Unbekannte Welten üben immer eine große Faszination aus, wobei Faszination vielschichtig sein kann. Wer Japan verstehen will, könnte es mit den Romanen des Schriftstellers Haruki Murakami probieren. Gutes Leben, bewusste Einfachheit und kühl emotionale Distanziertheit bestimmen seinen Blick auf die Welt.

Die 9127 Kilometer Distanz zwischen Wien und Tokio überwinden die wenigsten, so ist für die meisten Japan ein exotisches Land. Warum gehen japanische Frauen bei strahlendem Sonnenschein mit Regenschirmen durch die Wiener Innenstadt? Warum stehen sie vor den Boutiquen der Luxuslabels am Kohlmarkt Schlange? Die gegenseitige Unkenntnis voneinander hat einen großen Vorteil: Sie schafft eine faszinierende Exotik, auf deren Basis sich prächtige Geschäfte machen lassen. Kosmetik aus Japan wird in unseren Breiten als Luxus vermarktet. Es gibt zwei große Player: zum einen Shiseido, zum anderen Kanebo mit ihrem Luxuslabel Sensai. Was man als Japanità bezeichnen könnte, sind die schönen Klischees eines Landes, in denen weiß geschminkte Geishas in seidenen Kimonos unter blühenden Kirschbäumen sitzen – unnahbar, alterslos und quasi unberührbar, so die Vorstellung.

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Schönes Klischee: Die weiß geschminkte Geisha
Foto: AP Photo/Eugene Hoshiko

Was noch zur Japanità dazugehört: Zen-hafte Einfachheit auf höchstem Niveau – und bitte unbedingt sorgfältig verpackt. Kosmetiklabels wie Kanebo oder Shiseido spielen seit Jahrzehnten auf dieser Klaviatur und haben Konsumentinnen Schlüsselworte der japanischen Kultur wie "Sakura" (Kirschblüte) oder "Kanso" (Einfachheit") nähergebracht. Als Verwenderin dieser Marken dachte man, dass diese leicht formulierten, dezent duftenden Cremen auch in Japan beliebt sind. Man dachte auch, dass es deshalb so viele Reinigungsprodukte gibt, weil das in Japan so üblich ist. Seife allein reicht nicht, vielmehr geht es um mehrstufige Reinigungsrituale, so wie sie in den japanischen "Onsen", den heißen Quellen, praktiziert werden. "Makellose Schönheit muss sauber sein."

Kulturexport

Kanebo ist neben Shiseido eine jener Marken, die Japanità in Vollendung zelebrieren. Doch wer jemals in einer Parfümerie in Japan war, wusste: Shiseido ist dort keine Luxusmarke, sondern so etwas wie Nivea. Und Sensai suchte man überhaupt vergeblich, denn diese Marke existierte nur außerhalb Japans, als reiner Exportartikel für den Westen sozusagen.

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Kosmetikmarken wie Shiseido, die bei uns unter "Luxusprodukt" laufen, sind in Japan gang und gäbe.
Foto: Mint Images / picturedesk.com

J-Beauty, also Japan-Schönheit, ist der Fachbegriff für einen Trend im Kosmetikmarketing, der sich in den letzten Jahren aufgrund ihres Erfolgs in der westlichen Welt gut etabliert hat. J-Beauty entspricht auch dem Zeitgeist: Kosmetische Produkte sollen Hautprobleme nicht erst dann lösen, wenn sie schon da sind, sondern sollen sie schon von vornherein verhindern, noch bevor sie also entstanden sind. Konkret: Die Haut soll sauber sein (damit keine Pickel entstehen), sie soll gut durchfeuchtet werden (um Falten zu verhindern), und sie soll immer vor der Sonne geschützt sein (weil sich sonst Pigmentverschiebungen, also braune Altersflecken, ergeben). Zudem die Direktive: Hautpflege braucht Zeit, Zeit schafft man sich mit Ritualen, und im besten Falle entstehen durch die Selbstaufmerksamkeit auch Zen-inspirierte Ruhe und Gelassenheit.

