Und jetzt? Die Frage kommt nicht von ungefähr. Schließlich gibt es Hashtags wie #postironmanblues nicht ohne Grund. Und es muss gar nicht der große Bewerb oder die große Challenge sein, um dann, wenn ein Ding abgehakt ist, in ein Loch zu stürzen. Schließlich dreht sich die Welt weiter. Nicht nur die Freunde und die Kollegen hören irgendwann auf, das Lied der vollbrachten Heldentat zu singen, auch man selbst steht dann oft ratlos da: Die Medaille liegt im Medaillen-Schuhkarton (oder hängt am Haken). Das verschwitzt-verdreckte Gewand ist längst gewaschen. Und die Beine sind zwar müde, fangen aber schon wieder an zu zucken: und jetzt?

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Das Gefühl ist normal. Aber man muss lernen, damit umzugehen. Nicht nur im Sport: In einem früheren Leben war ich etliche Male Zaungast auf den Massenmaturareisen. Das Programm ist immer gleich. Die Gefühle der Kids auch: Jedes Jahr haben die Veranstalter-Videotrupps beim Partyschrott-Statement-Einsammeln auch eine echte Frage: "Und jetzt?" Ein Gutteil der Jugendlichen kann sie nicht beantworten. Klar: Studium und Studienrichtungen. Aber da ist noch etwas. Manchmal bricht es heraus: "Ich habe keine Ahnung. Ich habe auf diesen Punkt acht Jahre hingearbeitet. Lehrer, Eltern, alle haben immer nur davon gesprochen. Jetzt bin ich da. Und vor mir ist ein großes Loch."

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Das ist kein Widerspruch zur Freude und der Erleichterung, es – was auch immer – geschafft zu haben: Als ich noch am Ironman-Tag mein Zeug aus der Wechselzone abholte, saß zwischen den Garderobenständern ein Brite am Boden (man stopft das Schwimm- und das Radzeug beim Wechseln in den Materialbeutel der Folgeetappe und holt alles, inklusive Rad, nach dem Wettkampf aus dem bewachten Bereich wieder ab, Anm.). Er sah auf seine Medaille und fluchte: "Never again. I will never do such a stupid thing again." Ich zählte bis drei. Dann kam es aus allen Richtungen: "Wait for the day after tomorrow. You will come back here."

Foto: Thomas Rottenberg

Am Tag nach dem Ironman kann man sich für nächstes Jahr anmelden. Die Schlange ist lang. Und wer sich nicht anstellt, bekommt Post: Die offizielle Anmeldung startet eine Woche nach dem Bewerb – und die Startpläze sind meist binnen Tagen weg. Wer schon dabei war, darf sich früher anmelden. "Priority Entry" heißt das. Ohne Preisnachlass. 550 Euro kostet der Startplatz für 2020. Der Chef der Kärnten-Werbung erzählte mir unlängst, dass beim Ironman die "Wiederholungstäterquote" jedes Jahr bei etwa 30 Prozent liege.

Ich selbst gehöre da (aus heutiger Sicht) nicht dazu: Zweimal hintereinander Klagenfurt war genug. Man kann schließlich auch anderswo leiden.

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Und jetzt? Also unmittelbar-kurzfristig jetzt? Am Montag nach dem Bewerb ging es uns gut, aber laufen wollte keiner. Oder Rad fahren. Schwimmen wäre okay gewesen, aber dafür fehlte die Zeit: Wir hatten ein kurzes Meet & Greet mit Ironman-Weltmeisterin Daniela Ryf – und dann, zu Mittag, hieß es zurück nach Wien. Vier Stunden im mit Rädern und Klumpert knackevollen Auto sind nicht das, was sich müde Beine wünschen. Aber mit einem bisserl Blackroll-Gerolle kriegt man die Schwere wieder in den Griff.

