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Lostag für Ursula von der Leyen am Dienstag
Foto: AP Photo/Francisco Seco

Nein, vor Beginn der Plenardebatte des Europäischen Parlaments heute Dienstag werde Frau von der Leyen keine weiteren Erklärungen über ihr "Regierungsprogramm" abgeben. Bei den Anhörungen in den Fraktionen sei ohnehin vieles zur Sprache gekommen – also bei Christ- und Sozialdemokraten über die Grünen bis hin zu den Konservativen. Die extrem Rechten der Gruppe "Identität und Demokratie" ließ sie aus.

Die beim EU-Gipfel am 2. Juli nominierte Kommissionspräsidentin wollte auch nicht zitiert werden: "Das verlangt der Respekt vor den gewählten Abgeordneten", hieß es aus dem Übergangsteam der deutschen Bisher-Verteidigungsministerin. Diese hätten "das gute Recht", von ihr persönlich als Erste zu erfahren, wie und wohin sie das gemeinsame Europa bis 2024 führen wolle.

Erst nach der Abstimmung in Straßburg, wenn sie mit der nötigen einfachen absoluten Mehrheit aller EU-Abgeordneten gewählt sei, könne sie breit an die Öffentlichkeit gehen. Nach derzeitigem Stand braucht die Christdemokratin 374 Stimmen. Das kann sehr knapp werden, weil nur die Europäische Volkspartei (EVP), die meisten Liberalen und ein Teil der Konservativen mit Ja stimmen werden. Die Grünen, die Linke haben sich klar auf ein Nein festgelegt. Die EU-skeptischen Gruppen und Abgeordneten sind gegen sie.

Die Bestätigung der ersten Frau an der Spitze der EU-Kommission wird ganz vom Stimmverhalten der Sozialdemokraten abhängen, die gespalten sind. Vor allem die Genossen aus Deutschland sind nach wie vor empört, wie EU-Spitzenkandidat Frans Timmermans abgespeist wurde. Seit Tagen werden sozialdemokratische Abgeordnete "massiert", die Verhinderung des Personalpakets zu Ende zu denken. Eine "veritable Krise der EU-Institutionen" wäre kaum vermeidbar. Das wollen auch viele rote Kritiker nicht so ganz. Sollte von der Leyen durchfallen, käme ein anderer aus dem Kreis der EVP zum Zug – und nicht Timmermans.

Enttäuschung ist groß

Weil aber die Enttäuschung so groß sei, sei es schwer, aus der Blockade rauszukommen, hieß es in der Fraktion. Montagmittag zeichnete sich plötzlich doch ein Ausweg ab, wie alle Beteiligten ohne Gesichtsverlust zu einem "guten Ende" kommen könnten. Den Weg hatte die aus Spanien stammende neue Fraktionschefin Iratxe García Pérez bereits am vergangenen Mittwoch eingeleitet, ohne dass das groß Beachtung fand.

Sie erklärte nach dem Auftritt von der Leyens in der S&D-Fraktion, sie habe sich allzu "schwammig" geäußert; es reiche (noch) nicht für eine Zustimmung. Aber sie werde ihr schriftlich einen Fragenkatalog zukommen lassen, von dessen Beantwortung das Verhalten ihrer Fraktion abhänge. Diesen Ball nahm von der Leyen ("Verstehe die Enttäuschung") volley auf.

Sie hob ihr Schweigegebot auf. In einem acht Seiten langen Brief an García Pérez (und auch an die Liberalen) ging sie auf praktisch alle Wünsche ein, die kritische SP-Mandatare äußerten, machte klare Zusagen: Das Parlament soll ein Initiativrecht erhalten, sie wolle mit ihm "Hand in Hand" an Gesetzen arbeiten. Die Klimaziele sollen nachgeschärft werden, Ziel sei eine Senkung der Emissionen um 55 Prozent bis 2030. Es soll ein großes Demokratiepaket geben, das Spitzenkandidatensystem müsse sichtbarer werden, auch durch die geforderten transnationalen Listen.

Flexible Eurozone

Bei Grundrechten und Verstößen dürfe es keine Abstriche geben, die Kommission soll jährliche Prüfberichte dazu erstellen. Als Präsidentin will von der Leyen die Eurozone vertiefen, den Stabilitätspakt flexibel auslegen, benachteiligten Regionen müsse durch Wachstumsinitiativen geholfen werden. All das und noch vieles mehr wird von der Leyen Dienstag, 9.00 Uhr früh, in Straßburg vortragen. Sie scheint sich sicher zu sein, denn am Montag, 16.46 Uhr, erklärte sie ihren Rücktritt als deutsche Verteidigungsministerin.

Selmayr tritt zurück

Am Dienstag wurde zudem bekannt, dass der umstrittene EU-Spitzenbeamte Martin Selmayr hat seinen Abschied aus Brüssel angekündigt hat. Ende nächster Woche werde er seinen Posten als Generalsekretär der EU-Kommission aufgeben, sagte Selmayr dem Politikportal Politico nach einem Bericht vom Dienstag. "Ich werde nicht in Brüssel bleiben."

Zuvor hatte von der Leyen den EVP-Abgeordneten erklärt, dass Selmayr nicht Generalsekretär bleiben werde. Der 48-jährige Vertraute des scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker war 2018 unter umstrittenen Umständen zum höchsten EU-Beamten befördert worden. Die EU-Bürgerbeauftragte hatte dies kritisiert und das Europaparlament seinen Rücktritt gefordert.

Von der Leyens Ankündigung gilt als Zugeständnis an die kritischen Abgeordneten. Es wäre allerdings auch unüblich, dass der Generalsekretär dieselbe Nationalität hat wie die Kommissionschefin. (Thomas Mayer aus Straßburg/APA/ red, 16.7.2019)

Ursula von der Leyen im Video-Porträt
DER STANDARD