Felix Mitterer zeigt Ferdinand Raimund (Johannes Krisch) als eher unsympathischen Choleriker und hysterisches Genie.

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Die Raimundspiele in Gutenstein gönnen sich eine Uraufführung: Die Schauspielerin und Intendantin Andrea Eckert hat Felix Mitterer beauftragt, ein Stück zu schreiben, um die Vita des Genies in ein etwas anderes Licht zu rücken. Und Brüderlein fein räumt tatsächlich schonungslos mit der alten "Raimund-Legende" auf.

Lange wurde der Dichter als Symbol des Alt-Wiener Antlitzes verklärt: Bis in die 1960er konzentrierte sich die (Unterhaltungs-)Literatur auf die Liebesbeziehungen des Dichters, die ihn als Projektionsfigur für das Wiener Biedermeier und nicht zuletzt auch für das schöne ländliche Leben in Gutenstein auserkor. In Gutenstein soll Raimund seine schönste Zeit verbracht haben; darauf ist man vor Ort auch besonders stolz.

Der Choleriker

In dem kleinen, dem Dichter gewidmeten Museum in der Dorfmitte wird denn auch noch immer das Wort "Selbstmord" für das tragische Lebensende ausgespart. Damit dürfte allerdings nun Schluss sein: Felix Mitterer skizziert Raimund als unsympathischen Choleriker, als wahnsinnigen Gewalttäter und als hysterisches Genie, das sich stets dem Druck der Wiener Theaterwelt beugen musste. Burgschauspieler Johannes Krisch wirkt allerdings zunächst – in den frühen Lebensstationen – wie aus der Zeit gefallen. Als Zuckerbäckerlehrling, der vor dem Nationaltheater zum ersten Mal mit der Theaterwelt in Berührung kommt, wirkt er nicht sehr glaubwürdig. Es ist in den ersten Szenen – beim jungen Raimund – etwas gar viel Gebrüll zu vernehmen.

Außerdem: Das von Regisseurin Nicole Claudia Weber inszenierte Stück gibt sich in der ersten Hälfte zu linear, es klappert die ersten Stationen in Raimunds Leben einfach ab. Und die eher langweiligen Kostüme und ebensolche Bühnengestaltung (Vanessa Achilles-Broutin) sind den Vorgaben von Felix Mitterer einfach nur zu Diensten ("Man möge sich an der damaligen Ausstattungspraxis orientieren.")

Erleichtertes Auditorium

Interessant wird die anfänglich eher seichte Komödie, wenn sich Raimund vor den Theatervorhang begibt und sich seinem damaligen Publikum stellt. Wie einst Raimund spielt Mitterer mit dem Auditorium, wenn tosender Applaus eingespielt wird und die ersten Gutensteiner erleichtert beginnen mitzuklatschen.

Mitterer trifft mit der gewählten Form, die sich nicht nur durch die Anwesenheit der Feen an Raimund'sches Theater anschmiegt, auch inhaltliche Punkte: Der Erfolgreiche selbst litt ja unter seinem Ruhm. Vom Publikum wurde er zur Heirat mit Luise Gleich (Larissa Fuchs) gedrängt und musste wenig später öffentlich Abbitte leisten, als er zum ersten Hochzeitstermin nicht erschienen war. Schon damals liebte er heimlich die Kaffeehausbesitzerstochter Antonie Wagner (Anna Rieser).

Lieber Tragödien

Wie sein großes Vorbild Franz Grillparzer wollte Raimund eigentlich auch Tragödien schreiben. Seine Publikumserfolge drängten ihn allerdings ins Unterhaltungstheater. So wird Raimund bei Mitterer mit jedem weiteren Applaus für eine seiner Komödien hypochondrischer.

Im zweiten Teil des Stücks kippt das Komische in die tödliche Tragödie, die nicht mehr abzuwenden ist. Johannes Krisch brilliert, wenn er aus dem verlorenen Raimund den Herrn von Rappelkopf (aus Alpenkönig und Menschenfeind) sprechen lässt: "So leb ich zufrieden im finsteren Haus – Und lache die Torheit der Menschen hier aus."

Da ist Raimund plötzlich entzaubert. Und Gutenstein wirkt nicht mehr wie sein persönliches Paradies, sondern wie ein selbstgewähltes Exil und ein Wegbereiter für Raimunds Freitod. Chapeau! (Laurin Lorenz, 15.7.2019)