Auch der Dienstag war No-Sports-Day: Es galt, den Montag einzuarbeiten. Aber vor dem Rechner kam die Müdigkeit wie flüssiges Blei über mich. Das Einzige, was hilft? Bewegung. Theoretisch. Tatsächlich war ich ab 14 Uhr dann sogar zum Essen zu müde. Trotzdem: Nichtstun fühlte sich schon störend an. Ein bisserl. Das ist eine Warnung: aufpassen. Den Fuß nicht mal in die Nähe der Laufschuhe kommen lassen.

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Mittwoch. Immer noch todmüde. Aber grantig und unleidlich, weil zu wenig bewegt. Yoga geht. Immer. Auch weil die tatsächlich wichtigen Asanas (Positionen, Anm.) nichts mit Fancy Instastarlet-Voltigieren zu tun haben, sondern ruhig und tief wirken, wo der Körper Dehnen und ein ausgewogenes Wechselspiel aus An- und Entspannung braucht.

90 Minuten Easy Flow. Anfänger-Asanas. Nachher war klar, dass das genau richtig war: Der Kopf ist auf einem anderen Trip als der Körper. Da sind die Begeisterung, der Stolz, die Erleichterung – das deckt Müdigkeit und Ausgezehrtheit zu. Ich hatte am Sonntag drei oder vier Kilo abgenommen. Und auch wenn das sofort mit jeder Menge und jedem nur erdenklichen Futter wieder aufgefüllt worden war, sind die relevanten Speicher noch leer.

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Unmittelbar nach einer extremen Belastung (und "extrem" ist immer subjektiv) kommt die "Open Window"-Phase. Da ist man praktisch wehrlos. Das Immunsystem kann so gut wie nichts abwehren und muss sich selbst "rebooten". Auch nach dem Neustart kommt es dann erst langsam wieder in Fahrt. Mein "Tod" nach diversen Reisen zu Laufeinladungen in der ganzen Welt in den letzten Jahren war jedes Mal der Flug nach Hause: Ich weiß, was passieren wird, weil es passieren muss, wenn ich am Abend des Events vier oder mehr Stunden mehrfach umgewälzte Flugzeugluft atme. Aber das ist eben der Preis: Niemand zwingt mich.

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Die Sache mit dem offenen Fenster ist bekannt. Dass das Fenster sich nach ein paar Stunden zu schließen beginnt, auch. Aber bis es zu ist, dauert es. "Du fühlst dich mental super, aber dein Körper muss verarbeiten. Würde man sie jetzt messen, hättest du Entzündungswerte, die alarmierend wären – wenn man nicht wüsste, was du getan hast", erklärt Harald Fritz.

Also runter vom Gas: Am Donnerstag war ich Rad fahren. Beineausschütteln geht, auch in dieser Phase. Einmal ohne Druck und am Straßenrad (wie leicht und wendig das im Vergleich zum TT-Bike ist!) die kurze Runde von der Tangentenbrücke zum Kraftwerk Freudenau und retour reicht. Vor allem macht sie Lust auf mehr: Habe ich das Priority-Entry-Mail für Klagenfurt gelöscht? Und am Abend noch mal Yoga: Ah, da geht eh schon wieder mehr.

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Freitag. Es regnet. Einen kurzen Morgenlauf hat der Coach ausdrücklich erlaubt. Der erste seit dem Ironman. Ich starte zunächst, ohne die Uhr anzuwerfen. Es tut gut. Verdammt gut. Die Maximalzeit einzuhalten und nicht aufs Gas zu drücken fällt schwer. Aber ich weiß, wie ich mich diszipliniere: Ich laufe so los, dass ich nicht länger laufen kann, wenn ich rechtzeitig (und geduscht) im Job auftauchen will.

Schwimmen, denke ich mir, während ich nach sieben Stunden Office im Fernbus nach Graz sitze, wäre heute aber schon fein gewesen: Ich fühle mich unendlich faul und untätig.

