Asylwerber.

Ein Bürgerlicher zu Kickls Amtszeit: "Kurz hat so lange weggeschaut, als sich Kickl im Innenministerium aufgeführt hat wie ein Elefant im Porzellanladen, bis ihm die Landeshauptleute gesagt haben, bitte, hier handelt es sich eindeutig um einen Elefanten!" Nachsatz: "In Wahrheit war Kickl die ganzen eineinhalb Jahre eine Zumutung. Nur aus Koalitionsräson hat man dazu geschwiegen."

Drittel der ÖVP-Wähler wollte 2017 mit Grün oder Neos

Peter Filzmaier macht hingegen keineswegs polithygienische, sondern vielmehr wahltaktische Gründe aus, warum die ÖVP Kickl nun zur Unperson erklärt hat: Ihr erstes Ziel sei, erklärt der Politologe, eine derartige Mehrheit sicherzustellen, dass nach dem 29. September keine Koalition an Türkis vorbei möglich ist – und dafür müsse beim Stimmenfang auch das Schreckgespenst Rot-Blau am Leben erhalten werden. Deswegen werde derzeit medial auch gern gestreut, dass Kickl ohnehin seit jeher lieber eine SPÖ-FPÖ-Regierung gehabt hätte.

Dazu komme, dass man mit der Ablehnung von Kickl nicht nur bei jungen, städtischen Wählern punkten könne, die auch Grünen oder Neos nahestehen, analysiert der Experte. Auch beim rechtskonservativ-christlichen Publikum auf dem Land komme die Abgrenzung von Kickl unter dem Motto "So sind wir nicht!" gut an. Filzmaier: "Das Flüchtlingslager Traiskirchen als 'Ausreisezentrum' zu titulieren empfand auch diese Klientel als zu zynisch."

Allerdings gibt der Politologe bei der ÖVP-Strategie zu bedenken: Sollte Kickl bei Türkis-Blau II Klubchef bleiben, sitze er "erst recht an allen Schalthebeln der Macht" – nur dann halt ohne Geld und Budget. (Nina Weißensteiner, Jutta Berger 15.7.2019)