Am Ende der Veranstaltung kniet er auf der Bühne und setzt mit einem Filzstift seine Unterschrift auf Sneaker und Baumwolltaschen. Virgil Abloh wirkt in diesem Moment kaum älter als die Teenager in den Hoodies, Baseball-Caps und Mützen um ihn herum. Es läuft so wie immer, wenn der 38-jährige US-Amerikaner auftaucht. Die Aufregung, vor allem unter den Jungen, ist groß, sogar auf dem beschaulichen grünen Vitra-Campus in Weil am Rhein, einer aufgeräumten südbadischen Kleinstadt, 20 Autominuten von Basel und nur wenige Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt.

Kein Wunder, der amerikanische Designer, der in Karohemd und Cargohose den Rapper von nebenan gibt, gilt als Popstar der Modewelt. Der Amerikaner macht Streetwear-Fans Appetit auf die Luxusmodeindustrie: Produkte, die mit seinem Namen zusammengebracht werden, verkaufen sich in kürzester Zeit. Dabei ist Virgil Abloh, 1980 als Sohn ghanaischer Migranten in Rockford, Illinois, geboren, gar kein ausgebildeter Modedesigner. Er folgte dem Wunsch seines Vaters und ließ sich erst zum Bauingenieur und dann zum Architekten ausbilden.

Virgil Abloh hat die Streetwear auf die Laufstege gebracht.
Foto: : Joshua Osborne/ Vitra

Die Mode kam dazwischen. Abloh entwickelte als Kreativchef für Kanye Wests Firma Donda Merchandisingprodukte und Showkonzepte, 2012 startete er sein eigenes T-Shirt-Label Pyrex Vision, ein Jahr später folgte das Modelabel Off-White, heute sitzen Ablohs Designteams in Mailand, London, Paris. Und Virgil Abloh entwirft nicht nur Mode für sein eigenes Label Off-White, das von Beyoncé oder Rihanna getragen wird. Er verantwortet auch die Männer-Kollektionen für Louis Vuitton. Seine Berufung in den Olymp des europäischen LVMH-Konzerns im Frühjahr vergangenen Jahres provozierte: Ausgerechnet ein Quereinsteiger bekommt einen solch prestigeträchtigen Posten! Zeitungen wie die New York Times beeilten sich aber auch festzustellen: Abloh ist der erste afroamerikanische Kreativchef bei Louis Vuitton und neben Olivier Rousteing einer der wenigen schwarzen Designer an der Spitze eines französischen Luxusmodehauses.

In dieser Saison ließ Virgil Abloh in seiner Männer-Kollektion für Louis Vuitton Arsenal-London-Spieler Héctor Bellerín auflaufen.
Foto: Anne-Christine POUJOULAT / AFP

Bis heute polarisiert Abloh. Für die einen ist er Virgil, der "Messias der Mode", der den Zeitgeist am Schlafittchen packt, oder zumindest die moderne Casual-Ausgabe eines Andy Warhol. Die anderen, und das sind auch nicht wenige, halten ihn für die aufgeblasene Symbolfigur einer überhitzten, ziemlich verzweifelt nach neuen Gesichtern gierenden Modebranche.

Der Jetsetter

Von alledem ist an diesem Nachmittag in Weil am Rhein nichts zu spüren. Auch dass Virgil Abloh eben erst mit dem Flugzeug aus Chicago (im dortigen Museum ist ihm eine Ausstellung gewidmet) gelandet ist, merkt man ihm nicht an. Abloh ist ein routinierter Jetsetter. Am nächsten Tag wird es weitergehen nach Florenz zur Modemesse Pitti, dann zurück nach Basel, da besuchen die Superreichen dieser Welt die Kunstmesse Art Basel. Der 38-Jährige verbringt mehr Zeit im Flugzeug als in den Büros in Mailand, Paris und London. Und wahrscheinlich auch mehr als mit Ehefrau Shannon und den Kindern Lowe und Grey in Chicago. Wozu auch, wenn man alles mithilfe zweier Handys regeln kann?

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Seit 2013 führt Abloh sein eigenes Label Off-White.
Foto: AP Photo/Thibault Camus

Auf dem Vitra-Campus, einem einzigartigen Areal mit Bauten von Frank Gehry, Zaha Hadid oder Tadao Ando, hat man dem Amerikaner in der Produktionshalle von Álvaro Siza eine Bühne errichtet. Der Designer sitzt so zurückhaltend wie selbstbewusst neben Nora Fehlbaum, der Leiterin des Unternehmens Vitra. Auf die Wand hinter der Bühne ist eine Whatsapp-Kommunikation zwischen Abloh und seinem Designteam projiziert: "Looking amazing" kommentiert der Designer da in einer Sprechblase einen Lampenentwurf. Früher habe man Designprozesse "über E-Mail, Skype oder in einer Telefonkonferenz" besprochen, für Abloh ist Whatsapp das ideale Kommunikationstool, um Zeitzonen zu überwinden.

"Alles easy"

Die "Alles easy"-Karte spielt der Designer gern aus. Wie er neue Mitarbeiter findet? Wer ein interessantes Instagram-Profil hat, dem schickt Abloh, der Messias der Millennials, eine DM, eine "direct message", einfach so.