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Noch im Bus scrolle ich auf Garmin, Strava und Trainingspeaks, der App, über die Harald uns – sagen wir mal – "beobachtet", durch meine Wochenstatistik: Wenn ich Yoga mitzähle, waren das von Mittwoch bis Freitag fünf Stunden lockerer Sport. "Nur", denke ich mir und muss lachen: Das ist exakt so viel Bewegung, wie der Durchschnittsösterreicher laut "Österreichischem Sportreport" angeblich wöchentlich auf den Boden bringt. Dass diese "Studie" massiv nach oben gepimpter Vollholler war, belegen die Zahlen der BSO, der Bundessportorganisation: Denen zufolge erreicht nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung die von der WHO empfohlenen 150 Minuten lockerer Bewegung pro Woche. Ich rutsche auf meinem Sitz hin und her: Wie schaffen es Menschen, sich so wenig zu bewegen?

Foto: Thomas Rottenberg

Das Wochenende in Graz soll genau das werden: chillig, faul und durchschnittlich. Oder, noch besser: untätig. Bis zum Frühstück geht das super. Dann werden wir hibbelig: Die Wochenenden waren das letzte halbe Jahr knackevoll mit Training. Koppeltraining zumeist. Also beispielsweise viereinhalb Stunden am Rad, dann eine Stunde laufen am Samstag und am Sonntag ein zweistündiger oder dreistündiger Longjog mit Schwimmen davor und Yoga, Kraft- oder Stabitraining am Abend. Da bleibt nicht viel Zeit für anderes. Und die Lust auf ausgehen reduziert sich auch relativ rasch auf null: verrauchte Lokale? Alkohol? Partys, die erst um Mitternacht losgehen? Eine andere, fremde, bizarre Welt. Sogar die rauchenden und mit Sekt in den Tag startenden Frühstücker auf der Kastner-Terrasse sind schwer zu packen. Die Freaks sind aber, eh klar, die anderen.

Foto: Thomas Rottenberg

Plötzlich so viel Zeit zu haben ist keine Herausforderung – es überfordert mich. Ich weiß, dass ich es genießen sollte, jetzt faul und träge zu sein, kann es aber nicht. Alles in mir, jede Faser, schreit: "Bewege mich!" Und ein Blick in die Runde zeigt, dass es nicht nur mir so geht.

"Warst du schon mal am Schöckl?" Nö. Also geht es auf den Grazer Hausberg. "Ist eh ein Omi-Opi-Spaziergang, raufgelaufen wird ein anderes Mal." Mein Kopf ist enttäuscht, mein Körper nicht. Obwohl das nur eine Nanowanderung ist, mag die Energiezentrale schon zügiges Bergaufgehen noch nicht wirklich. Einen halben Gang zurückschalten tut mental ein bissi weh. Aber sofort wird daraus ein Genussspaziergang mit Hammerblick.

Foto: Thomas Rottenberg

Sonntag. Der Himmel ist blau. Mein Zeitfahrrad kam aus Logistikgründen von Klagenfurt nach Graz. Es schmollt: Eine ganze Woche lang wurde es nicht bewegt! Es muss sein: "Wir fahren maximal zweieinhalb Stunden. Alles easy. Kaum Höhenmeter." Ja! Ja! Ja!

Die Cappuccino-Runde (also lockeres Stapeln mit einer langen Kaffeepause zur Halbzeit) nach Weiz ist ein Traum. Die knapp 78 Kilometer mit 950 Höhenmetern dauern nicht nur wegen des gemütlichen Bummeltempos natürlich deutlich länger. "Harald wird schimpfen", denke ich und grinse. Es ist wie in der Schule. Man schwänzt und weiß, dass man auffliegen wird. Ein guter Lehrer wird mit strengem Blick abmahnen. Das ist sein Job und seine Rolle – aber dass er ganz genau weiß, dass das nicht anders geht, weil manche Regeln manchmal gebrochen werden müssen, weil man sonst durchdrehen würde, sieht man ihm an. An dem kleinen Lächeln hinter dem strengen Blick. Schließlich geht Erholen nur, wenn man sich wohlfühlt: "Und jetzt?" Es geht doch um nix!