Brand reloaded

Doch japanische Manager haben noch Großes mit J-Beauty vor. "Sensai ist in Europa sehr bekannt, wir sehen aber, dass Made in Japan auch in Asien immer populärer wird, deshalb wollen wir Sensai jetzt auch in Japan und in anderen asiatischen Ländern, vor allem in China, lancieren", sagte Makiko Takahashi, Konzernsprecher des Kao-Konzerns, der mit zwei Dutzend ganz unterschiedlichen Marken aus dem Consumer-Good-Bereich einen Jahresumsatz von vier Milliarden Dollar macht. Sensai ist also das Luxuspferd im Stall und wird im September 2019 quasi "heimgeholt", Anfang 2020 wird es in China losgelassen. Das Paradeprodukt wird das "Absolute Silk Micro Mousse Treatment" sein, ein Sofortprodukt gegen Falten, dennglobal wollen Konsumentinnen schnelle Resultate. Deshalb hat man die sogenannte Micro-Bubble-Technology entwickelt: Mit miniaturisierten Bläschen, die Kohlensäure ähneln, will man verjüngende Seidenpartikel unter die Haut bugsieren und damit einen Anti-Aging-Effekt erwirken.

Doch Luxus ist per definitionem natürlich teuer. Für die Manager der japanischen Kosmetikkonzerne wurde gerade die Tatsache der Hochpreisigkeit ein Problem. Jüngere Konsumentinnen konnten sich die teuren Hautpflegeprodukte oft nicht leisten. Sowohl Shiseido als auch Kanebo haben parallel zu ihren gut etablierten Luxushautpflegelinien auch kostengünstigere Produktserien lanciert. Mit peppigem Design soll die Waso-Linie für Shiseido ins Rennen gehen, dafür schickt man den Roboter Pepper und den Slogan "Japanese Beauty Secret" als Werbemittel ins Rennen – eine neue Facette, fernab von Geishas und Kirschblüten.

Roboter Pepper bewirbt die Waso-Linie von Shiseido.
Foto: Shiseido

Kostengünstigere Linien

Und auch der Kao-Konzern brauchte neben Sensai kostengünstigere Cremen und hat dafür das vor fünf Jahren bereits in der Versenkung verschwundene Label Kanebo wieder ausgegraben. Es steht ebenso für Reinigung, für Ästhetik und blasse Vornehmheit, ist aber nicht so teuer.

Drängt sich also die Frage auf, ob nicht einfach nur zwei große japanische Kosmetikkonzerne unter dem Deckmantel von J-Beauty auf dem globalen Parkett um die Vorherrschaft kämpfen? Am Ende wird also das weibliche Hautpflegepublikum rund um den Globus entscheiden, wer siegen wird. Denn tatsächlich japanische Marken bleiben in unseren Breiten meist unbekannt. Wenn europäische Kosmetiklabels auf den asiatischen Markt drängen, müssen sie Brightening-Produkte mit Azelainsäure oder Kojisäure entwickeln, die gegen Pigmentstörungen wirken und den Teint bleichen. Das wiederum ist für Frauen in unseren Breiten selten ein Hautpflegeziel.

Das Wechselspiel zwischen Ost und West hat Tradition. Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami ist mit seinen Bestsellern übrigens auch eher ein Exportprodukt. Als japanischer Schriftsteller verkauft er seine Bücher vor allem außerhalb seiner Heimat besonders erfolgreich. (Karin Pollack, RONDO, 18.7.2019)


Foto: Hersteller

Japanische Kosmetik (von links nach rechts): Sensai, die Luxusmarke von Kanebo, soll mit dem "Absolute Silk Micro Mousse Treatment" global reüssieren. € 165/ Kanebo "Global Skin Protector SPF 50+": cremig-gelig. € 49,95/ Sensai "Silky Purifying Silk Peeling Powder" reinigt und glättet. € 74,95/ Shiseido Die junge Linie Waso mit dem "Color-smart Day Moisturizer". € 45/ Cure Gesichtspeeling mit Aloe-vera-Extrakten bei Nägele & Strubell. € 39/ Shiseido "Ultimune Eye Power Infusion Concentrate". € 69,95/ Muji Die japanische Designkette hat Cremen in ihren Europa-Filialen. € 15