Ablohs Lieblingsthema, das wird in diesen Minuten klar, ist die Generation Internet, das sind die Kids mit den richtigen Sneakern an den Füßen und den ironisch-coolen Insta-Accounts. Ihnen fühlt sich der 38-Jährige nahe, obwohl er selbst eher der Generation X angehört. Der Amerikaner bekennt, sich wie ein moderner Bernini zu fühlen (der Barock-Universalist war Bildhauer und Architekt, großspurige Vergleiche gehören zum Geschäft). Und er redet, deshalb ist er hier, über seine Zusammenarbeit mit dem Schweizer Möbelhersteller Vitra.

Seine Entwürfe sind auch diesmal "typisch Virgil". Abloh hat einen Sessel und eine Lampe von Jean Prouvé überarbeitet (Millennials haben ein Faible für Designklassiker) und eine limitierte Kollektion von orangefarbenen, mit Ziffern- und Zahlenkombinationen versehenen Keramikbausteinen entworfen. Letztere wird, wie so viele andere Kooperationen zuvor, wenig später ausverkauft sein.

Sessel, Lampe, Baustein: Virgil Abloh hat für Vitra Möbel entworfen.
Foto: Vitra

Überhaupt kann man den 38-Jährigen mittlerweile guten Gewissens als König der Kooperationen bezeichnen: Er hat für Ikea einen Teppich designt, für Rimowa einen transparenten Koffer, für Moët & Chandon eine Champagnerflasche, außerdem ist Abloh verantwortlich für die vieldiskutierten Nike-Looks von Tennisstar Serena Williams.

Hinsichtlich seines Verkaufstalents erinnert Abloh an Karl Lagerfeld in seinen besten Zeiten: Wenn der Hamburger mit Fächer, Sonnenbrille und Skizzenblock den Star der alten, weißen, europäischen Modewelt darstellte, dann steht Virgil Abloh für die rasanten Veränderungen, die die Modeindustrie in den letzten Jahren durchlaufen hat. Schon lange geht es nicht mehr nur um das Entwerfen von Kollektionen, es geht um Instagram, um Authentizität, um popkulturelle Auskennerschaft.

Für Kanye West (2. Bild von oben, mit Kim Kardashian) entwarf Abloh einst das Merchandising, hier nach seiner ersten Show für die Männerlinie von Louis Vuitton.
Foto: Louis Vuitton / Saskia Lawaks

Jene stellt Abloh gern unter Beweis: Wenn er an einem freien Abend Lust auf ein Konzert habe, fliege er spontan von Chicago nach Schweden, erklärte Virgil Abloh unlängst dem Magazin New Yorker. Sein modisches Erweckungserlebnis: natürlich die spacigen "Join a weird trip"-Motive, die der damalige Balenciaga-Designer Nicolas Ghesquière 2012 auf Neoprenpullover druckte. Damals sei ihm klar geworden, dass es in der Luxusmodeindustrie ein Bedürfnis nach Streetwear gebe, hat Abloh mehrmals erklärt.

Aufmarsch der Rapper

Heute beweist der Amerikaner, dass die Welten, die er für Louis Vuitton, Nike, Off-White und viele andere Marken entwirft, in der Bilderflut der sozialen Netzwerke bestehen können, ja mehr als das: Sie erreichen neue Zielgruppen. Eindrucksvollstes Beispiel: Ablohs Debüt bei Louis Vuitton. Von den 56 Männermodels, die in seiner ersten Show über den Laufsteg marschierten, war rund die Hälfte nicht weiß, das gab es noch nie bei dem altehrwürdigen Modehaus.

Virgil Ablohs Debüt bei Louis Vuitton
Louis Vuitton

Und überhaupt, das Casting! Neben Profimodels wurden Rapper wie Playboi Carti und Kid Cudi oder der 20-jährige Hip-Hopper Steve Lacy verpflichtet, in dieser Saison Arsenal-London-Spieler Héctor Bellerín. Die Männer mit den millionenschweren Instagram-Accounts versprechen Aufmerksamkeit bei jenen jungen "Hypebeasts", die am Smartphone auf die neuesten Yeezy-Sneaker warten, dafür gleich mehrere Hundert Euro ablegen und genauso bereitwillig bei Louis Vuitton shoppen werden.

Überall, wo Virgil Abloh ist, legt er auf. Auch in Weil am Rhein (Bild oben), am 14. August dann in der Wiener Grellen Forelle.
Foto: Vitra

In Weil am Rhein sind sie an diesem Abend auch da. Abloh steht jetzt am DJ-Pult. Für seine Sets ist er so bekannt wie für seine Kooperationen. Los geht es mit Daft Punk (One More Time), irgendwann dann Bodak Yellow von Cardi B und Gucci Gang von Lil Pump. Als es zu regnen beginnt, wird ein Zelt über Abloh geschoben, die Regenschirme wippen, weit über Mitternacht hinaus dreht der 38-Jährige an den Knöpfen. Das ist er seinen Anhängern schuldig. (RONDO, Anne Feldkamp, 19.7.2019)

Die Reise nach Weil am Rhein wurde von Vitra unterstützt.