Foto: Thomas Rottenberg

Bei anderen Leuten ist "Und jetzt?" aber eine relevante Frage. Weil es um etwas geht. Um viel. Für meine Teamkollegin Jacqueline Kallina zum Beispiel. Jacqui trägt zwar die gleichen Vereinsfarbe, ist aber in einer anderen Liga unterwegs: Bei der Mitteldistanz in St. Pölten krachte sie als insgesamt siebentbeste Frau mitten in die Reihen der Profis, wurde zweitbeste Österreicherin (hinter Bianca Steurer) und gewann ihre Altersklasse (AK) souverän. Damit qualifizierte sich Jacqueline für die Mitteldistanz-WM im September in Nizza.

Klagenfurt war vorletzten Sonntag dann die erste Langdistanz der 28-Jährigen: ein souveräner Sieg in der AK, Bronze bei den in Klagenfurt mit ausgetragenen Langdistanz-Tri-Staatsmeisterschaften – und ein Ticket zur WM auf Hawaii im Oktober. In Kona starten zu dürfen ist ein Traum. Nur hat die Sache einen Haken: die Kosten.

Foto: Distlberger

Letzte Woche fragte ein Poster, wieso es bei Ironman & Co vergleichsweise wenige Athletinnen und Athleten unter 35 gibt. Das hängt zum einen damit zusammen, dass Hobbysportler sich in der Regel erst über eine Lauf- und Marathonhistorie zum Triathlon und dann nach mehreren Jahren zur ersten Langdistanz vortasten.

Kosten und Zeit sind ebenfalls limitierende Faktoren: Ausrüstung, Reisen und Startgebühren kosten eine Lawine. Gute Betreuung (Coaching, Physio, medizinische Checks) kommen dazu. Den Zeitaufwand von 18 und mehr Stunden Training pro Woche (im Hobbettenbereich) muss man dann auch noch mit Beruf und Familie abstimmen.

Das ist schon bei rein lokalen oder regionalen Wettbewerben nicht leicht. Ich habe eine Bekannte, die vor Jahren einen Agegrouper-Slot für Kona gewonnen hat. Für den Zweiwochentrip nahmen sie und ihr Mann einen fünfstelligen Kredit auf – und es ging ihnen nur um den Spaß. Ums Dabeisein.

Foto: Harald Fritz

Profis aber sind oft einen Monat auf Hawaii. Sie haben die Zeit und an der Spitze auch die Mittel. Jacqueline Kallina will nicht einfach nur dabei sein. Ihr "Langfristig denke ich an eine Profikarriere" überrascht niemanden, der in ihre Vita schaut: 2014 Vizeeuropameisterin über die Sprintdistanz in der AK. 2016 EM-Fünfte (AK) über die Mitteldistanz. 2018 wurde sie niederösterreichische Landesmeisterin (gesamt) über die Sprint- und die olympische Triathlondistanz und Vierte bei den Staatsmeisterschaften über die Mitteldistanz. Die Bombenergebnisse von St. Pölten und Klagenfurt waren hart erarbeitet und lange vorbereitet.

Aber Jacqui hat weder Sponsoren noch das Zeitbudget einer Daniela Ryf oder einer Bianca Steurer: Sie arbeitet als Verkäuferin im Speed Planet, einem Fahrradgeschäft in Klosterneuburg (das sie natürlich ein bisserl unterstützt), und als Trainerin für Harald Fritz. Große Sprünge gehen sich da nicht aus. Deshalb tüfteln Jacqui und Harald gerade an Finanzierungsmodellen und Crowdfunding-Ideen.

Und während ich auf die Frage "Und jetzt?" mit "Schau ma mal, dann wer ma sehn" antworten kann, sieht das bei Menschen, bei denen es im Sport um etwas geht, eben anders aus. Aber das wird eine andere, eine eigene Geschichte. (Thomas Rottenberg, 17.7.2019)


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Foto: Weidmann